Veröffentlicht: 30.03.11
Kolumne

Schlechterstellung ohne Frauen

Renate Schubert
Renate Schubert, Professorin für Nationalökonomie der ETH Zürich und Delegierte des Präsidenten für Chancengleichheit. (Bild: zVg Renate Schubert)
Renate Schubert, Professorin für Nationalökonomie der ETH Zürich und Delegierte des Präsidenten für Chancengleichheit. (Bild: zVg Renate Schubert) (Grossbild)

Anfang März informierte die Equal-Stelle darüber, dass der neue Gender-Monitoring Bericht der ETH Zürich nun auch auf Englisch verfügbar sei. Dies bescherte unserer Stelle zahlreiche Mail-Kommentare. Über den Tenor mancher dieser Kommentare war ich erstaunt: Ja, es gebe zwar wenig Frauen in Naturwissenschaft und Technik, aber das entspräche den Wünschen der Frauen. Und ausserdem sei der geringe Frauenanteil nicht mit negativen Konsequenzen für die Gesellschaft verbunden. Ganz im Gegenteil: Wenn Frauen nicht oder nur Teilzeit arbeiten, würden doch die Kinder besser versorgt. Sich damit zu beschäftigen, wie man die Anzahl von Frauen in Top-Positionen der Wissenschaft vergrössern könne, stelle demgegenüber eine Verschwendung von Zeit und Geld dar. Ist das tatsächlich so?

Der aktuelle Gender-Monitoring Bericht der ETH Zürich lässt zunächst keinen Zweifel zu: Die Luft für Frauen wird dort dünn, wo die naturwissenschaftlich-technische Wissenschaft besonders spannend ist, nämlich auf den akademischen Stufen jenseits des Doktorats. Beträgt der Frauenanteil bei den Doktorierenden noch ca. 30 Prozent, so sinkt er anschliessend sukzessive ab und fällt auf nur noch 8 Prozent bei den ordentlichen und ausserordentlichen Professuren. Eine Tendenz, die man im Übrigen nicht nur an der ETH Zürich, sondern an sehr vielen Hochschulen im In- und Ausland findet.

Macht es nun etwas aus, dass Frauen in den Top-Positionen von Naturwissenschaft und Technik untervertreten sind? Untervertreten deshalb, weil sie bei den Maturaabschlüssen schweizweit einen Anteil von mehr als 50 Prozent haben und auch bei den Studienabschlüssen noch bei knapp 30 Prozent liegen. Also nochmals: Gibt es Nachteile dadurch, dass wir an der ETH nur ca. 10 Prozent Professorinnen und 25 Prozent weibliche Senior Researchers haben?

Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Ja! Ein Land wie die Schweiz hat durch den geringen Anteil von Frauen unter den Forschung-Profis deutliche Nachteile. Bleibt man bei tiefen Frauenanteilen, muss die Schweiz mittel- und langfristig mit Einbussen beim Pro-Kopf-Einkommen und mit einem allgemein tieferen Lebensstandard rechnen. Nur wer das unterstützt, kann es sich leisten, Bemühungen um einen höheren Frauenanteil in leitenden Positionen in Wissenschaft und Wirtschaft abzuqualifizieren. Bleiben Frauen anspruchsvollen Aufgaben in Naturwissenschaft und Technik nach wie vor in grossem Stil fern, ist eine Schlechterstellung für uns alle die logische Folge. Hier folgen ein paar Erklärungen:

Zunächst haben die Investitionen von Steuerzahlerinnen und -zahlern, Frauen in Hochschulen auszubilden und viele von ihnen bis zum Doktorat zu führen, eine tiefe Rendite, wenn die Frauen anschliessend Tätigkeiten nachgehen, für die sie ihre akademische Ausbildung nicht brauchen. Die Gesellschaft nutzt in diesem Fall das vorhandene und durch die Ausbildungsaktivitäten entwickelte Potenzial der Frauen nur in sehr eingeschränktem Umfang… Ein Grossteil des Potenzials geht verloren, wenn Frauen nach dem Doktorat beruflich zurückstecken und sich vor allem um die Betreuung von Familienangehörigen - Kinder, Eltern - kümmern. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist dies eine Verschwendung.

Es gibt einen weiteren interessanten Nachteil. In einem männerdominierten Forschungsumfeld sind auch die Forschungsinhalte männlich geprägt. Dadurch können viele neue Produkte ihren Nutzen für die Bevölkerung nicht voll entfalten – auch dies ein Wohlfahrtsverlust. Das beste Beispiel sind Medikamente, die traditionell für weisse junge Männer getestet wurden. Da sich niemand Gedanken über Wirkungen und Verträglichkeiten bei anderen Gruppen machte, blieb der Nutzen der Medikamente unter den Möglichkeiten. Sicherheitsgurte in Autos, ursprünglich entwickelt für Männer in Militärfahrzeugen, sind ein weiteres Beispiel. Die auf männliche Masse ausgerichteten Gurten führen bei weniger gross gewachsenen Frauen zu «Würgemalen» am Hals. Die Liste der Produkte, die Männer für Männer entwickelten und designten und die folglich Frauen nur eingeschränkt nützen, lässt sich fast beliebig fortsetzen.

All diese Dinge werden stärker beachtet, wenn es in der Wissenschaft mehr Frauen gibt, die sich über die Promotion hinaus engagieren. Spannend ist auch, dass die Methoden und Blickwinkel, mit denen Frauen an bestimmte Dinge herangehen, anders sind als die der Männer. Die Palette der Sichtweisen wird also sehr viel umfassender, wenn Frauen eine angemessene Rolle in der Wissenschaft spielen. Auch die Interdisziplinarität betreiben Frauen viel intensiver als Männer…

Schliesslich darf man auch die künftige demografische Entwicklung nicht vergessen. Es ist absehbar, dass in den nächsten Jahrzehnten weniger Männer am Schweizer Arbeitsmarkt verfügbar sind. Das bisherige Pro-Kopf-Einkommen und der damit verbundene Lebensstandard kann nur dann aufrechterhalten werden, wenn qualifizierte Frauen den Arbeitsmarkt verstärken. Dies ist auch deswegen für die Schweiz so wichtig, weil sich in vielen anderen Ländern, beispielsweise im asiatischen Raum, in diesem Bereich viel tut. Passen wir nicht auf, haben uns die anderen in Sachen Wettbewerbsfähigkeit schnell überholt.

Angesichts all dieser Aspekte wird deutlich: Wir brauchen mehr Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Top-Positionen. Aber woran liegt es eigentlich, dass uns die Frauen dafür fehlen? Antworten auf diese Frage gibt es in meiner nächsten Kolumne.

Zur Autorin

Renate Schubert ist Professorin für Nationalökonomie im Departement für Geistes- und Sozialwissenschaften (D-GESS) und leitet seit Sommer 2006 das Institut für Umweltentscheidungen (IED), das sie mitbegründet hat. Renate Schubert kam 1993 an die ETH Zürich und war zuvor Professorin in Regensburg und Tübingen (1990 bis 1992). Sie war und ist für verschiedene Gremien als Beraterin tätig, darunter so namhafte wie die Eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen oder der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU) in Deutschland. Diesem Beirat gehört sie seit dem Jahr 2000 an und präsidierte ihn von 2004 bis 2008. Renate Schuberts Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Entscheidungs- und Risikoforschung, Energie- und Umweltökonomie, Klimapolitik sowie Frauenforschung. Ihr Engagement in Frauenfragen hat ihr an der ETH ein weiteres Amt eingetragen: Seit Dezember 2008 ist sie Delegierte des ETH-Präsidenten für Chancengleichheit. Renate Schubert lebt mit ihrer Familie in Zürich und Fribourg.