Veröffentlicht: 16.07.12
Science

Halbleiter-Forschung trifft sich in Zürich

Ende Juli treffen sich an der ETH Zürich über 1000 Forschende aus der ganzen Welt, um über ein Thema zu diskutieren: Halbleiter. Über den Stand der Forschung und darüber hinaus berichtet Klaus Ensslin, Professor für Experimentalphysik an der ETH Zürich, im Interview mit ETH Life.

Interview: Simone Ulmer
«Langfristig müssen wir lernen, einzelne Atome so zusammenzubauen, dass wir Festkörper mit massgeschneiderten Eigenschaften erhalten», sagt Klaus Ensslin, Professor für Experimentalphysik an der ETH Zürich. (Bild: Giulia Marthaler/ ETH Zürich)
«Langfristig müssen wir lernen, einzelne Atome so zusammenzubauen, dass wir Festkörper mit massgeschneiderten Eigenschaften erhalten», sagt Klaus Ensslin, Professor für Experimentalphysik an der ETH Zürich. (Bild: Giulia Marthaler/ ETH Zürich) (Grossbild)

Kaum eine Entwicklung hat nach der Erfindung des Buchdrucks die Welt so massgeblich verändert wie die Entdeckung des Transistors 1948, ein Produkt der Halbleiter-Technologie. Warum sind Halbleiter so wichtig?

Es gibt im Wesentlichen zwei Materialklassen auf unserer Welt. Die einen Materialien wie Kupfer, Silber oder Gold leiten elektrischen Strom. Dann gibt es andere Materialien – ich denke da an Porzellan, Holz oder Backstein –, welche den Strom nicht leiten. Die Halbleiter stehen zwischen den beiden Materialklassen. Der Begriff «Halbleiter» klingt etwas negativ, wie wenn es nichts Richtiges und nichts Ganzes wäre. Aber: Gold kann man nicht beeinflussen, das leitet immer, so wie ein Stück Porzellan immer isoliert. Ein Halbleiter besitzt die Eigenschaft, dass man den Stromfluss ein- und ausschalten kann.

Der Begriff «Halbleiter» wurde erstmals 1782 von Alessandro Volta verwendet. Was sind die Meilensteine in dieser über zweihundertjährigen Entwicklungsgeschichte?

Den «echten» Beginn der Halbleiter setze ich an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Vorher hat man physikalisch gar nicht verstanden, was ein Metall von einem Isolator unterscheidet. Die Unterschiede zwischen den beiden wurden erst deutlich mit der Quantenmechanik in der Zeit von 1920 bis 1930. Die Halbleiter und deren Potential erkannte man aber lange Zeit nicht. Es gibt den berühmten Ausspruch von Wolfgang Pauli: «One shouldn't work on semiconductors, that is a filthy mess; who knows if they really exist!» Und später sagte er: «I don't like this solid state physics …though I initiated it...». Es waren sich alle einig, dass das «schmutziger Kram» ist...

...der heute so bedeutend ist, dass sich mehr als 1000 Fachleute zwischen dem 29. Juli und 3. August an der ETH Zürich zur weltweit grösste Halbleiter-Konferenz ICPS 2012 treffen. Welches werden die Top-Themen sein?

Ein Highlight werden in diesem Jahr die sogenannten Majorana-Fermionen sein. Das Majorana-Fermion ist ein Teilchen ohne Ladung, das in den 30er Jahren in der Hochenergiephysik im Zusammenhang mit Neutrinos vorhergesagt wurde. Jetzt kann man solche Teilchen vielleicht erstmals mit Hilfe der Festkörperphysik nachweisen, durch eine sehr clevere Kombination von einem Halbleiter und einem Supraleiter. Es gibt erste, experimentelle Ergebnisse einer niederländischen Gruppe, die an der Konferenz vorgestellt werden. Ein weiteres Highlight wird eine Gruppe aus Harvard vorstellen. Ihr ist es gelungen, vier Quantenbits in einem Halbleiter zu realisieren und auszumessen. Auf der Konferenz wird es auch um neue Materialien gehen, die oft am Beginn einer neuen Entwicklung stehen.

Halbleiter sind von grosser Bedeutung in der Prozessierung von Daten und Informationsübertragung. Was leistet die Industrie und was trägt die Wissenschaft bei?

Bei uns geht es darum, neue Wege aufzuzeigen, neue physikalische Effekte zu finden und dafür brauchen wir beispielsweise die Quantenphysik. Es ist Sache der Halbleiterindustrie, bestehende Chips noch kleiner und schneller zu machen. An der Konferenz wird IBM aufzeigen, wo die Halbleitertechnologie heute steht, was ihre physikalischen Grenzen sind und wie IBM die Zukunft sieht.

Von der Herstellung des ersten Transistors bis zum iPhone sind rund 65 Jahre vergangen. Das scheint eine lange Zeit. Wird der klassische Halbleiter bald überholt sein?

Der erste Transistor war ja aus Germanium. Man hat dann relativ schnell gemerkt, dass sich Silizium besser eignet. Das liegt daran, dass Silizium in fast unbegrenzten Mengen vorkommt. Die Hälfte der Erdkruste besteht aus Silizium; der Rohstoff kostet praktisch nichts. Ausserdem bildet Silizium, wenn man es sehr sauber herstellt, an seiner Grenzfläche eine Oxidschicht, die ein perfekter Isolator ist. Silizium hat also zwei fast unschlagbare Vorteile: Es ist billig und hat besondere chemische Eigenschaften. Seit 30 Jahren versuchen die Wissenschaftler Silizium als Halbleitermaterial abzulösen, aber bis heute ist es nicht gelungen.

Was wurde bisher als Alternative gehandelt?

Es gibt sogenannte «drei-fünf-Halbleiter», wie Galiumarsenid oder Indiumarsenid, mit denen mehrere Gruppen an der ETH Zürich arbeiten. Diese Halbleiter sind relevant, wenn es um Optoelektronik geht. Silizium hat den Nachteil, dass kein Licht herauskommt. Deshalb gibt es keinen Siliziumlaser. Um einen Laser zu bauen, braucht man andere Halbleiter. Auch die Elemente wie Silizium, Germanium oder Kohlenstoff werden immer wieder angeführt. Es gibt den Forschungsansatz, dass kohlenstoffbasierte Materialien wie Kohlenstoffnanoröhrchen oder Graphen besser funktionieren könnten als Silizium. Eine andere Idee ist, dass man einzelne Moleküle nimmt, diese kontaktiert und sie so zum Schalten benutzt. Aber das hat sich industriell bisher nicht durchgesetzt.

Was erhoffen Sie sich für Fortschritte bei Graphen und den Kohlenstoff-Nanoröhrchen in den kommenden zehn Jahren?

Da gibt es verschiedene Aspekte. Samsung ist schon sehr früh in die Graphen-Technologie eingestiegen. Im nächsten Jahr wird ein Smartphone auf den Markt kommen, bei dem der Touchscreen aus Graphen besteht. Der Touchscreen muss gleichzeitig durchsichtig und elektrisch leitend sein. Da die meisten Metalle nicht transparent sind, wird heute dafür Indiumzinnoxid verwendet. Das Material ist aber erstens giftig und zweitens gehen die Vorräte langsam zur Neige. Wenn wir das durch Graphen ersetzen können, haben wir zwar keine schnelleren Smartphones, aber sie sind billiger und weniger giftig.

Was müsste der ideale Halbleiter können?

Es geht immer um Geschwindigkeit, um Rechenleistung. Das Problem: Bis vor zehn Jahren konnte man die Packungsdichte von Transistoren und damit die Leistungsfähigkeit ständig erhöhen, doch die heutigen Laptops werden nicht mehr schneller, die Taktfrequenz geht nicht mehr hoch. Stattdessen werden nun mehrere Prozessorkerne auf einen Chip zusammengebaut. Heutige Transistoren kann man nicht mehr viel schneller machen, bestimmte Entwicklungen sind an ihre Grenzen gestossen.

Und die Physiker, die sich mit Halbleitern befassen, arbeiten nun daran, das Problem anders zu lösen...

Verkehrsflugzeuge fliegen seit dreissig Jahren gleich schnell, sie werden nicht mehr schneller. Es gibt manchmal eine Saturierung in einer Technologie, die dann durch andere Fragen, wie zum Beispiel die Reduktion des Energieverbrauchs, abgelöst werden. Wir sind es bei der Halbleitertechnik gewohnt, dass über 60 Jahre alles exponentiell wächst. Das kann nicht so weiter gehen. Aber es gibt bereits neue Entwicklungen im Quantencomputing oder in der Quantenkryptographie, die uns vielleicht ganz neue Möglichkeiten eröffnen.

Sie arbeiten in Ihrer Forschung mit Elektronen. Sie studieren ihr Verhalten und nutzen diese Erkenntnisse, um deren Verhalten zu beeinflussen. Immer mit dem Ziel, Materialien für neue physikalische Fragen masszuschneidern…

…Genau. Unser Forschungsziel ist, in Halbleiterumgebungen kleine Quantenstrukturen herzustellen. Wir möchten zum Beispiel verstehen, wie ein Elektron durch einen Festkörper fliesst, das heisst wie Strom durch ein Material fliesst. Wir können ein Elektron aber nicht sehen und keiner weiss, wie gross es ist. Deshalb müssen wir indirekte Methoden anwenden, um zu erkennen, wo der Strom gerade fliesst und um zu verstehen, was Stromfluss beziehungsweise Ladungstransport auf mikroskopischer Ebene überhaupt heisst.

Wo sehen Sie in der Halbleiterforschung in den kommenden zehn Jahren die grössten Herausforderung?

Die Herausforderung wird sein, dass wir immer bessere Technologien brauchen. Die Industrie baut immer kleinere, heute 22 Nanometer grosse Transistoren. Ein Transistor besteht also aus ungefähr 50 Atomen. Langfristig müssen wir lernen, wie wir einzelne Atome so zusammenbauen können, dass wir Festkörper mit atomarer Kontrolle erhalten. So könnte man gewisse Eigenschaften massschneidern – sei es, weil es physikalisch interessant ist oder weil man eine bestimmte Anwendung im Kopf hat. Dieses Massschneidern würde der Wissenschaft ein Quanten-Engineering erlauben. Wir könnten Materialien nicht nur als Forschungsgegenstand per se herstellen, sondern sie so gut verstehen und kontrollieren, dass wir dereinst eine gewünschte physikalische Struktur herstellen könnten. Eine Struktur, die wir sonst vielleicht gar nicht hätten und die völlig neu ist.

Was fasziniert Sie an der Halbleiterphysik?

Was ich fantastisch finde ist, dass es nach wie vor ein Gebiet ist, in dem man als Einzelner grundlegende Beiträge liefern kann. Und das, obwohl das Gebiet technologisch sehr kompliziert ist. Das benötigte Equipment für die Experimente wird zwar immer teurer und grösser, doch viele Halleiterphysiker an der ETH Zürich profitieren von der hervorragenden Infrastruktur des FIRST-Lab und des Binnig-Rohrer-Nanozentrums in Rüschlikon. Schön an der Halbleiterphysik ist auch, dass man als Experimentalphysiker meist gut erklären kann, was in den Experimenten geschieht und was man damit herausfinden möchte.

Tagung und Nobelforum

Die ICPS-Konferenz findet alle zwei Jahre statt, die erste war 1950, zwei Jahre nach der Entwicklung des Transistors. Die Halbleiterkonferenz ist erstmals in Zürich. Sie tagt im ETH-Hauptgebäude, wo die grossen Veranstaltungen in der Turnhalle stattfinden. Die Konferenz wird mit einer «Nobelpreis-Session» eröffnet, die von den Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing, Albert Fert, Kostya Novoselov und Richard Ernst bestritten wird. Für das Nobelforum am Sonntag, den 29. Juli, sind rund 100 Plätze für ETH-Angehörige reserviert. Interessierte können sich anmelden unter icps@ethz.ch.

 
Leserkommentare: