Veröffentlicht: 19.12.10
Campus

Ein Architekt baut auf Kunst

Der Architekt Karl Moser gilt in der Schweiz als «Vater der Moderne». Seine Bauten, darunter das Kunsthaus und das Hauptgebäude der Universität, prägen Zürichs Stadtbild bis heute. Eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich erlaubt erstmals einen Blick auf sein Gesamtwerk.

Samuel Schlaefli
Ein Architekt und sein Lieblingskünstler: Bilder von Ferdinand Hodler im von Karl Moser erbauten Flügel des Kunsthaus Zürich. (Bild: Arthur Faust / Kunsthaus Zürich)
Ein Architekt und sein Lieblingskünstler: Bilder von Ferdinand Hodler im von Karl Moser erbauten Flügel des Kunsthaus Zürich. (Bild: Arthur Faust / Kunsthaus Zürich) (Grossbild)

Der Architekturgeschichte wird in bedeutenden Kunstmuseen ausser in der gebauten Hülle meist nur wenig Platz eingeräumt. Vom 17. Dezember bis zum 27. Februar ist das im Kunsthaus Zürich für einmal anders. Über zwei Stockwerke zeigt das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus die bislang ausführlichste Retrospektive des renommierten Schweizer Architekten Karl Moser. Die Zusammenarbeit ist ein Glücksfall: Das gta beherbergt den Nachlass des früheren ETH-Professors mit hunderten von Skizzen, Plänen, Fotografien und Modellen, während das Kunsthaus ein zentraler Bau in Mosers Lebenswerk ist.

Bauen für die Kunst

Karl Mosers Werk in einem Kunstmuseum zu zeigen macht aber noch aus einem weiteren Grund Sinn: Mosers Interesse an bildender Kunst und seine enge Zusammenarbeit mit Künstlern zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Für seine Bauten, zum Beispiel Villen für die Industriellenfamilie Brown und Boveri in Baden, beschäftigte er oft eine ganze Entourage aus Künstlern. Von dieser liess er Natursujets auf Fliessen malen, Fenstergläser einfärben oder Reliefs aus Stein hauen. «Für Karl Moser war die Kunst immer ein integraler Bestandteil seiner Entwürfe. Er hat seine Bauten nie einfach nur nachträglich mit Kunstwerken dekoriert», sagt Sonja Hildebrand, Vertretungsprofessorin am gta und Kuratorin der Ausstellung. Sie hat sich in einem dreijährigen Forschungsprojekt ausführlich mit Mosers Nachlass beschäftigt. Eine 700-Seiten starke, zweibändige Publikation, die soeben im gta-Verlag erschienen ist (siehe Wettbewerb), und die Ausstellung sind das Ergebnis davon.

Über 400 Exponate von Karl Moser und aus seinem Umfeld sind in der Kunsthalle zu sehen: Gipsabdrücke von Reliefs, mit denen sich junge Künstler bei der Bauherrschaft um Aufträge bewarben; Schriften zu den realisierten Kathedralen; Modelle, die seine Entwürfe im städtebaulichen Kontext zeigen; eigenhändig designte Sessel und natürlich hunderte von Skizzen, Bildern sowie Plänen. Mosers Lebenswerk umfasst nahezu 600 Bauten und Projekte und überrage damit dasjenige anderer Architekten dieser Zeit bei weitem, sagt Hildebrand. Ganze Stadtteile in Karlsruhe sind von der Planung seines Büros geprägt, das er zusammen mit seinem Partner Robert Curjel von 1888 bis 1915 führte. Danach wurde er als Professor an die ETH Zürich gerufen und kehrte von Karlsruhe in die Schweiz zurück.

Trotz der Dichte an Mosers Bauten in Karlsruhe, ist Zürich die Stadt mit den meisten Hauptwerken des Architekten: Neben dem Kunsthaus, dem Universitäts-Hauptgebäude und der Kirche Fluntern gehört auch die Antoniuskirche dazu. Und auch in Basel hat er mit dem Hauptgebäude des Badischen Bahnhofs sowie der Paulus- und Antoniuskirche stadtprägende Spuren hinterlassen. Insbesondere mit der dortigen Antoniuskirche, dem ersten Gotteshaus in reinem Sichtbeton, das zu Beginn als «Seelensilo» verspottet wurde.

Auf der Suche nach einer zeitgenössischen Sprache

Die Ausstellung zeigt: Die stilistische Bandbreite Mosers ist enorm. Seine frühen Bauten haben mit den Spätwerken praktisch keine Gemeinsamkeiten mehr. Waren zum Beispiel die Treppenaufgänge im Hauptgebäude der Universität Zürich von der Dynamik und den geschwungenen Formen des Barock inspiriert, so experimentierte er bei der Antoniuskirche in Zürich mit den üppigen Volumen, wuchtigen Körpern und dem rauhen Mauerwerk der in den USA aufkommenden «Modern romanesque». Später verabschiedet sich Moser von historischen Anleihen und entdeckt die klaren Formen der Moderne für sich.

Ein eindrückliches Beispiel dafür sind seine Pläne für die Neugestaltung des Züricher Niederdorfs von 1933. Sie zeigen eine Radikalität, die man sonst nur von Le Corbusiers Ideen für das alte Paris kennt. Im Geiste der Moderne entwarf Moser anstelle der Altstadt für das linke Limmatufer zwischen Central und Bellevue eine Reihe aus lauter gleichförmiger Kuben. Die Altstadt sollte dafür abgerissen werden. Der konstante Stilwechsel hat dem Architekten zu Lebzeiten nicht nur Lob eingebracht. Kritiker bemängelten, dass Mosers Gesamtwerk eine klare Handschrift fehle. Zu Unrecht findet Hildebrand: «Für mich zeigt sich darin eine grosse Offenheit gegenüber neuen Einflüssen und die Bereitschaft zur ständigen Selbstkritik.» Moser sei stets auf der Suche nach einem Stil gewesen, welcher dem jeweiligen Zeitgeist und der Gesellschaft entsprach. «In den Jahren des Ersten Weltkriegs war dies die strenge Ordnung des Klassizismus, ab den 20ern dann die radikale Erneuerung der Moderne», erklärt Hildebrand.

Raum und Bild als Gesamtkunstwerk

Im Kunsthaus Zürich bietet sich Architektur- und Kunstbegeisterten für einmal die Gelegenheit, einen grossen Architekten nicht nur anhand von Planungshilfen und Abbildungen zu erleben, sondern auch unmittelbar im gebauten Raum. Die Fassade des Kunsthauses mit Reliefs vom Basler Bildhauer Carl Burckhardt und eingelassenen Skulpturen erzählt bis heute von Mosers Überzeugung, dass Architektur und Kunst zusammengehören. Ebenso der helle Lichthof im ersten Stock, der mit seinen grün-geäderten Granitsäulen und mit Blattgold verzierten Decken selbst ein Kunstwerk ist – und mit den darin gezeigten Gemälden Ferdinand Hodlers zu einem Gesamtkunstwerk wird.

Der Bezug Hodler – Moser ist dabei kein Zufall. Der Architekt war ein grosser Bewunderer des Malers. Als er diesen einst für ein monumentales Gemälde im Eingangsfoyer des Kunsthauses gewinnen wollte, verdrehten sich für einen kurzen Augenblick die Rollen zwischen bildender Kunst und Architektur: Der Architekt trat für einmal als Bittsteller auf und war zu Konzessionen gegenüber dem Künstler bereit. Trotzdem, sein Wunsch eines Hodler-Gemäldes blieb schliesslich unerfüllt.

Die Ausstellung «Karl Moser. Architektur und Kunst» ist noch bis am 27. Februar 2011 im Kunsthaus Zürich zu sehen. Öffnungszeiten: Sa/So/Di 10 – 18 Uhr, Mi/Do/Fr 10 – 20 Uhr, montags geschlossen.
Vom 9. April bis 3. Juli 2011 in der Städtischen Galerie Karlsruhe

Wettbewerb

ETH Life verlost zwei Exemplare von «Karl Moser. Architektur für eine neue Zeit, 1880 bis 1936» von Werner Oechslin und Sonja Hildebrand, gta Verlag 2010, ISBN 978-3-85676-250-6, 180 Franken
Versuchen Sie Ihr Glück und beantworten Sie folgende Frage:Wem hätte Karl Moser seinen Lehrstuhl an der ETH einst gerne übergeben?
- Alvar Aalto
- Le Corbusier
- Frank Lloyd Wright
Bitte senden Sie bis zum 3. Januar 2011 eine E-Mail mit dem Stichwort «Moser» an ethlife@hk.ethz.ch.Die Gewinnerinnen und Gewinner werden per E-Mail informiert. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.Das Buch kann auch in der Polybuchhandlung bezogen werden. Bis zum 10. Januar 2011 erhalten die 25 ersten ETH Life-Lesenden 10 Prozent Rabatt.

 
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