Veröffentlicht: 30.01.13
Kolumne

Chemiewaffen bleiben gefährlich

Oliver Thränert
Oliver Thränert, Leiter des Think Tank des Center for Security Studies. (Bild: Thomas Langholz /ETH Zürich)
Oliver Thränert, Leiter des Think Tank des Center for Security Studies. (Bild: Thomas Langholz /ETH Zürich) (Grossbild)

In meiner November-Kolumne habe ich anlässlich der Wiederwahl Barack Obamas zum US-Präsidenten von seinem Ziel berichtet, alle Atomwaffen abzuschaffen. Heute möchte ich über andere «Massenvernichtungswaffen» sprechen, nämlich die chemischen. Hier sind wir eigentlich schon einen erheblichen Schritt weiter als bei den Kernwaffen. Seit April 1997 ist ein internationaler Vertrag, das Chemiewaffen-Übereinkommen (CWÜ), in Kraft, das diese Waffenart komplett verbietet. Die Vertragsstaaten haben sich sogar eine eigene internationale Organisation mit Sitz in Den Haag geschaffen, zu der ein Technisches Sekretariat mit knapp 200 Inspektoren gehört. Können wir das Problem also zu den Akten legen? Leider nein.

Erstens Mitgliedschaft: Das CWÜ hat zwar 188 Vertragsstaaten, aber einige Länder bleiben dem Abkommen fern. Nordkorea oder Ägypten stehen im Verdacht, Chemiewaffen zu besitzen und diese nicht aufgeben zu wollen. Nicht zuletzt wegen des dortigen Bürgerkrieges sind die Chemiewaffen in Syrien besonders besorgniserregend. Damaskus nennt neben Senfgas wohl auch die Nervenkampfstoffe Sarin und VX sein eigen.

Auch nicht-staatliche Akteure zeigen Interesse an chemischen Kampfstoffen. Am bekanntesten ist der Fall der japanischen Aum-Sekte. Sie brachte im März 1995 Sarin in der Tokioter U-Bahn aus. Zum Glück war der Nervenkampfstoff von schlechter Qualität. Die Terroristen töteten immerhin zwölf Menschen und verwundeten einige Hundert. Bei vielen weiteren Personen löste der Angriff Panik aus.

Zweitens Abrüstung: Anders als eigentlich geplant sind noch nicht alle chemischen Kampfstoffe der Vertragsstaaten vernichtet worden. Gründe für diese Verzögerungen sind unerwartet hohe Kosten, anspruchsvolle Sicherheits- und Umweltstandards sowie regionale Widerständen an den vorgesehenen Vernichtungsanlagen. Russland, das bei Inkrafttreten des CWÜ sage und schreibe 40'000 Tonnen chemischer Kampfstoffe gemeldet hatte, hat inzwischen mehr als 60 Prozent davon in sechs Vernichtungsanlagen zerstört. Das zweitgrösste Arsenal meldeten die USA mit 28'500 Tonnen Kampfstoff. Etwa 90 Prozent der US-Kampfstoffe sind inzwischen liquidiert worden. Ausserdem verfügen Libyen und auch der Irak noch über geringe Chemiewaffenbestände, die noch der endgültigen Vernichtung harren. Abgeschlossen ist hingegen die chemische Abrüstung in Indien (ca. 1000 t Kampfstoff), Südkorea (ca. 600 t Kampfstoff) und Albanien (ca. 14 t Kampfstoff).

Drittens Kontrollen in der Chemischen Industrie: Nicht nur muss chemische Munition zerstört werden, vielmehr gilt es auch zu verhindern, dass neue entsteht. Dazu müssen Inspektionen in der privaten chemischen Industrie durchgeführt werden, denn eine Vielzahl von Chemikalien, die zu zivilen Zwecken hergestellt werden, eignet sich auch als Ausgangsstoff für chemische Kampfstoffe. Um den Inspektionsaufwand jedoch nicht ausufern zu lassen, sind im CWÜ drei Listen von Chemikalien definiert. Sie erfassen chemische Stoffe je nach ihrer Gefährlichkeit. Für die Zwecke des CWÜ sind etwa 5000 Chemieanlagen relevant, da in ihnen mit gelisteten Chemikalien gearbeitet wird. Weit mehr als 2000 Routinekontrollen in der Chemieindustrie sind in achtzig Ländern bislang durchgeführt worden.

Viertens wissenschaftliche Fortschritte: Neue Gefahren könnten durch die zunehmende Überlappung von Chemie und Biologie entstehen. Völlig neue Kampfstoffe, die nicht unbedingt töten, wohl aber auf menschliche Verhaltensänderungen abzielen, würden vom CWÜ vermutlich nicht angemessen erfasst. Daher muss das CWÜ hier entsprechend angepasst werden. Mit dem Labor Spiez verfügt die Schweiz über eine international hoch angesehene Institution, um sich u.a. mit diesen Problemen auseinanderzusetzen.

Zum Schluss noch ein vielleicht etwas makabrer Tipp für all diejenigen, die es im Sommer an die Ostsee ziehen sollte. Wer dort nach Bernstein sucht, kann – allerdings sehr selten – noch immer gefährliches, verklumptes Senfgas finden. Es stammt aus dem Zweiten Weltkrieg und wurde nach dessen Ende in nun teilweise rostenden Fässern versenkt. Man sieht: Noch können wir das Problem der chemischen Waffen leider nicht ad acta legen.

Zum Autor

Oliver Thränert ist seit dem 1. Juni 2012 Leiter des Think Tank des Center for Security Studies der ETH Zürich. Der heute 53-Jährige wuchs in Braunschweig auf und studierte an der dortigen TU Geschichte, evangelische Theologie, Politikwissenschaft, Psychologie und Pädagogik. Er promovierte 1986 in Politikwissenschaft und Neuerer Geschichte. Danach arbeitete er bei verschiedenen Instituten und Think Tanks, die vergangenen elf Jahre an der Stiftung Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit. Mit dem Umzug nach Zürich verkaufte Thränert sein Motorrad –, was dem leidenschaftlichen Motorradfahrer die Tränen in die Augen trieb. Nun wird er sich in seiner Freizeit vermehrt die Wanderschuhe schnüren, um die zahlreichen Wanderwege der Schweiz zu erkunden.

 
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