Veröffentlicht: 27.07.12
Science

Echtzeit-Animation der Olympia-Besucherströme

Ab heute strömen an den Olympischen Spiele riesige Menschenmassen durch die Strassen Londons. Zu Spitzenzeiten werden in der «City of London» die Passantenströme auch mit ETH-Technologie verfolgt: Eine Smartphone-App sammelt minütlich Positionsdaten, die an der ETH zu einer Echtzeit-Visualisierung der Menschenströme verarbeitet werden.

Lukas Langhart
Die Crowd-Monitoring-App sendet minütlich ihre Positionsdaten, die dann auf den Servern der ETH Zürich als dynamische Heatmap visualisiert und der Londoner Polizei zur Verfügung gestellt werden. (Bild: Martin Wirz / ETH Zürich)
Die Crowd-Monitoring-App sendet minütlich ihre Positionsdaten, die dann auf den Servern der ETH Zürich als dynamische Heatmap visualisiert und der Londoner Polizei zur Verfügung gestellt werden. (Bild: Martin Wirz / ETH Zürich) (Grossbild)

Wenn im Finanzdistrikt «City of London» während der Olympischen Spiele grosse Menschenmassen erwartet werden, laufen die Server im Wearable Computing Lab der ETH Zürich auf Hochtouren. Alle 60 Sekunden treffen dann Positionsdaten tausender Mobiltelefone ein, die von ihren Besitzern durch die Londoner City getragen werden. Bildet man diese Koordinaten auf einer Karte ab, wird sichtbar, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich die Menschenmassen bewegen. Somit kann das zuständige Polizeikorps, die City of London Police, die Bewegungen der Besucherinnen und Besucher der Olympischen Spiele in ihrem Stadtbezirk live mitverfolgen – mit dem Ziel, Risikosituationen frühzeitig zu erkennen.

Übermittelt werden die Positionsdaten mit Hilfe einer Smartphone-App, die unter dem Namen «City Police» im Appstore von Apple kostenlos heruntergeladen werden kann. Die App soll jedoch nicht nur die Passantenströme sichtbar machen, sondern der Bevölkerung auch einen Nutzen bieten: Einerseits durch aktuelle Polizeimeldungen, andererseits durch konkrete Hinweise in heiklen Situationen. Verzeichnet die App etwa einen grossen Andrang bei einer U-Bahnstation, empfiehlt sie per Push-Nachricht die nächstgelegene Ausweichstation.

Auch in der City of Westminster, dem Londoner Stadtbezirk mit den meisten Sehenswürdigkeiten, kommt eine entsprechende Gratis-App zum Einsatz. Unter dem Namen «What’s on?» liefert sie Informationen zu allen Events, die während der Olympischen Spiele in Westminster stattfinden – und generiert nebenbei ebenfalls Live-Informationen über die Menschenströme. Im Gegensatz zur Polizei-App, die auch nach Olympia bei Grossanlässen eingesetzt werden soll, wurde die Westminster-App eigens für diesen Anlass konzipiert.

Frucht einer europäischen Kooperation

Die Zusammenarbeit mit der City of London Police und mit der City of Westminster ist im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts SOCIONICAL entstanden, in dem verschiedene Hochschulen und Forschungszentren das Zusammenspiel von Technologie und sozialer Interaktion untersuchen. Die Crowd-Monitoring-Apps wurden am «Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz» entwickelt, für die Kooperation mit der Polizei ist die «London School of Economics and Political Science» verantwortlich. Die nötige Serverinfrastruktur zur Datensammlung sowie die Verarbeitungs- und Visualisierungsmethoden wurden im Wearable Computing Lab der ETH Zürich unter der Leitung des Doktoranden Martin Wirz entwickelt.

Für Martin Wirz ist der Einsatz der ETH-Serverinfrastruktur während der Olympischen Spiele eine grossartige Gelegenheit, um zu untersuchen, wie Smartphones zur Sicherheit der Bevölkerung an Grossanlässen beitragen können: «Der Einsatz hilft uns zu verstehen, welche relevanten Informationen aus den Positionsdaten extrahiert werden können und wie die Bevölkerung motiviert werden kann, diese Daten freiwillig bereitzustellen.» Die Serverplattform namens CoenoSense wurde vor dem Olympia-Einsatz bereits mehrfach erfolgreich getestet: 2011 am maltesischen Freinacht-Festival «Notte Bianca» sowie an der «Lord Mayor’s Show» in London, 2012 am Londoner Kulturfestival «West End Live» sowie am «Vienna City Marathon».

Der Datenschutz ist gewährleistet

Die Aussagekraft von Crowd Monitoring mittels Mobiltelefonen steht und fällt mit der Anzahl Personen, die eine entsprechende App überhaupt installieren und ihre Positionsdaten übermitteln wollen. Bedenken betreffend Datenschutz zerstreut Martin Wirz: «Die Nutzer dieser Apps bleiben anonym und können nicht identifiziert werden.» Erstens, weil die Positionsdaten anonym zu den Servern geschickt werden, und zweitens, weil die Übermittlung auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt ist. Ausserdem wird die Übermittlung der Positionsdaten nur in heiklen Situationen für einen festgelegten Zeitraum aktiviert – was auch die Batterien der Mobiltelefone schonen soll –, und zwar niemals ohne die explizite Zustimmung der User. «Wir gehen aber davon aus, dass die User verstehen, dass das Senden ihrer Positionsdaten auch zu ihrem Nutzen ist und die persönliche Sicherheit erhöhen kann», so Wirz. Der Doktorand hofft deshalb auf eine rege Teilnahme. Seit vorgestern kann die App heruntergeladen werden, in einigen Tagen dürften mehrere hundert Handybesitzer ihre Daten beisteuern.