Veröffentlicht: 27.04.11
Kolumne

Frauen lieben die naturwissenschaftlich-technische Forschung

Renate Schubert
Renate Schubert, Professorin für Nationalökonomie der ETH Zürich und Delegierte des Präsidenten für Chancengleichheit. (Bild: zVg Renate Schubert)
Renate Schubert, Professorin für Nationalökonomie der ETH Zürich und Delegierte des Präsidenten für Chancengleichheit. (Bild: zVg Renate Schubert) (Grossbild)

Frauen sind unterrepräsentiert in der naturwissenschaftlich-technischen Forschung, und zwar gerade auch in Spitzenpositionen. Dies wird häufig damit begründet und entschuldigt, vielfach auch von den Frauen selbst, dass Frauen sich einfach nicht für naturwissenschaftlich-technische Themen interessierten und dass sie ausserdem nicht gewillt seien, Führungspositionen in Wissenschaft oder Wirtschaft auf Dauer zu übernehmen.

Würde dies stimmen, wären Versuche, mehr Frauen in die entsprechenden Fächer oder Positionen zu bringen, im Grossen und Ganzen zum Scheitern verurteilt. Dies wäre nicht nur deswegen problematisch, weil man dann in den letzten Jahrzehnten viel Geld für Frauenförderung im engeren und weiteren Sinn verbrannt hätte. Sorge müsste vor allem bereiten, dass es zum Schaden der Volkswirtschaft, das heisst von uns allen ist, wenn vor allem Männer Top-Positionen in Naturwissenschaft und Technik besetzen (vgl. Kolume vom 30.3.2011). Was ist nun also von der Behauptung zu halten, Frauen interessierten sich nicht für die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) und sie wollten auch keine Führungspositionen?

Bleiben wir zuerst beim naturwissenschaftlich-technischen Interesse. Tatsächlich sind Jungen im Durchschnitt viel mehr daran interessiert, Gegenstände auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen, während Mädchen sich mehr für Rollenspiele (mit und ohne Puppen) begeistern. Diese Unterschiede bleiben im Wesentlichen auch bei den Jugendlichen und Erwachsenen erhalten. Dennoch: Wenn man sieht, wie die Augen der Mädchen leuchten, wenn sie in der Primarschule an naturwissenschaftlich-technischen Experimenten teilnehmen können, ist schnell klar, dass die Mädchen Naturwissenschaft und Technik und das Forschen in diesem Bereich lieben - aber sie haben eben noch andere weitergehende Interessen und Vorlieben.

Sie lieben es – natürlich wieder für die Durchschnittsfrau gesprochen -, die neuen Erkenntnisse mit dem Rest ihrer Erfahrungswelt zusammenzubringen und sie lieben es auch, ihr naturwissenschaftlich-technisches Know-How zum Nutzen von Menschen einzusetzen. Das Hauptinteresse von Frauen ist beispielsweise nicht, dass Roboter bestimmte Bewegungen besonders elegant oder perfekt ausführen können, sondern dass sie die Maschinen nützlich einsetzen können, um etwa Behinderte im Haushalt zu unterstützen. Frauen haben in der Regel ein breites Interessenspektrum, was sie für interdisziplinäre Forschung prädestiniert. Solange nun aber die Strukturen im Wissenschaftsbetrieb so sind, dass das Interdisziplinäre, das breit Angelegte, nicht höchste Anerkennung bekommt, fallen Frauen schnell durch. Dies hat aber nichts mit mangelndem Interesse von Frauen zu tun.

Und wie sieht es mit dem Interesse an Führungspositionen aus? Frauen streben einen Aufstieg zur Spitze vielfach nicht an, weil er ihnen nicht lohnend erscheint. Dass dem so ist, liegt nicht nur an den Frauen.

Hohe Einkommen können Frauen häufig nicht gewinnen, da ihnen Geld im Durchschnitt weniger viel bedeutet als Männern. Ein zentrales Problem ist aber, dass eine stark eingeschränkte Berufstätigkeit auch heute noch eine für Frauen gesellschaftlich akzeptierte oder sogar gerne gesehene Option ist.

Darüber hinaus fehlt es immer noch an weiblichen Vorbildern. Viel zu selten und in der Regel viel zu spät erfahren Mädchen und junge Frauen, wie bereichernd und attraktiv eine wissenschaftliche Karriere ist. Die Kosten dafür scheinen zu hoch, die Erträge hingegen fast unsichtbar zu sein. Nur eine kritische Masse erfolgreicher Frauen in der Wissenschaft kann die positiven Seiten wissenschaftlicher Karrieren (für Frauen) wahrnehmbar machen und damit Kräfte mobilisieren, entsprechende Ziele erreichen zu wollen. Leider kann keine Universität oder Hochschule diese kritische Masse einfach so «herbeizaubern», auch wenn eine Institution wie die ETH Zürich sich nach Kräften darum bemüht. Entscheidend scheint zu sein, junge Mädchen bereits im Familienalltag und auf den Schulen für diese Lebensoption zu gewinnen.

Neben einer Betonung des Positiven wäre auch wichtig, die Kosten von Karrieren zu verringern.. Diese Kosten sind vor allem deswegen hoch, weil angesichts des internationalen Wettbewerbsdrucks in Karrieren kaum Platz für Aktivitäten neben der Wissenschaft zu sein scheint. Es gibt viele Forschende weltweit, die sich «mit Haut und Haaren» ihrer Forschung verschreiben, mit dem Ziel besonders innovativer Ergebnisse zu erzielen. Spitzenuniversitäten wie die ETH Zürich konkurrieren um die besten Forscher und Forscherinnen – und als solche werden nach wie vor diejenigen angesehen, die sich stark auf ihre Arbeit fokussieren. Die ETH Zürich kann mithelfen, die Bedeutung relevanter Forschungsergebnisse im Vergleich zu fokussierten Forschenden zu stärken - rasche Veränderungen sind allerdings kaum erwartbar.

Natürlich finden viele Frauen die Idee attraktiv, Spitzenforscherin zu sein. Sie schätzen aber die Spielregeln auf dem Weg dorthin nicht. Die starke Betonung des Wettbewerbselements steigert bei Frauen die Leistung weniger als bei Männern. Frauen scheint eine gute Zusammenarbeit im Team wichtig zu sein. Mehr Raum für unterschiedliche Kulturen würde meiner Meinung nach mehr Frauen den Weg in wissenschaftliche Top-Positionen ebnen. Woran man denken muss, wenn es um mehr Vielfalt in den Hochschulen geht, führe ich in meiner nächsten Kolumne aus.

Zur Autorin

Renate Schubert ist Professorin für Nationalökonomie im Departement für Geistes- und Sozialwissenschaften (D-GESS) und leitet seit Sommer 2006 das Institut für Umweltentscheidungen (IED), das sie mitbegründet hat. Renate Schubert kam 1993 an die ETH Zürich und war zuvor Professorin in Regensburg und Tübingen (1990 bis 1992). Sie war und ist für verschiedene Gremien als Beraterin tätig, darunter so namhafte wie die Eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen oder der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU) in Deutschland. Diesem Beirat gehört sie seit dem Jahr 2000 an und präsidierte ihn von 2004 bis 2008. Renate Schuberts Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Entscheidungs- und Risikoforschung, Energie- und Umweltökonomie, Klimapolitik sowie Frauenforschung. Ihr Engagement in Frauenfragen hat ihr an der ETH ein weiteres Amt eingetragen: Seit Dezember 2008 ist sie Delegierte des ETH-Präsidenten für Chancengleichheit. Renate Schubert lebt mit ihrer Familie in Zürich und Fribourg.