Veröffentlicht: 30.07.12
Science

Vier Nobelpreisträger eröffnen Halbleiterphysikkonferenz an der ETH

An der ETH Zürich findet derzeit die weltweit grösste Halbleiterphysiktagung statt. Eröffnet wurde sie durch eine Nobel Session, an der gleich vier Nobelpreisträger referierten.

Simone Ulmer
ETH-Professor Klaus Ensslin (rechts im Bild) ist Mitorganisator der Tagung und hat die vier Nobelpreisträger Kostya Novoselov, Klaus von Klitzing, Albert Fert und Richard Ernst (v.l.n.r.) mit an die ETH Zürich geholt. (Bild: Oliver Bartenschlager/ETH Zürich)
ETH-Professor Klaus Ensslin (rechts im Bild) ist Mitorganisator der Tagung und hat die vier Nobelpreisträger Kostya Novoselov, Klaus von Klitzing, Albert Fert und Richard Ernst (v.l.n.r.) mit an die ETH Zürich geholt. (Bild: Oliver Bartenschlager/ETH Zürich) (Grossbild)

Die grösste internationale Tagung zur Halbleitertechnologie findet alle zwei Jahre statt und wird für gewöhnlich mit einer Nobel Session eröffnet. Das solle vor allem auch die Nachwuchswissenschaftler motivieren und inspirieren, sagt der Chairman der ersten Session Hiroyuki Sakaki, Professor am Institute of Industrial Science der Universität Tokio, an der Eröffnung der 31st International Conference on the Physics of Semiconductors (ICPS 2012). Vom 29. Juli bis 3. August werden sich rund 1000 renommierte Fachleute aus aller Welt an der ETH Zürich über die Halbleiterphysik austauschen und neuste Forschungsergebnisse präsentieren.

Es ist das erste Mal, dass diese hochkarätige Konferenz in der Schweiz stattfindet. Die traditionelle Nobelpreis Session zu Beginn der ICPS-Tagung wurde von den Nobelpreisträgern Klaus von Klitzing (Nobelpreis für Physik 1985), Albert Fert (Nobelpreis für Physik zusammen mit Peter Grünberg 2007), Konstantin Novoselov (Nobelpreis für Physik zusammen mit Andre Geim 2010) und Richard Ernst (Nobelpreis für Chemie 1991) bestritten.

Ein neues Kilo?

Die General Conference on Weights and Measures hatte 2011 eine Resolution angenommen, das internationale System von Einheiten (SI) zu revidieren, darunter auch das Kilogramm. Es soll in seiner Definition einen fixen Wert der Planck’schen Konstante erhalten. Klaus von Klitzing, Professor am Max Planck Institut Stuttgart, thematisiert das Kilogramm, das demnach in Zukunft von einer Fundamentalkonstante der Physik abgeleitet werden und bis 2014 neu definiert werden soll.

Das Urkilogramm, das sich zusammen mit Referenzgewichten in einem Tresor des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM) in Sèvres bei Paris befindet, hat in seiner über hundertjährigen Geschichte gegenüber seinen Referenzgewichten aus ungeklärten Gründen um 0,00005 Gramm an Masse verloren. Dies, obwohl Ur- und Referenzgewichte aus den gleichen Materialien bestehen – 90 Prozent aus Platin und 10 Prozent aus Iridium.

Wissenschaftler versuchen die Neudefinition des Kilogramms mit Hilfe des sogenannten Avogadroprojekt oder der Wattwaage. Bei der Wattwaage spielt auch die Klitzing-Konstante – das Quantum des sogenannten Quanten Hall Effekts – für deren Entdeckung der Wissenschaftler den Nobelpreis erhielt, eine grosse Rolle. Die Konstante beschreibt das Verhältnis der Planck’schen Konstante zur Elementarladung im Quadrat. Grund für den Forscher, sich in einem unterhaltsamen Vortrag dem Thema zu widmen. Klitzing gab einen historischen Abriss von den Anfängen der ersten Diskussionen um ein einheitliches und universelles Einheitensystems in den 1790er Jahren bis heute. Fazit des Forschers mit Blick auf 2014: «Das Kilogramm ist tot, lange lebe das Kilogramm».

In die Tiefen seines Forschungsbereiches entführt der Nobelpreisträger Albert Fert die Zuhörer. Nachdem der Professor am CNRS in Paris angekündigt hatte, sich kurz zu fassen, da dies seine letzte Arbeit vor seinen Ferien sei, war er vor Begeisterung für seinen Forschungsbereich kaum noch zu stoppen. Fert hatte für die Entdeckung des Giant Magneto Resistance Effekt (GMR) zusammen mit Peter Grünberg den Nobelpreis erhalten. Die beiden Forscher zeigten, dass der Spin der Elektronen in sehr dünnen Lagen zweier magnetischer Schichten, denen eine nichtmagnetische Schicht dazwischen geschaltet ist, durch elektromagnetische Felder gesteuert werden kann.

Die Entdeckung bedeutete vor allem für die Speicherung von Daten enorme Fortschritte. Die Technologie wurde zehn Jahre nach der Entdeckung des physikalischen Grundlageneffekts umgesetzt und ist heute in jeder Harddisk zu finden. Die Entdeckung des GMR war ein erster Schritt zur Ausnutzung des Spins in magnetischen Nanostrukturen und ebnete den Weg für ein neues Forschungsgebiet, der sogenannten Spintronik, über dessen neusten Entwicklungen und Herausforderungen Fert berichtete.

Der Graphen-Star

Der unbestrittene Star des Nachmittages war Kostya Novoselov von der University Manchester. Der Physiker, der mit gerade einmal 36 Jahren den Nobelpreis für die Entdeckung von Graphen erhielt, zog vor allem die junge Zuhörerschaft in seinen Bann. Novoselov wirkte auf viele der Nachwuchswissenschaftler extrem motivierend: Er vermittelt, dass Forschung das Spannendste überhaupt ist. Der Wissenschaftler selbst forscht am faszinierenden Graphen. Novoselov betonte, dass Graphen ein vielversprechender Kandidat für zukünftige elektronische Anwendungen ist. Dies aufgrund der ungewöhnlichen elektrischen Eigenschaften von Graphen, etwa sowohl leitend als auch nicht leitend sein zu können, sowie chemische Verbindungen eingehen zu können. Letzteres ebnet den Weg zur Entwicklung weiterer zweidimensionaler Kristallstrukturen.

In seinem Exkurs über die besonderen Eigenschaften von Graphen und dessen Anwendung verwies Novoselov auf die Graphen-Forschung und den damit assoziierten Firmengründungen. Graphen sei eine Art «Arbeitsplatzbeschaffer», da es heute bei den Entwicklungen in der Photovoltaik, bei Fotodetektoren, bei Touchscreens zunehmend an Bedeutung gewinnen würde. Novoselovs Vortrag war mit witzigen Anekdoten geschmückt. So erzählte er, wie der Schwarzmarkt vermutlich durch die Entdeckung des Graphits 1564 im Lake District in Grossbritanien ins Leben gerufen wurde, weil sich der Preis von Graphit steigerte, als man im 17. Jahrhundert damit begann, Bleistifte herzustellen.

Appell an die Wissenschaft

Der emeritierte ETH-Professor und Chemienobelpreisträger Richard Ernst hielt das Abschlussreferat der Nobelpreis Session. Er appellierte darin vor allem an die Forschenden, dass sie die zukünftigen Führungskräfte gut und gewissenhaft ausbilden sollen und dabei nicht die Ethik und ihre Verantwortung aus dem Auge verlieren dürften. Er mahnte vor dem zunehmend egozentrischen Verhalten der Wissenschaft und wies darauf hin, dass es gerade die «Halbleiter» wären, die bei den Menschen zu Stress und Krankheit führten, da der Mensch heute durch seine «Onlineaktivität» immer verfügbar sei. Forschung täte man nicht um seiner selbst willen, um sein Ego zu befriedigen, sondern weil sie der Gesellschaft zu gute kommen sollte. «Was wir brauchen ist Kollaboration», hielt Ernst fest.

Ernst unterstrich sein Anliegen, indem er sich bescheiden gab und erklärte, dass er nicht wisse, warum er den Nobelpreis für seinen Beitrag zur Entwicklung der Methode der hochauflösenden Nuklearen Magentresonanz (NMR) erhalten habe. Das liess jedoch der Chairmann der Session, der österreichische Physiker Günther Bauer nicht gelten und hob zum Abschluss noch einmal explizit die Verdienste Ernsts hervor.

 
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