Veröffentlicht: 14.09.10
Science

Bewegte Betten gegen Wundliegen

Das Jungunternehmen «compliant concept» erhält Auszeichnung um Auszeichnung. Am 31. August wurde der Spin-off der ETH Zürich und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa mit dem KTI Medtech Award ausgezeichnet. Die Firma entwickelt ein Pflegebett, das Wundliegen verhindern und damit die Kosten in der Pflegebranche senken kann.

Lukas Langhart
Ein aktiv verformbarer Lattenrost lagert Bettinsassen sanft um. (Bild: compliant concept GmbH)
Ein aktiv verformbarer Lattenrost lagert Bettinsassen sanft um. (Bild: compliant concept GmbH) (Grossbild)

Das Druckgeschwür, der sogenannte Dekubitus, ist eine der meistgefürchteten Komplikationen in der Krankenpflege. Ist ein Körperteil einer konstanten Druckbelastung ausgesetzt, kann das Blut nicht mehr richtig zirkulieren, so dass Nerven mit der Zeit irreversibel geschädigt werden und das betroffene Gewebe langsam abstirbt. Gesunde Menschen lagern sich deshalb im Schlaf regelmässig reflexartig um. Bei vielen bettlägerigen Personen funktioniert jedoch dieser Reflex nicht mehr; ältere oder kranke Leute können ihre Liegeposition oft nicht mehr aus eigener Kraft verändern. An diesem Punkt greift normalerweise das Pflegepersonal ein, welches diese Personen in regelmässigen Abständen umlagert. Dies raubt den Patienten den nächtlichen Schlaf und fordert von den Pflegenden viel Zeit und Kraft, die dank «compliant concept» vielleicht bald anderweitig investiert werden kann. Denn die noch junge Firma entwickelt derzeit ein Bett, das die Umlagerung bettlägeriger Personen autonom durchführt – ohne Zutun der Pflegeangestellten.

40 Grad in 30 Minuten

Das Besondere an diesem Bett ist der gelenklose bewegliche Lattenrost, der die Bewegungen des selbständigen Umlagerns einer gesunden Person nachahmt. Dies geschieht nicht etwa ruckartig, sondern langsam und stufenlos; innert einer Viertelstunde wird der Körper um 20 Grad nach links oder rechts gedreht. Eine vollständige Umlagerung von der einen auf die andere Seite umfasst damit 40 Grad und dauert eine halbe Stunde.

Der Prototyp durfte vor kurzem zum Praxistest im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil antreten, wo er laut Michael Sauter, Gründer und Geschäftsführer von «compliant concept», die erste Bewährungsprobe bestanden hat: «Die Testpersonen lobten vor allem den einwandfreien Komfort und das Transferverhalten, also das Ein- und Aussteigen». Noch gäbe es jedoch das Eine oder Andere zu optimieren. Ende September geht der Praxistest in eine zweite Phase, in der die Betten über mehrere Stunden getestet werden. Spätestens Anfang 2011 sollen die Betten ihre Über-Nacht-Tauglichkeit unter Beweis stellen. Ein Jahr später ist das Produkt laut Businessplan von «compliant concept» reif für den Markt.

Ein Preis nach dem anderen

Vor knapp einem Jahr gewann der ETH-Empa-Spin-off bereits den 150'000 Franken schweren Jungunternehmerpreis der Winterthurer Robert-und-Ruth-Heuberger-Stiftung. Im Frühling dieses Jahres wurde Michael Sauter beim grössten Schweizer Business-Wettbewerb «Venture» für seine innovative Geschäftsidee ausgezeichnet. Und vor wenigen Tagen folgte der «KTI Medtech Award», der mit 10'000 Franken dotierte Medizintechnik-Preis der Förderagentur für Innovation des Bundes. Michael Sauter und sein dreiköpfiges Team sind stolz auf diese Erfolge, die teilweise ansehnliche Beträge in die Geschäftskasse spülen. Der Geschäftsführer betont, dass das Unternehmen dennoch auf der Suche nach geeigneten Investoren ist. Derzeit steht Sauter in Verhandlung mit einem der grössten Pflegebetthersteller Europas. Nicht nur Gelder, sondern auch solche Partnerschaften sind wichtig: «Wir wollen keine Produktionsfirma sein», sagt Sauter, «wir wollen in erster Linie weiter entwickeln und neue Produkte kreieren.»

Weshalb hat eigentlich Sauter, der 2008 sein Doktorat am Centre of Structure Technologies der ETH Zürich abschloss, den Schritt in die Selbständigkeit gewagt? Bereits während seines Doktorats beschäftigte er sich mit gelenkloser Mechanik, tüftelte an einem adaptiven Autositzkonzept. Als im Rahmen eines Venture-Kurses an der ETH seine Lattenrost-Idee in die Hände des Arztes Walter O. Seiler geriet – seines Zeichens Dekubitus-Experte und Koryphäe auf dem Gebiet der geriatrischen Medizin – und dieser sofort von Sauters Vision begeistert war, verflogen auch die letzten Bedenken. Ende Mai 2009 erfolgte die offizielle Gründung als Spin-off von ETH und Empa.

Entlastung für das Pflegepersonal

Haben die Pflegeinstitutionen überhaupt Geld für die Betten von «compliant concept»? Ihr Produkt sei rund doppelt so teuer wie ein herkömmliches Pflegebett, meint Geschäftsführer Sauter. Trotzdem ist er zuversichtlich, im Markt Fuss fassen zu können: «Unsere Betten sind zwar teurer, dafür wird das Pflegepersonal stark entlastet.» Beim sich androhenden Fachkräftemangel in der Pflegebranche kommt Sauters Produkt folglich sehr gelegen und scheinbar genau rechtzeitig: «Von unseren Betten profitieren die Patienten, das Personal, die Pflegeinstitute – und in Hinsicht auf die steigenden Gesundheitskosten die ganze Gesellschaft.»

In der interdisziplinären Medtech-Branche fühlt sich Sauter wohl; sie sei innovationsreich und darum besonders spannend. Ob sich der Wirkungskreis seines Unternehmens auch in Zukunft auf diese Branche beschränken soll, ist derzeit noch offen. Auf der Firmenwebsite ist folgende Vision zu lesen: «Ziel ist es, neue Technologien zu entwickeln, die den Alltag erleichtern.» Das klingt diplomatisch-vielversprechend. Nur eines ist sicher: Das Anti-Dekubitus-Bett wird nicht das letzte Produkt aus dem Hause «compliant concept» gewesen sein.

 
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