Veröffentlicht: 23.12.10
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Das Architektur-Gedächtnis der ETH Zürich

Das gta Archiv der ETH Zürich ist eines der bekanntesten Architektur-Archive der Schweiz. Es betreut mehr als zweihundert Nachlässe bedeutender Architektinnen und Architekten wie zum Beispiel Gottfried Semper oder Karl Moser und von Architekturtheoretikern wie Sigfried Giedion.

Claudia Hoffmann
Leiter Bruno Maurer in der Plansammlung des gta-Archivs. In Papprollen und Schubladen lagern hier mehr als 3‘000 Pläne. (Bild: Claudia Hoffmann / ETH Zürich)
Leiter Bruno Maurer in der Plansammlung des gta-Archivs. In Papprollen und Schubladen lagern hier mehr als 3‘000 Pläne. (Bild: Claudia Hoffmann / ETH Zürich) (Grossbild)

Im Archiv des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) wird jeder Quadratmeter Platz genutzt. In den niedrigen Kellerräumen stehen Schränke, Regale und Vitrinen dicht an dicht. Darin stapeln sich Pläne, Skizzen, Bücher, Briefe und Tagebücher. Bruno Maurer, seit 2001 Leiter des Archivs, öffnet eine Schublade und zieht vorsichtig einen grossen Bogen Papier hervor. Es handelt sich um einen Plan aus dem Semper-Archiv, der beim Bau des ETH-Hauptgebäudes verwendet wurde. «Allein zu Sempers Polytechnikumsgebäude besitzen wir mehr als 800 Pläne, von ersten Skizzen bis zu 1:1-Details des Innenausbaus», sagt Maurer. Nicht nur Sempers nachgelassene Pläne, auch seine Buchmanuskripte und die umfangreiche Korrespondenz, etwa mit Richard Wagner, sind im Archiv erhalten. Zudem kann anhand der Notizen seiner Vorlesungen der Beginn der Architektenausbildung an der Bauschule des Polytechnikums, dem heutigen Departement Architektur der ETH Zürich, nachvollzogen werden.

«Gut vernetzt»

Das gta Archiv deckt mit seinen mehr als zweihundert Nachlässen und Sammlungen einen wesentlichen Teil der Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in der Deutschschweiz ab. «Es bildet ein Netzwerk mit den Archiven an der EPF Lausanne und an der Accademia in Mendrisio, die eine ähnliche Funktion für die Westschweiz und das Tessin übernehmen», erklärt Maurer. Das Archiv gehört zum Department für Architektur der ETH und arbeitet eng mit den Architektur-Professuren sowie Forschern verschiedener Institute zusammen. Maurer wertet das als grossen Vorteil. «Als Hochschularchiv stehen wir ganz selbstverständlich im Austausch mit Lehre und Forschung».

Pro Jahr kommen rund 200 Benutzer ins Archiv, ein Drittel davon aus dem Ausland. Es sind vor allem Kunsthistoriker und Architekten, aber auch Denkmalpfleger und Journalisten. Die Mitarbeiter helfen bei der Recherche, selbst bei ungewöhnlichen Wünschen, wie zum Beispiel dem einer Filmcrew, die eine klassizistische Villa als Drehort suchte.

Dienstleistung und Forschung

Heute kann man es sich kaum mehr vorstellen: Als das Institut gta 1967 gegründet wurde, war kein Archiv geplant. Mit der Übernahme des Semper-Archivs von der Hauptbibliothek war das gta Archiv jedoch gegeben. Seither sind viele weitere Nachlässe dazu gekommen, darunter derjenige von Karl Moser, dem «Vater der Schweizer Moderne» oder von Hannes Meyer, dem Nachfolger von Walter Gropius als Direktor des Bauhauses in Dessau. Das Archiv besitzt darüber hinaus verschiedene Sammlungen. Sehr gefragt ist insbesondere das Archiv der Internationalen Kongresse für Neues Bauen (CIAM), die 1928 in der Schweiz begründet wurden und unter deren Dach bis Ende der 1950er Jahre die weltweit führenden Architekten zusammenarbeiteten.

Das gta Archiv ist nicht nur Dienstleister, sondern betreibt selbst Forschung. Ein Ergebnis davon ist das Buch «Sigfried Giedion und die Fotografie», das kürzlich im gta Verlag erschienen ist (siehe Kasten). Giedion war als Generalsekretär der CIAM und als Autor viel gelesener Bücher einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen Architektur. Das gta Archiv ist zudem Leihgeber für viele Ausstellungen. Seit Mitte Dezember 2010 findet im Zürcher Kunsthaus die Ausstellung «Karl Moser – Architektur und Kunst» statt, die wesentlich auf den Beständen des Archivs basiert. (siehe ETH Life vom 19.12.10) Anlass ist ein Doppeljubiläum: Der Architekt Karl Moser wäre dieses Jahr 150-jährig geworden, und das von ihm entworfene Kunsthaus feiert sein 100jähriges Bestehen.

Bestände verdoppelt

Während in den 1970er Jahren noch überaus aktiv akquiriert wurde, fragen heute Architekten oder deren Erben, die ihre Nachlässe dem Archiv übergeben wollen, meist von sich aus an. Allerdings: «Wegen beschränkter Personal- und Raumressourcen muss sich das Archiv bei der Akquisition Zurückhaltung auferlegen, es kann aber auch bei der Suche nach alternativen Standorten helfen», sagt Maurer. Trotzdem hat sich der Bestand in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Bisher ist das gta Archiv im Wesentlichen noch ein Papierarchiv. Teils mit den Nachlässsen, teils über Digitalisierungskampagnen und Forschungsprojekte gelangen aber immer mehr digitale Daten ins Archiv, deren nachhaltige Sicherung nur mit Kooperationen geleistet werden kann. Möglicherweise noch in diesem Jahr sollen Teile dieser Bestände auf der ETH-Internetplattform e-pics öffentlich zugänglich gemacht werden.

Buchverlosung

Der Schweizer Kunsthistoriker Sigfried Giedion (1888-1968) war einer der wichtigsten Protagonisten der Architekturmoderne. Das Buch verdeutlicht anhand von Fallbeispielen den Umgang Giedions mit Fotografie und Buchgestaltung. Die meisten Fotos stammen aus dem Nachlass Giedions, der im gta Archiv aufbewahrt wird. Herausgeber des Buches sind Werner Oechslin, langjähriger Vorsteher des Instituts gta, und Gregor Harbusch, wissenschaftlicher Mitarbeiter des gta Archivs.
«Sigfried Giedion und die Fotografie», gta Verlag, Zürich 2010. 2010. 24 x 28 cm, Hardcover mit Schutzumschlag, 304 Seiten, 624 Farbabb. ISBN 978-3-85676-252-0; 87.00 CHF / 58.00 Euro

ETH-Life verlost drei Exemplare des Buchs. Bitte senden Sie bis zum 7. Januar 2011 eine E-Mail mit dem Stichwort «Giedion» an: ethlife@hk.ethz.ch
Das Buch kann auch in der Polybuchhandlung bezogen werden. Bis zum 21. Januar 2011 erhalten die 25 ersten ETH Life-Lesenden dort 10 Prozent Rabatt.

 
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