«Ich habe meinen Ruf aufs Spiel gesetzt»
Professor Didier Sornette vom Departement Management, Technologie und Ökonomie (D-MTEC) der ETH Zürich ist überzeugt, dass die Finanzmärkte nicht einfach zufällig sind. Sein Financial Crisis Observatory hat ein Experiment gewagt, um zu beweisen, dass man Finanzblasen vorhersagen kann. Am 3. Mai 2010 präsentierte er die Resultate.
Didier Sornette,
Professor für unternehmerische Risiken an der ETH Zürich, hat zwei
Hypothesen:
Erstens man kann Blasen in Echtzeit prognostizieren, bevor sie enden und
zweitens kann man das Ende dieser Blasen durch eine auf
Wahrscheinlichkeit
basierende Vorhersage besser eingrenzen als durch Zufall. Da diese
beiden
Thesen kontrovers diskutiert werden und bislang die Beweise fehlten,
starteten
Professor Sornette und sein Team vom Financial Crisis Observatory (FCO)
ein
ausserordentliches Experiment: Bei vier ausgewählten Finanztiteln sagten
sie
voraus, dass diese in den nächsten sechs Monaten eine Blase bilden
werden und
wann dies geschehen wird. Um die Seriosität und Integrität des
Experimentes zu
sichern, wurden die Vorhersagen öffentlich gemacht und verschlüsselt.
«Regime-shifts» erkennen
Niemand verfügt heute über zuverlässige quantitative Methoden, die es erlauben festzustellen, ob sich der Markt oder ein bestimmter Finanztitel im Zustand einer Blase befindet. Ein Problem dabei ist, dass die zahlreichen ökonomischen Theorien und Modelle keine allgemeingültige und quantifizierbare Definition für eine Blase liefern. Neue Ansätze und multidisziplinäre sind angesichts der Komplexität des Finanzmarktes daher notwendig. So arbeitet Didier Sornette mit einem Portfolio von Methoden aus sehr unterschiedlichen Fachgebieten wie Ökonomie, Physik und Mathematik.
Tatsächlich zeigen die Resultate des Financial Bubble Experiment (FBE), dass die Dynamik der Finanzmärkte eine erkennbare Struktur aufweist. Mehr noch, die Resultate belegen, dass die Dynamik der Finanzmärkte – einem sogenannten – «Regime-shift» unterliegt. Gemeint ist damit, dass Phasen starken Wachstums abgelöst werden von solchen, die nur moderates Wachstum oder gar Einbrüchen ausweisen, oder umgekehrt. Das Zerplatzen einer Blase ist ein extremes Beispiel für einen Regime-shift. Folgende Daten wurden beim FBE als Indikatoren für Regime-shift verwendet: Erstens das Ausmass des Preiszerfalls, zweitens der Anteil der «guten Tage» (das sind diejenigen Tage in einer gewissen Zeitspanne, an denen der Preis steigt) sowie drittens die Wachstumsrate des Preises.
Die ausgewählten Titel
Aus der Menge der vom FCO beobachteten Titel wurden diejenigen ausgewählt, bei denen die Wissenschaftler einen derartigen Wendepunkt innerhalb des nächsten halben Jahres erwartet haben. Es handelt sich um Brazil IPOVESPA, ein Merrill Lynch EMU (European Monetary Union) Corporates Non-Financial Index, den Goldpreis, sowie den Preis von Baumwolle futures. Die Prognosen für die ersten drei Titel wurden am 2. November 2009, die Vorhersage über die Baumwolle futures am 23. Dezember 2009 gemacht.
Gemäss Sornettes Theorie sollten drei der vier Titel einen deutlichen Regime-shift aufweisen, während der letzte in einer wachsenden Blase bleibt. Da ein Rauschen der Daten zum Finanzsystem gehört (siehe Kasten), gibt das FCO ihre Prognosen in Form von Wahrscheinlichkeiten an und zwar innerhalb zweier Zeitfenster. Im einen wird der Wendepunkt mit 60%-iger Wahrscheinlichkeit erwartet, im zweiten mit 90%-iger Wahrscheinlichkeit.
Prognosen und Resultate
Drei Titel einen Regime-shift auf und zwar entweder innerhalb (Brazil IBOVEST, Gold und Baumwolle) oder kurz vor dem vorhergesagten Zeitfenster (Merrill Lynch bond index), stützen die getroffenen Hypothesen. Die Baumwolle war bereits in einer Blase und ist immer noch in dieser, ohne dass ein klarer Regime-shift zu erkennen ist, womit sich die erste der Hypothesen bestätigt.
Brazil IBOVEST
Prognose: Vom 19.10.2009 bis 17.12.2009 liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Regime-shift bei 95%, vom 27.10.2009 bis 29.11.2010 bei 60%.
Resultat: Der Regime-shift beginnt innerhalb des Vorhersagefensters. Innerhalb dieses Fensters fällt der Anteil der «guten Tage» ausgehend von einem Spitzenwert deutlich ab; ebenfalls innerhalb dieses Fensters bricht die Wachstumsrate des Preises ein. Ein starker Preiseinbruch von 11% innerhalb von 30 Tagen findet ungefähr zwei Wochen nach dem Ende des Vorhersagefensters statt.
Merrill Lynch EMU bond index
Prognose: Vom 11.10.2009 bis 9.2.2010 liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Regime-shift bei 95%, vom 27.10.2009 bis 16.1.2010 bei 60%.
Resultat: Der Regime-shift begann bereits ein bis zwei Monate vor dem Vorsagefenster. Es konnte bestätigt werden, dass sich der Merrill Lynch EMU Index in einer Blase befand, die allerdings bereits vor dem Startdatum geendet hatte. Das ist erst im Rückblick aufgrund der Analyse der vergangenen sechs Monate erkennbar. Der kürzlich entwickelte Blasenindex bestätigt, dass dieser Titel tatsächlich dabei war, aus der Blase auszusteigen. Heute befindet sich der Titel definitiv nicht mehr in einer Blase.
Gold
Prognose: Vom 13.10.2009 bis 7.9.2010 liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Regime-shift bei 95%, vom 5.11.2009 bis 25.2.2010 bei 60%.
Resultat: Der Regime-shift findet innerhalb des Vorhersagefensters statt: der Preis fällt um 11 % innerhalb von 20 Tagen und insgesamt um 13% während 68 Tagen. Die anderen Indikatoren bestätigen dies.
Baumwolle
Prognose: Vom 5.12.2009 bis 9.4.2010 liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Regime-shift bei 95%, vom 31.12.2009 bis 16.3.2010 bei 60%.
Resultat: Für
den Preis der
Baumwolle futures machen die bisher implementierten Metriken keine
eindeutige
Aussagen. Hingegen diagnostiziert der Blasenindex des Forschungsteams
eine
bestehende und sich verstärkende Blase. Der Zeitpunkt des starken
Preisverlustes von Baumwolle (12% in 30 Tagen) fällt in das
Vorhersagefenster.
Dies kann man als einen teilweisen Erfolg oder Misserfolg ansehen, denn
die
heutigen Indikatoren des FCO sagen, dass die Blase noch nicht beendet
ist, was
nahelegt, dass eine «Baby-Blase» gefunden wurde, die noch wächst.
Beurteilung des Experiments
Dieser Versuch ist der erste einer ganzen Reihe von Experimenten. Die gewonnen Erkenntnisse sollen in die weiteren Versuchsreihen einfliessen. In erster Linie wollen die Wissenschaftler die Diagnosemethoden und Metriken weiterentwickeln und den Selektionsalgorithmus verbessern. «Wir werden in regelmässigen Abständen weitere Experimente machen. Nächste Woche veröffentlichen wir neue Voraussagen für sieben neue Finanzblasen. Diese Experimente werden auf besseren Metriken basieren, da wir auf neue Erkenntnisse zurückgreifen können, die wir in den letzen sechs Monaten gewonnen haben», erklärt Professor Sornette.
Ausserdem sollen in Zukunft diejenigen Titel, die für einen Regime-shift in Frage kommen, vollständig automatisiert bestimmt werden. Bislang mussten die Forschen dazu noch eine individuelle Expertise abgeben. Den Forschenden gelang es bereits, entsprechende Filter zu entwickeln und sie in die neuen Algorithmen des FCO zu implementieren. Diese sind zudem notwendig, um grosse Mengen an Titeln zu scannen und Blasen zu identifizieren.
Da die traditionelle Ökonomie dem Paradigma der prinzipiellen Unvorhersehbarkeit der Finanzmärkte folgt, könnte das «Financial Bubble Experiment» (FBE) zu einem Paradigmenwechsel führen: «Die Finanzkrise galt als nicht vorhersagbar, und folglich gibt es eine Kontroverse, wer die Schuldigen sein könnten – allerdings ohne ein eindeutiges Ergebnis, was vielen gelegen kommt. Wenn wir beweisen können, dass wir recht haben, müssten die Lehrbücher neu geschrieben werden», so Professor Sornette.
«Ich habe meinen Ruf aufs Spiel gesetzt»
Dider Sornette, Professor für unternehmerische
Risiken, erklärt, wieso viele seiner Kollegen an seiner Forschung
zweifeln und was Finanzblasen mit Geburten gemeinsam haben.
Herr
Sornette, können Sie Blasen im Finanzmarkt noch vor deren Ende erkennen?
So lautet
die erste der beiden Hypothesen, die wir mit dem Finanzblasenexperiment
auf die
Probe stellten. Die Ergebnisse des Experiments stützen die Hypothese,
ein
Beweis sind sie jedoch nicht. Die zweite Hypothese lautet, dass der
Zeitpunkt
des Endes einer Finanzblase vorhergesagt werden kann. Ich denke, auch
diese
Hypothese wird gestützt. Doch wir lassen die Leute ihr eigenes Urteil
bilden.
Was sind
Ihre nächsten Schritte mit dem Finanzblasenexperiment?
Wir werden
mit den Tests weitermachen. Die Methode verfeinern wir laufend, in den
vergangenen sechs Monaten haben wir bereits sehr wichtige Fortschritte
gemacht. Ziel ist ein verbessertes Risikomanagement.
In den
Neunzigern haben Sie eine Methode, um Materialrisse in Raketen
vorherzusagen,
patentieren lassen. Streben Sie auch diesmal ein Patent an?
In diesem
Fall habe ich das nicht vor. Wer ein Patent beantragt, muss seine
Methode
offenlegen, wir behalten aber einen Teil des technischen Know-hows für
uns. Es
ist für uns ein Mass für den Erfolg, wie viele Finanzinstitutionen und
Experten
sich bei uns melden, um mit uns zu arbeiten. Mit ihren Fragen
inspirieren sie
auch unsere Forschung.
Sie haben
Ihre Prognosen vor einem halben Jahr in einem verschlüsselten Dokument
festgehalten, das sie nun heute veröffentlichten. Wieso wählten Sie
diese
ungewöhnliche Form der Publikation?
Diese
Methode bietet vollkommene Transparenz. Wir vermeiden so Kritik, dass
wir nur
die erfolgreichen Vorhersagen publizieren und die Misserfolge unter
Verschluss
halten. Wir wollen damit auch eine Prozedur etablieren, die hoffentlich
von
anderen übernommen wird.
Haben Sie
mit dieser Methode Ihre Glaubwürdigkeit als Wissenschaftler riskiert?
Ja, ich
habe meinen Ruf aufs Spiel gesetzt, aber allzu nervös war ich nicht. Wir
haben
die Theorie hinter dem Finanzblasenexperiment während mehr als 15 Jahren
entwickelt und in dieser Zeit bereits zahlreiche Resultate in
traditionellen
Formen publiziert.
Wieso
stehen die meisten Ihrer Fachkollegen Ihren Hypothesen kritisch
gegenüber?
Da sehe
ich verschiedene Gründe. Erstens tönt das Wort «Vorhersage» in den Ohren
eines
Wissenschaftlers verdächtig, da es unzählige unwissenschaftliche
Zukunftsvorhersagen gibt. Zweitens haben bereits viele Leute versucht,
Finanzblasen zu erkennen und deren Ende vorherzusagen, und sind
gescheitert.
Drittens arbeiten wir mit einem Set von Methoden aus sehr
unterschiedlichen
Fachgebieten wie Ökonomie, Physik und Mathematik, was es sehr schwierig
macht
für Experten einzelner Fächer, unsere Forschung zu verstehen. Und
viertens,
falls sich unsere Hypothesen bestätigen, ist das für viele Leute
unangenehm. Es
käme einem Paradigmenwechsel gleich. Die Finanzkrise galt als nicht
vorhersagbar, folglich gab es keine Schuldigen, was vielen gelegen kam.
Nebst den
Finanzblasen berechnen Sie Prognosen für so unterschiedliche Ereignisse
wie
Erdbeben, epileptische Anfälle und Risse in Materialien. Auf welche
Felder wird sich Ihre Forschung künftig
konzentrieren?
Die
Forschung in den verschiedenen Feldern läuft parallel. Der Schwerpunkt
wird
weiterhin auf dem Finanzblasenexperiment liegen. Auch an den
epileptischen
Anfällen bin ich sehr interessiert. Daneben möchte ich mich unter
anderem
vertieft mit der Vorhersage des Geburtszeitpunkts befassen. Als kürzlich
die
Frau eines wissenschaftlichen Mitarbeiters in meinem Team schwanger
wurde,
haben wir auf Anregung des Paars mit Vorbereitungen für Messungen
begonnen. Wir
führten sie dann aber nicht durch, da der Aufwand zu gross gewesen wäre,
um das
Projekt parallel zum Finanzblasenexperiment zu bewältigen.
Wo liegen
die Parallelen zwischen Finanzblasen und dem Zeitpunkt der Geburt?
Bei beidem
geht es um die Modellierung eines kollektiven Verhaltens. Das Verhalten
eines
einzelnen Börsenspekulanten kann nicht vorhergesagt werden, für das
Kollektiv
aller Spekulanten können aber Aussagen gemacht werden. Das gilt auch für
die
Muskelzellen im Uterus, deren kollektives Verhalten zur Wehentätigkeit
führt.
Ein kollektives Verhalten liegt auch dem Ausbruch von Krankheiten
zugrunde, Sie
haben in ETH Life darüber berichtet. Auch da möchte ich die
Forschung vorantreiben.
Nebst der
Finanzwelt interessiert sie also besonders der Gesundheitsbereich?
Ja, an
beiden Gebieten fasziniert mich, dass in ihnen ein fundamentaler
Interessenkonflikt steckt. Banken interessieren sich nicht in erster
Linie für
die Investitionen der Anleger, sondern für die Gewinne der Aktionäre der
Bank.
Im Gesundheitswesen ist es noch schlimmer: Ärzte und die Pharmaindustrie
haben
ein Interesse daran, dass die Leute marginal krank sind – denn dann
brauchen
sie medizinische Pflege. Was im Gesundheitswesen abgeht, macht mich
wütend. Es ist
bekannt, was es braucht, um gesund zu bleiben: Diät, höchstens zwei Mal
pro
Woche Fleisch, viel Gemüse und so weiter.
Sie selber
pflegen Ihre Gesundheit, etwa in dem Sie joggen und mit der
Kraftmaschine in
Ihrem Büro trainieren. Sie treiben aber auch Sportarten mit hohem
Verletzungsrisiko wie Skifahren und Motorradfahren. Ist das nicht ein
Widerspruch?
Ich gehe
sehr bewusst mit Risiken um. Nehmen Sie mich beispielsweise als
Motorradfahrer
– ich besass in Kalifornien das stärkste Motorrad, das es damals
überhaupt gab.
Doch auf dem Motorrad bin ich voll konzentriert, was ich als Professor
sehr gut
kann. Ich beobachte die Fahrbahn, analysiere die Leute am Strassenrand
und die
Oberfläche der Strasse, und wenn die Ampel für mich auf grün steht,
vertraue
ich nicht darauf, dass sie für die anderen auf rot steht.
Hatten Sie
je einen Unfall?
Nein. Nie.
Und ich fahre seit zwanzig Jahren. Das
ist dynamisches Risikomanagement.
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