Veröffentlicht: 03.09.12
Science

Produkt eines «Streifschusses»?

Zur Mondentstehung sind noch immer Fragen offen. Verbesserte Simulations-Methoden und leistungsfähigere Supercomputer ebneten nun den Weg zu einem alternativen Entstehungsmodell, das Lücken schliessen könnte. Dieses Modell erlaubt den Forschenden mehr Spielraum bei den Grundannahmen.

Simone Ulmer
Neue Simulations-Methoden und leistungsfähigere Supercomputer führen zu alternativen Erklärungen, wie der Mond entstanden sein könnte. (Bild: Flickr)
Neue Simulations-Methoden und leistungsfähigere Supercomputer führen zu alternativen Erklärungen, wie der Mond entstanden sein könnte. (Bild: Flickr) (Grossbild)

In den Jahren nach der Apollo-Mission fielen die bis dahin gängigen drei Modelle zur Mondentstehung wie Kartenhäuser in sich zusammen.

Die Forschungsarbeiten an Gesteinsproben vom Mond zeigten nämlich, dass der Mond nicht am Himmel scheint, weil er sich vor rund 4,5 Milliarden Jahren von der Erde abgespalten hatte, weder von der Erdanziehung eingefangen, noch weil er sich gleichzeitig mit der Erde aus dem präsolaren Urnebel bildete. Plötzlich brauchte es ein völlig neues Modell zur Mondentstehung.

Rettung durch das «Giant Impact» Modell

Der amerikanische Planetenforscher William Hartmann war der Erste, der 1975 eine plausible Alternative zu den verworfenen Modellen lieferte, nämlich dass sich der Mond aus den Trümmern bildete, die durch einen gigantischen Einschlag eines Protoplaneten auf der Erde in eine Erdumlaufbahn geschleudert wurden.

Heute ist diese «Giant Impact»- Hypothese weitgehend akzeptiert. Laut ihr schlug ein Mars-grosser Protoplanet namens Theia auf die Erde ein und leitete so die Geburt des Mondes in die Wege.

Aber auch in dieser Hypothese gibt es Unstimmigkeiten, die noch immer nicht vollständig geklärt werden konnten. Wissenschaftler der ETH Zürich und Universität Bern bringen nun einen neuen Ansatz ins Spiel: Auch eine Art Streifschuss eines Protoplaneten könnte die Mondentstehung erklären. Laut dieser neuen Theorie könnten nach der Kollision von Theia mit der Erde grosse Mengen an Trümmern des Protoplaneten in den Weltraum davongeflogen sein.

«Auf diese Art kann für die Mondbildung ein deutlich höherer Anteil aus dem Erdmantel abgezweigt werden als mit der herkömmlichen Theorie», sagt Matthias Meier, Mitautor der Studie, die Teil seiner Doktorarbeit an der ETH Zürich ist.

Mond und Erde zu ähnlich

Die Modelle zur Mondentstehung enthalten gleich mehrere Knacknüsse: etwa, dass die Gesteine von Erd- und Mondoberfläche die gleichen Isotope enthalten, beide unterschiedlichen Dichten besitzen, und der gesamte Drehimpuls des Erd-Mond-Systems hoch ist.

Bisherige Modelle gehen davon aus, dass Erde und Theia bei der Kollision nur wenig Masse verloren und dass das Erd-Mond-System nicht mehr als zehn Prozent seines ursprünglichen Drehimpulses verlor. Das schränkte die Parameter der Modelle stark ein und verlangt nach einer ungleichen Zusammensetzung des Mondes aus vier Teilen des eingeschlagenen Protoplaneten und einen Teil Proto-Erde.

Verschiedene Studien der vergangenen zehn Jahre (siehe auch ETH Life Online vom 20. Dezember 2007) zeigten aber, dass sich für diese Theorie Mond- und Erdgesteine in ihrer chemischen Zusammensetzung viel zu ähnlich sind. «Wenn der Mond zu 80 Prozent aus Theia-Material besteht, die Erde aber nur zu 10 Prozent, so wie das die klassische Giant Impact-Theorie verlangt, dann muss Theia fast die gleiche Zusammensetzung wie die Erde gehabt haben», sagt Meier. Das sei jedoch unwahrscheinlich, da Meteoriten und andere Himmelskörper ganz andere Isotopenzusammensetzungen hätten als die Erde.

Eine mögliche Erklärung für die Ähnlichkeit ist, dass sich nach dem Aufschlag in der Erdumlaufbahn eine gigantische Magmascheibe entwickelte, über die Erde und Mond ihre chemischen Elemente austauschen konnten.

Mehr Erdmaterial erforderlich

Ein alternatives Modell für die Entstehung des Mondes fanden die Forscher nun durch insgesamt 60 Simulationen mit drei verschiedenen Einschlag-Körpern, die aus unterschiedlichen Gewichtsprozenten von Silikat und Eisen bestanden. Einer der Protoplaneten bestand in der Simulation zudem aus 50 Gewichtsprozent Wasser.

Mit den Modellen konnten sie zeigen, dass bei einem steileren Einschlagwinkel und einer höherer Geschwindigkeit des Protoplaneten deutlich mehr Material aus dem Erdmantel herausgeschlagen wird. Gleichzeitig kommt es aber auch zu einem grösseren Masseverlust, da vor allem Teile des eingeschlagenen Protoplaneten weggeschleudert werden. Zurück bleibt eine Scheibe von sehr heissen Gesteinsfragmenten, die zu einem grossen Teil von der Erde stammen und aus denen sich der Mond bildete.

Am nächsten kamen die Simulationen dem Erd-Mond-System, wenn der Protoplanet mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 Kilometern pro Sekunde und einem steilen Aufschlagwinkel von 30 bis 35 Grad einschlägt. Eine perfekte Nachbildung des Erd-Mond-Systems erreichten die Forscher damit jedoch nicht. Sie räumen deshalb ein, dass es noch weitere Simulationen benötige, um die Debatte um die Mondentstehung zu klären.

Ihr neuer Ansatz liefere jedoch ein alternatives Szenario für das herkömmliche Giant-Impact-Modell, das mehr Freiheiten in der Wahl der Parameter lässt. Beispielsweise muss der Drehimpuls des Erd-Mond-Systems laut den Forschenden nicht mehr so stark eingegrenzt werden, da sich durch den Massenverlust auch der Drehimpuls verkleinert und dieser vor der Kollision deshalb viel höher gewesen sein kann.

Theia-Fragmente durchaus erlaubt

Das Modell stützt zudem die Hypothese, dass sich in der heissen Magmascheibe, die sich nach der Kollision der Himmelsköper in der Erdumlaufbahn bildete, die chemischen Elemente von Mond und Erde ausgleichen konnten.

«Das Modell schliesst also durchaus mit ein, dass der Mond auch aus Materie des Protoplaneten besteht», sagt Rainer Wieler, Professor am Institut für Geochemie und Petrologie an der ETH Zürich und Mitautor der Studie.

«Die Idee zur Studie lieferte Matthias Meier. Er warf die Frage auf, was passiert wäre, wenn der Protoplanet aus Gestein mit einer höheren Geschwindigkeit, überzogen mit einer dicken Eisschicht, auf der Erde eingeschlagen wäre», betont Wieler. Durch diese Fragestellungen kam es zur Zusammenarbeit mit Willy Benz, Professor an der Uni Bern, und dessen damaligen Doktoranden Andreas Reufer.

Benz wollte vor Jahren bereits ähnliche Simulationen durchführen, hatte diese aber wegen mangelnder Auflösung der Modelle wieder verworfen. Bessere Verfahren und höhere Rechenleistung verhalfen schliesslich zur neuen Hypothese der Mondentstehung.

Literaturhinweis

Reufer A, Meier MMM, Benz W & Wieler R: A hit-and-run giant impact scenario, Icarus, online publication. DOI:10.1016/j.icarus.2012.07.021.

 
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