Erdbebensituation in Bhutan klären
Forschende des Schweizerischen Erdbebendienstes haben in Zusammenarbeit mit der Gruppe Seismologie und Geodynamik der ETH Zürich sowie mit lokaler Unterstützung in Bhutan ein temporäres seismologisches Netzwerk installiert. Damit wollen sie eine Lücke in der geophysikalischen Erforschung des Himalajas schliessen.
Die Erforschung der Geologie von Bhutan hat in der Schweiz Tradition. Der berühmte Geologe Augusto Gansser erstellte die erste, 1983 veröffentlichte geologische Karte von Bhutan. Im November 2010 haben Forscher der ETH Zürich und der Universität von Montpellier in Nepal und Bhutan umfassende Messungen von Unregelmässigkeiten der Massenverteilung im Untergrund durchgeführt. Mit diesen Daten gelang es erstmals, die Struktur der Grenze zwischen der indischen und der asiatischen Kontinentalplatte im östlichen Himalaja zu modellieren. Zwischen dem 7. Januar und 3. Februar 2013 installierte das ETH-Team in Zusammenarbeit mit Seismologen aus Bhutan nun ein temporäres seismisches Netzwerk. Im Interview mit ETH Life erklärt Projektleiter György Hetényi, Oberassistent beim Schweizerischen Erdbebendienst (SED), die Ziele und Hintergründe der Aktion.
Herr Hetényi, Sie
sind mit Ihrem Team soeben aus Bhutan zurückgekehrt. Wie viele Seismometer
haben Sie während der Feldarbeit installiert?
Nachdem die Projektfinanzierung letzten September vom SNF genehmigt
wurde, bereiteten wir an der ETH während des Herbsts die Instrumente vor und
verschickten im November und Dezember 38 Seismometer mit dem Flugzeug nach
Bhutan. Diese haben wir nun alle installiert. Bhutan ist ungefähr so gross wie
die Schweiz. Wir haben die Seismometer in zwei von Norden nach Süden verlaufenden
Linien mit 14 und 16 Stationen angeordnet; acht befinden sich zwischen diesen
Linien.
Bhutan ist
geophysikalisch betrachtet ein weisser Fleck auf der Weltkarte. Es gibt bisher kaum
seismologische Messungen von dieser Region. Mit dem temporären Netzwerk wollen
Sie diese Lücke schliessen.
Genau. Wir möchten damit Einblick in die Struktur der
Erdkruste gewinnen und uns ein Bild davon machen, wie die Berge unter der
Oberfläche, tief in ihren Wurzeln aussehen. Die Erdkruste in Indien hat eine gewöhnliche
Dicke von etwa 35 Kilometern. In Tibet ist die Kruste bereits doppelt so dick.
Wie die Geometrie der Krustenverdickung dazwischen aussieht, also dort wo
Bhutan liegt, ist nicht bekannt. Daran sind wir interessiert. Wir möchten
herausfinden, ob die Unterschiede der Krustendicke auf grosse Bruchlinien
hinweisen. Mögliche Bewegungen, könnten dort sehr grosse Erdbeben verursachen.
Diese Struktur können wir durch seismische Aufzeichnungen sichtbar machen und darüber
hinaus die Erdbebengefährdung einschätzen.
Unser zweites und genauso wichtiges Ziel besteht darin, die «Alltags-Erdbebenaktivität»
Bhutans zu messen und zu beschreiben. Die Bevölkerung verspürt immer wieder kleinere
und mässige Erschütterungen, aber wie viele Beben es gibt, wie stark diese sind
und wo in Bhutan sie stattfinden, ist unbekannt.
Im Gegensatz zu
anderen Regionen des Himalajas gab es in Bhutan in den vergangenen 120 Jahren
keine nennenswerten Erdstösse. Wie erklären Sie sich das?
Diese Zeitspanne erwähnen wir, weil seit dieser Zeit
Seismometer Erdbeben aufzeichnen. Seither wurden im Himalaja vier starke
Erdbeben mit einer Magnitude von 8 und grösser registriert, jedoch keine in
Bhutan. Auch aus historischen Quellen haben wir keine eindeutigen Hinweise auf
starke Beben in Bhutan. Grosse
Erdbeben treten jedoch statistisch gesehen alle paar Jahrhunderte oder Jahrtausende
auf, weshalb das Ausbleiben von grösseren Erdbeben in letzter Zeit nicht mit
einer geringen Gefährdung einhergehen muss. Wir versuchen nun auch mit Hilfe des installierten
Netzwerks, die Erdbebenaktivität in Bhutan besser zu verstehen. Im angrenzenden
westlichen Nepal gibt es auch eine derartige Lücke von starken Erdbeben. Es
scheint, als gäbe es im Himalaja Gebiete, die weniger anfällig für starke Beben
sind.
Haben Sie momentan
eine Erklärung für diese spezielle Situation in Bhutan?
Wir haben zwei generelle Erklärungen, weshalb starke
Erdbeben bisher nicht verzeichnet wurden. Eine ist, dass sich entlang der
grossen Überschiebungen, an denen Erdbeben entstehen können, über Jahre bis
Jahrhunderte Spannung aufbaut, die sich irgendwann in einem gewaltigen Erdbeben
entlädt. Das zweite und gute Szenario für Bhutan
wäre, dass die Platten entlang der Verwerfung sehr langsam aber kontinuierlich
übereinander gleiten. Dadurch baut sich erst gar keine so grosse Spannung auf.
Im Moment haben wir noch keine Ahnung, welche Situation in Bhutan vorliegt.
Geben die
Feldbeobachtungen keine Hinweise auf frühere Erdbeben?
Kollegen aus Montpellier schauen derzeit in den Ablagerungen
der vergangenen Jahrtausende am Fusse des Himalajas, ob es an der Oberfläche
abrupte Wechsel oder entlang von Gesteinsschichten grössere Störungen gibt, in
denen eine Schicht um mehrere Meter gegen eine andere verschoben ist. Das wären
Hinweise auf stärkere Erdbeben, deren Zeitpunkt wir bestimmen könnten.
Ist die Pionierarbeit
des Schweizers Augusto Ganssers die Grundlage Ihrer heutigen Feldarbeit?
Gansser kartierte einst die Geologie Bhutans, nach ihm ist
auch unser Projekt benannt.
Seine geologische Karte zeigt uns, wie das Gebirge in Bhutan über Millionen von
Jahren entstanden ist. Sie ist für uns sehr wichtig, weil sie uns die
Langzeitentwicklung der Region aufzeigt und uns alle geologischen Informationen
der Oberfläche und über wenige hundert Meter in der Tiefe gibt. Mit unserer
seismischen Studie gehen wir nun in eine Tiefe von 70 bis 90 Kilometern. Damit
können wir untersuchen, wie die Tiefenstruktur der Kruste aussieht. Beides zusammen
wird uns helfen zu verstehen, wie sich der Himalaja entwickelt.
Wie lange werden Sie
das seismische Netzwerk betreiben?
Geplant ist, dass das Netzwerk bis im Frühling 2014
Messungen durchführt, also etwa 16 Monate. Temporäre Messungen müssen mindestens
ein Jahr laufen, damit wir sinnvolle Daten erhalten. Danach werden die mobilen
Instrumente für andere Projekte gebraucht.
Wäre es für Bhutan
nicht wichtig, ein permanentes Netzwerk zu haben?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wir diskutieren gerade mit dem
Departement für Geologie und Minen und dem Departement für
Katastrophenmanagement die Möglichkeiten eines permanenten Netzwerkes. Dasjenige,
das wir in der Schweiz haben, ist ein sehr gutes Beispiel. Wenn die Gespräche positiv
laufen, werden wir uns gemeinsam mit anderen Ländern um eine Finanzierung
bemühen, sodass wir in ein paar Jahren ein permanentes Netzwerk von 12 oder 15
Stationen installieren könnten. Bhutan verfügt derzeit nicht über die nötigen
finanziellen Mittel und Expertisen, um das Netzwerk alleine aufbauen zu können.
Wie kommen Sie an die
Messdaten heran?
Im Moment zeichnen lokale Minicomputer die Daten für jede
Station auf. Wir werden während des Messzeitraums drei Mal nach Bhutan reisen,
um zu schauen, ob alles in Ordnung ist und um die Daten zu kopieren. Wenn wir
im April die Zeit und die notwendigen Instrumente haben, installieren wir an
einigen Stationen Sender. Dann können wir die Daten über Wireless oder Satellit empfangen.
Wie ist die
Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Bhutan?
Die Fachleute in Bhutan unterstützen uns umfassend und verstehen sehr gut, was wir brauchen. Bis
hin zu den Leitern der Departemente Geologie und Risikomanagement besteht eine freundschaftliche
Beziehung, die in eine wertvolle und nachhaltige Zusammenarbeit mündet, die ich
sehr schätze.
Was waren die
grössten Hürden im Projekt?
Den Kontakt mit den richtigen Leuten in Bhutan herzustellen
und die Finanzierung zu sichern. Bhutan war ein abgeriegeltes Land, das sich
erst in den 1960ern etwas öffnete. Selbst heute bezahlt man als Tourist 250 US Dollar Visagebühren pro Tag. Schwierig war
es, den logistischen Teil unserer Expedition zu organisieren. Wir mussten zwei
Tonnen Material per Flugzeug von Zürich nach Bhutan schicken, was eine wahre
Herausforderung war. Ins Land kommt man nur mit einer Fluggesellschaft, die lediglich
einen Typ eines grossen Flugzeuges hat. Wir mussten kleinere Kisten als sonst
packen, damit sie in das Flugzeug passten. Und obwohl die bhutanesischen Geologen
die Zusammenarbeit sehr begrüssten, musste das Projekt zuvor von der «Gross National Happiness Commission»
geprüft werden.
Wie lange dauerte es
von der Vorbereitung bis zur Geländearbeit?
Vom ersten Kontakt bis zum Start vor Ort verging ein Jahr.
Das ist nicht sehr lange, aber für uns eine neue Erfahrung. Eine
Herausforderung war auch, alle Materialien, die wir brauchten und vor Ort
kaufen wollten, zu bekommen. Alle Verbrauchsgüter, die in Bhutan verkauft
werden, kommen aus Indien und die Strassenverhältnisse für den Transport sind
schwierig. Beispielsweise trafen die Batterien für die Messstationen mit
Verspätung ein und wir waren immer unsicher, ob alles klappt. Aber zum Schluss
gab es keine gravierenden Verspätungen. Wir sind wirklich sehr zufrieden, dass es
keine unliebsamen Zwischenfälle oder Unfälle gab.
Sie arbeiten im
Projekt auch mit Wissenschaftlern aus Frankreich und den USA zusammen.
Genau, mit den Kollegen aus Montpellier haben wir 2010
die Gravitationsmessungen durchgeführt. Wir machen nun die Seismologie, aber
auch da hilft uns eine Kollegin aus Montpellier. Wie erwähnt untersuchen Wissenschaftler
aus Frankreich die geologischen Abfolgen nach Spuren von Erdbeben.
Zudem versuchen sie, ein GPS-Netzwerk aufzuspannen. Wir arbeiten Hand in Hand,
aber jede Universität hat für einen bestimmten Aspekt den Lead. Unterstützung
aus den USA erhalten wir von einem Experten, der bereits rund um den Globus
seismologische Messstationen installiert hat und unseren Studenten sehr viel
beibringen kann.
Sie haben Ihre
Masterarbeit und Dissertation über den Himalaja gemacht. Was zieht sie immer
wieder dorthin?
Das ist eine gute Frage. Ich bin sehr gerne draussen in der
Natur. Da wo ich herkomme, aus Ungarn, sind die Berge sehr klein (lacht). Ich
bin kein Kletterer oder ausgesprochener Fan von sehr hohen Bergen, mache aber gerne
Wanderungen und Orientierungslauf. Letztendlich bin ich durch meine wissenschaftlichen Betreuer,
die im Himalaja-Gebiet forschten, zu dieser Region gekommen. Seit dem
fasziniert mich dieses Thema. Hinzu kommt, dass mich auch der Buddhismus sehr
beeindruckte, als ich zum ersten Mal im Himalaja war. Ich fand es sehr interessant,
die östlichen Kulturen und Denkart zu entdecken und sie mit den europäischen, jüdisch-christlichen
Traditionen und Lebensweisen zu vergleichen.
Zur Person
Der 33-jährige György Hetényi ist Oberassistent beim Schweizerischen Erdbebendienst und leitet für den Schweizerischen Erdbebendienst und die ETH Zürich das Projekt «Gansser» in Bhutan. Er hat über die Evolution und Deformation des Himalajas promoviert und ist spezialisiert auf die Geodynamik der kontinentalen Lithosphäre.
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