Veröffentlicht: 23.02.11
Campus

«Von Guttenberg-Entscheid hat Auswirkung für gesamte Wissenschaft»

Für einmal haben die Dozenten von ihren Studenten gelernt: Dank Internet ist nicht nur das Plagiat viel einfacher geworden, sondern auch seine Entlarvung. Das war vor neun Jahren, als der deutsche Verteidigungsminister von Guttenberg seine Dissertation begann, noch anders.

Samuel Schläfli
Das Plagiat, eine Art Erkenntnis-Klau aus bestehenden Texten, ist in den Sozialwissenschaften verbreiteter als in den Naturwissenschaften. Dort sind vor allem Fälschungen ein Problem. (Bild: ETH Life)
Das Plagiat, eine Art Erkenntnis-Klau aus bestehenden Texten, ist in den Sozialwissenschaften verbreiteter als in den Naturwissenschaften. Dort sind vor allem Fälschungen ein Problem. (Bild: ETH Life)

Selbst für jemanden, der sich über 577 Seiten mit dem Plagiat auseinandergesetzt hat, ist der Fall von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg aussergewöhnlich. Über ein Fünftel der Doktorarbeit ist laut der Internetplattform «GuttenPlag Wiki» fremden Quellen entnommen, ohne dass diese im Quellenverzeichnis ausgewiesen sind. «Das ist ein Ausnahmefall. Bei Dissertationen kommen dermassen ausgeprägte Plagiate äusserst selten vor», sagt Philipp Theisohn, Oberassistent an der Professur für Literatur- und Kulturwissenschaft der ETH Zürich. 2009 hat er sich in seinem Buch «Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte» ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Für ihn sagt ein Plagiat immer auch etwas über den Autor aus: «Wer dermassen plagiiert wie Herr von Guttenberg, hat null Passion für die Wissenschaften.»

Fast noch schlimmer als das eigentliche Plagiat, findet der Literaturwissenschaftler zu Guttenbergs anfänglicher Reaktion. Dieser hatte die Anschuldigungen zuerst als abstrus bezeichnet: «Die öffentliche Respektlosigkeit gegenüber den Wissenschaften ist erschreckend. Es zeugt für mich von einem Verständnis, dass Titel wichtiger sind als wissenschaftliche Inhalte», so Theisohn. Für ihn steht fest, dass die Hochschule Bayreuth Herrn von Guttenberg den Doktortitel aberkennen muss. «Der Entscheid von Bayreuth hat Auswirkungen auf den gesamten Wissenschaftsbetrieb», ist Theisohn überzeugt. «Ansonsten bedeutet das, dass Forschung auch ohne eigenen geistigen Beitrag möglich ist. Dann können renommierte Hochschulen wie die ETH eigentlich gleich zu machen!»

Risiko bei externen Promovierenden höher

Für den Literaturwissenschaftler zeigt sich am aktuellen Fall ein bekanntes Muster: Herr von Guttenbergs Arbeit erschien 2009, davor hatte er rund sieben Jahre als externer Promovierender neben seiner Berufstätigkeit an dem 475-seitigen Werk geschrieben. Vor rund zehn Jahren hätten Studierende und Doktorierende damit begonnen, sich im grossen Stil an Inhalten aus dem Internet zu bedienen, so Theisohn. Die copy/paste-Funktion erschien damals vielen als ein Segen und nur die wenigsten konnten sich vorstellen, wie einfach es einst sein würde, mit eben diesem Internet Plagiaten auf die Spur zu kommen. Hinzu kommt im Fall zu Guttenberg: «Bei externen Promovierenden ist die Betreuung und damit auch die Kontrolle durch einen Doktorvater viel geringer, als bei jemandem, der an einer Universität vor Ort forscht», sagt Theisohn.

Bei Dissertationen sind Plagiate an der ETH äusserst selten. Das sei unter anderem auf einen inhaltlichen Unterschied zwischen ETH und anderen Universitäten zurückzuführen, erklärt der Prorektor Lehre der ETH Zürich, Hans Rudolf Heinimann. An der ETH würden je länger je weniger Dissertationen in Form von Monografien, also einzelnen Handbüchern verfasst, wie im Fall von zu Guttenberg. Kumulative Dissertationen, innerhalb welcher mehrere Publikationen in Fachmagazinen veröffentlicht werden, seien an der ETH der Normalfall, so Heinimann. Da solche Artikel ein «Peer Review», also eine Prüfung durch mehrere Wissenschaftler aus dem eigenen Fachgebiet, durchlaufen, würden Plagiate meist schon früh aufgedeckt.

Für Theisohn besteht zudem ein wichtiger Unterschied zwischen den Sozial- und Naturwissenschaften. In den Naturwissenschaften seien Plagiate seltener; vielmehr seien Fälschungen von Ergebnissen dort das zentrale Problem. In den «Buchwissenschaften» hänge jedoch die Erkenntnis sehr viel stärker an der Form der Sprache. Entsprechend sei das Plagiat ­– eine Art Erkenntnis-Klau aus bestehenden Texten - dort häufiger zuhause.

Risiko für copy/paste zu hoch

Grundsätzlich sei die Anzahl Plagiate bei den Studierenden trotz der hohen Versuchung des copy/paste im Internet in den vergangenen Jahren rückläufig, ist Theisohn überzeugt. An der Professur für Literatur- und Kulturwissenschaft zum Beispiel sei es in den vergangenen zweieinhalb Jahren lediglich in wenigen Einzelfällen zu Plagiaten bei Semester- oder Abschlussarbeiten gekommen. Die Überprüfung sei heute dermassen einfach geworden, dass das Risiko fürs Abkupfern aus dem Internet schlicht zu hoch ist. «Heute sind insbesondere Studenten, egal an welcher Hochschule, bezüglich Urheberrechte übersensibilisiert.» Seine Studierenden würden eher zu viele Fussnoten setzen als zu wenig.

Das könnte unter anderem an der abschreckenden Wirkung von aufgedeckten Plagiaten liegen, glaubt Prorektor Heinimann: «An der ETH fahren wir eine harte Linie.» Landet ein Plagiatsfall beim Prorektor Lehre auf dem Tisch, beginnt automatisch ein Disziplinarverfahren. In den letzten zehn Monaten geschah dies in neun Fällen. Immer werden die Betroffenen angehört. Im Auftrag der Rektorin entscheidet der Prorektor anschliessend je nach Schweregrad des Vergehens und gestützt auf die Disziplinarverordnung der ETH über eine angemessene Massnahme. Für die Betroffenen bedeutet dies im besten Fall, eine nicht bestandene Arbeit. Bei Wiederholungsfällen und vorsätzlicher Täuschung sei jedoch auch ein Verweis von der Schule denkbar, betont Heinimann. Das ist in seiner Amtszeit bislang jedoch noch nie vorgekommen.

ETH setzt auf Vorbeugung

Heinimann setzt in erster Linie auf Prävention und die Stärkung einer Kultur der Null-Toleranz: Es ist deshalb Aufgabe der Dozierenden, die Studierenden noch vor der ersten Arbeit in die gebräuchlichen Formen des Zitierens in der jeweiligen Disziplin einzuführen. Jeder abgegebenen Arbeit ist eine Selbständigkeitserklärung beizulegen. Darin bestätigt der Studierende, dass die Arbeit selbständig verfasst wurde und man mit den Regelungen der Hochschule bezüglich Plagiaten, die in einem Merkblatt festgehalten sind, vertraut ist. Hegen Dozenten dennoch einen Plagiatsverdacht - oft aufgrund von Stilbrüchen in einem Text -, so können sie seit November 2010 die Arbeit mithilfe der Software «Docoloc» überprüfen. Verdächtige Textpassagen werden dann direkt mit entsprechenden Quellen aus dem Internet verlinkt. Unter Generalverdacht will man Studierende und Doktorierende jedoch nicht stellen. Eine standardmässige Überprüfung aller Arbeiten über «Docoloc» ist derzeit nicht geplant.

Ein Merkblatt der ETH Zürich zu Plagiaten sowie ein Beschrieb des Disziplinarverfahrens sind auf dieser Website zu finden.

 
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