Veröffentlicht: 12.02.13
Science

Erdbebensituation in Bhutan klären

Forschende des Schweizerischen Erdbebendienstes haben in Zusammenarbeit mit der Gruppe Seismologie und Geodynamik der ETH Zürich sowie mit lokaler Unterstützung in Bhutan ein temporäres seismologisches Netzwerk installiert. Damit wollen sie eine Lücke in der geophysikalischen Erforschung des Himalajas schliessen.

Interview: Simone Ulmer
György Hetényi leitet das Projekt "Gansser" in Bhuthan. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)
György Hetényi leitet das Projekt "Gansser" in Bhuthan. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Die Erforschung der Geologie von Bhutan hat in der Schweiz Tradition. Der berühmte Geologe Augusto Gansser erstellte die erste, 1983 veröffentlichte geologische Karte von Bhutan. Im November 2010 haben Forscher der ETH Zürich und der Universität von Montpellier in Nepal und Bhutan umfassende Messungen von Unregelmässigkeiten der Massenverteilung im Untergrund durchgeführt. Mit diesen Daten gelang es erstmals, die Struktur der Grenze zwischen der indischen und der asiatischen Kontinentalplatte im östlichen Himalaja zu modellieren. Zwischen dem 7. Januar und 3. Februar 2013 installierte das ETH-Team in Zusammenarbeit mit Seismologen aus Bhutan nun ein temporäres seismisches Netzwerk. Im Interview mit ETH Life erklärt Projektleiter György Hetényi, Oberassistent beim Schweizerischen Erdbebendienst (SED), die Ziele und Hintergründe der Aktion.

Herr Hetényi, Sie sind mit Ihrem Team soeben aus Bhutan zurückgekehrt. Wie viele Seismometer haben Sie während der Feldarbeit installiert?
Nachdem die Projektfinanzierung letzten September vom SNF genehmigt wurde, bereiteten wir an der ETH während des Herbsts die Instrumente vor und verschickten im November und Dezember 38 Seismometer mit dem Flugzeug nach Bhutan. Diese haben wir nun alle installiert. Bhutan ist ungefähr so gross wie die Schweiz. Wir haben die Seismometer in zwei von Norden nach Süden verlaufenden Linien mit 14 und 16 Stationen angeordnet; acht befinden sich zwischen diesen Linien.

Bhutan ist geophysikalisch betrachtet ein weisser Fleck auf der Weltkarte. Es gibt bisher kaum seismologische Messungen von dieser Region. Mit dem temporären Netzwerk wollen Sie diese Lücke schliessen.
Genau. Wir möchten damit Einblick in die Struktur der Erdkruste gewinnen und uns ein Bild davon machen, wie die Berge unter der Oberfläche, tief in ihren Wurzeln aussehen. Die Erdkruste in Indien hat eine gewöhnliche Dicke von etwa 35 Kilometern. In Tibet ist die Kruste bereits doppelt so dick. Wie die Geometrie der Krustenverdickung dazwischen aussieht, also dort wo Bhutan liegt, ist nicht bekannt. Daran sind wir interessiert. Wir möchten herausfinden, ob die Unterschiede der Krustendicke auf grosse Bruchlinien hinweisen. Mögliche Bewegungen, könnten dort sehr grosse Erdbeben verursachen. Diese Struktur können wir durch seismische Aufzeichnungen sichtbar machen und darüber hinaus die Erdbebengefährdung einschätzen.
Unser zweites und genauso wichtiges Ziel besteht darin, die «Alltags-Erdbebenaktivität» Bhutans zu messen und zu beschreiben. Die Bevölkerung verspürt immer wieder kleinere und mässige Erschütterungen, aber wie viele Beben es gibt, wie stark diese sind und wo in Bhutan sie stattfinden, ist unbekannt.

Im Gegensatz zu anderen Regionen des Himalajas gab es in Bhutan in den vergangenen 120 Jahren keine nennenswerten Erdstösse. Wie erklären Sie sich das?
Diese Zeitspanne erwähnen wir, weil seit dieser Zeit Seismometer Erdbeben aufzeichnen. Seither wurden im Himalaja vier starke Erdbeben mit einer Magnitude von 8 und grösser registriert, jedoch keine in Bhutan. Auch aus historischen Quellen haben wir keine eindeutigen Hinweise auf starke Beben in Bhutan. Grosse Erdbeben treten jedoch statistisch gesehen alle paar Jahrhunderte oder Jahrtausende auf, weshalb das Ausbleiben von grösseren Erdbeben in letzter Zeit nicht mit einer geringen Gefährdung einhergehen muss. Wir versuchen nun auch mit Hilfe des installierten Netzwerks, die Erdbebenaktivität in Bhutan besser zu verstehen. Im angrenzenden westlichen Nepal gibt es auch eine derartige Lücke von starken Erdbeben. Es scheint, als gäbe es im Himalaja Gebiete, die weniger anfällig für starke Beben sind.

Haben Sie momentan eine Erklärung für diese spezielle Situation in Bhutan?
Wir haben zwei generelle Erklärungen, weshalb starke Erdbeben bisher nicht verzeichnet wurden. Eine ist, dass sich entlang der grossen Überschiebungen, an denen Erdbeben entstehen können, über Jahre bis Jahrhunderte Spannung aufbaut, die sich irgendwann in einem gewaltigen Erdbeben entlädt. Das zweite und gute Szenario für Bhutan wäre, dass die Platten entlang der Verwerfung sehr langsam aber kontinuierlich übereinander gleiten. Dadurch baut sich erst gar keine so grosse Spannung auf. Im Moment haben wir noch keine Ahnung, welche Situation in Bhutan vorliegt.

Geben die Feldbeobachtungen keine Hinweise auf frühere Erdbeben?
Kollegen aus Montpellier schauen derzeit in den Ablagerungen der vergangenen Jahrtausende am Fusse des Himalajas, ob es an der Oberfläche abrupte Wechsel oder entlang von Gesteinsschichten grössere Störungen gibt, in denen eine Schicht um mehrere Meter gegen eine andere verschoben ist. Das wären Hinweise auf stärkere Erdbeben, deren Zeitpunkt wir bestimmen könnten.

Ist die Pionierarbeit des Schweizers Augusto Ganssers die Grundlage Ihrer heutigen Feldarbeit?
Gansser kartierte einst die Geologie Bhutans, nach ihm ist auch unser Projekt benannt. Seine geologische Karte zeigt uns, wie das Gebirge in Bhutan über Millionen von Jahren entstanden ist. Sie ist für uns sehr wichtig, weil sie uns die Langzeitentwicklung der Region aufzeigt und uns alle geologischen Informationen der Oberfläche und über wenige hundert Meter in der Tiefe gibt. Mit unserer seismischen Studie gehen wir nun in eine Tiefe von 70 bis 90 Kilometern. Damit können wir untersuchen, wie die Tiefenstruktur der Kruste aussieht. Beides zusammen wird uns helfen zu verstehen, wie sich der Himalaja entwickelt.

Wie lange werden Sie das seismische Netzwerk betreiben?
Geplant ist, dass das Netzwerk bis im Frühling 2014 Messungen durchführt, also etwa 16 Monate. Temporäre Messungen müssen mindestens ein Jahr laufen, damit wir sinnvolle Daten erhalten. Danach werden die mobilen Instrumente für andere Projekte gebraucht.

Wäre es für Bhutan nicht wichtig, ein permanentes Netzwerk zu haben?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wir diskutieren gerade mit dem Departement für Geologie und Minen und dem Departement für Katastrophenmanagement die Möglichkeiten eines permanenten Netzwerkes. Dasjenige, das wir in der Schweiz haben, ist ein sehr gutes Beispiel. Wenn die Gespräche positiv laufen, werden wir uns gemeinsam mit anderen Ländern um eine Finanzierung bemühen, sodass wir in ein paar Jahren ein permanentes Netzwerk von 12 oder 15 Stationen installieren könnten. Bhutan verfügt derzeit nicht über die nötigen finanziellen Mittel und Expertisen, um das Netzwerk alleine aufbauen zu können.

Wie kommen Sie an die Messdaten heran?
Im Moment zeichnen lokale Minicomputer die Daten für jede Station auf. Wir werden während des Messzeitraums drei Mal nach Bhutan reisen, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist und um die Daten zu kopieren. Wenn wir im April die Zeit und die notwendigen Instrumente haben, installieren wir an einigen Stationen Sender. Dann können wir die Daten über Wireless oder Satellit empfangen.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Bhutan?
Die Fachleute in Bhutan unterstützen uns umfassend und verstehen sehr gut, was wir brauchen. Bis hin zu den Leitern der Departemente Geologie und Risikomanagement besteht eine freundschaftliche Beziehung, die in eine wertvolle und nachhaltige Zusammenarbeit mündet, die ich sehr schätze.

Was waren die grössten Hürden im Projekt?
Den Kontakt mit den richtigen Leuten in Bhutan herzustellen und die Finanzierung zu sichern. Bhutan war ein abgeriegeltes Land, das sich erst in den 1960ern etwas öffnete. Selbst heute bezahlt man als Tourist 250 US Dollar Visagebühren pro Tag. Schwierig war es, den logistischen Teil unserer Expedition zu organisieren. Wir mussten zwei Tonnen Material per Flugzeug von Zürich nach Bhutan schicken, was eine wahre Herausforderung war. Ins Land kommt man nur mit einer Fluggesellschaft, die lediglich einen Typ eines grossen Flugzeuges hat. Wir mussten kleinere Kisten als sonst packen, damit sie in das Flugzeug passten. Und obwohl die bhutanesischen Geologen die Zusammenarbeit sehr begrüssten, musste das Projekt zuvor von der «Gross National Happiness Commission» geprüft werden.

Wie lange dauerte es von der Vorbereitung bis zur Geländearbeit?
Vom ersten Kontakt bis zum Start vor Ort verging ein Jahr. Das ist nicht sehr lange, aber für uns eine neue Erfahrung. Eine Herausforderung war auch, alle Materialien, die wir brauchten und vor Ort kaufen wollten, zu bekommen. Alle Verbrauchsgüter, die in Bhutan verkauft werden, kommen aus Indien und die Strassenverhältnisse für den Transport sind schwierig. Beispielsweise trafen die Batterien für die Messstationen mit Verspätung ein und wir waren immer unsicher, ob alles klappt. Aber zum Schluss gab es keine gravierenden Verspätungen. Wir sind wirklich sehr zufrieden, dass es keine unliebsamen Zwischenfälle oder Unfälle gab.

Sie arbeiten im Projekt auch mit Wissenschaftlern aus Frankreich und den USA zusammen.
Genau, mit den Kollegen aus Montpellier haben wir 2010 die Gravitationsmessungen durchgeführt. Wir machen nun die Seismologie, aber auch da hilft uns eine Kollegin aus Montpellier. Wie erwähnt untersuchen Wissenschaftler aus Frankreich die geologischen Abfolgen nach Spuren von Erdbeben. Zudem versuchen sie, ein GPS-Netzwerk aufzuspannen. Wir arbeiten Hand in Hand, aber jede Universität hat für einen bestimmten Aspekt den Lead. Unterstützung aus den USA erhalten wir von einem Experten, der bereits rund um den Globus seismologische Messstationen installiert hat und unseren Studenten sehr viel beibringen kann.

Sie haben Ihre Masterarbeit und Dissertation über den Himalaja gemacht. Was zieht sie immer wieder dorthin?
Das ist eine gute Frage. Ich bin sehr gerne draussen in der Natur. Da wo ich herkomme, aus Ungarn, sind die Berge sehr klein (lacht). Ich bin kein Kletterer oder ausgesprochener Fan von sehr hohen Bergen, mache aber gerne Wanderungen und Orientierungslauf. Letztendlich bin ich durch meine wissenschaftlichen Betreuer, die im Himalaja-Gebiet forschten, zu dieser Region gekommen. Seit dem fasziniert mich dieses Thema. Hinzu kommt, dass mich auch der Buddhismus sehr beeindruckte, als ich zum ersten Mal im Himalaja war. Ich fand es sehr interessant, die östlichen Kulturen und Denkart zu entdecken und sie mit den europäischen, jüdisch-christlichen Traditionen und Lebensweisen zu vergleichen.

Zur Person

Der 33-jährige György Hetényi ist Oberassistent beim Schweizerischen Erdbebendienst und leitet für den Schweizerischen Erdbebendienst und die ETH Zürich das Projekt «Gansser» in Bhutan. Er hat über die Evolution und Deformation des Himalajas promoviert und ist spezialisiert auf die Geodynamik der kontinentalen Lithosphäre.

 
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