Veröffentlicht: 08.12.11
Science

Bäume in «Multi-Kulti»-Wäldern wachsen schneller

Bäume in Wäldern mit einer höheren Biodiversität wachsen schneller. Dies hat die Professur Waldökologie in einer Studie mit einem neuartigen Ansatz nachgewiesen. Was auf den ersten Blick einleuchtend klingen mag, ist das Resultat jahrelanger Arbeit. In den Wald gehen muss man dafür erstaunlicherweise nicht.

Lars Gubler
Diese Bäume wachsen besonders schnell: Das diverse Waldreservat Leihubelwald im Kanton Obwalden (Bild: Peter Brang / WSL).
Diese Bäume wachsen besonders schnell: Das diverse Waldreservat Leihubelwald im Kanton Obwalden (Bild: Peter Brang / WSL). (Grossbild)

Seit vielen Jahrzehnten wird in der Forstwissenschaft vermutet, dass gut durchmischte Wälder mit vielen Baumarten ein grösseres Baumwachstum – im Fachjargon höhere Produktivität genannt – aufweisen. Problem: Niemand konnte diese Hypothese bisher belegen, denn die dazu nötigen Experimente wären zu aufwändig: Um aussagekräftige Resultate zu bekommen, müsste man hunderttausende Bäume pflanzen und über viele Jahrzehnte beobachten. Stattdessen arbeitet man mit Versuchsanordnungen, in welchen Keimlinge und Sämlinge während weniger Jahre untersucht werden. «Die Ergebnisse solcher Experimente können kaum auf erwachsene Bäume übertragen werden», sagt Harald Bugmann, Professor für Waldökologie an der ETH Zürich. Die Mitarbeiter von Harald Bugmann begegnen dieser Herausforderung jetzt mit einer neuen Methodik. Mithilfe eines Computermodells lässt sich der Zuwachs in Waldbeständen mit ganz unterschiedlicher Baumarten-Zusammensetzung errechnen. Mit dem Computermodell, das ursprünglich für einen ganz anderen Bereich der Waldforschung entwickelt wurde, untersucht das Team den Zusammenhang zwischen Biodiversität und Baumproduktivität. Das Modell umfasst 30 Baumarten und kann zahlreiche Klimabedingungen simulieren; es deckt so ein grosses Spektrum der europäischen Verhältnisse ab. Bugmann stellte diese Methode zusammen mit seinen Mitarbeitern Xavier Morin und Lorenz Fahse sowie dem Biologen Michael Scherer-Lorenzen von der Universität Freiburg im Breisgau kürzlich in der renommierten Zeitschrift «Ecology Letters» vor.

Diverser Wald schützt besser

Ein diverser Wald hat Vorteile für das Ökosystem und für die Menschen. Wenn zum Beispiel nur ein Typ von Wurzeln im Boden vorkomme, könne die Gefahr von Bodenerosion grösser sein, erklärt Bugmann. Wenn hingegen verschiedene Baumarten vorkommen, sei das Wurzelgeflecht im Boden komplexer und der Boden dadurch stabiler. Solche Erkenntnisse haben der Politik bis anhin bereits Argumente geliefert, um das Aussterben von Arten aufzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen. Dass der sogenannte naturnahe Waldbau aber auch hinsichtlich der Baumproduktivität tatsächlich besser ist als eine industrielle Waldbewirtschaftung, konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Der Zusammenhang zwischen der Biodiversität eines Waldes und der Produktivität seiner Bäume, also ihres Zuwachses, bietet nun ein weiteres Argument im Kampf gegen das Artensterben. «Ein Multi-Kulti-Wald ist produktiver als eine Monokultur und kann seine Aufgaben, zum Beispiel als Schutzwald im Alpenraum, besser erfüllen», sagt Harald Bugmann. Mit einem Biodiversitätsverlust geht auch ein Produktivitätsverlust des Waldes einher.

Klimaveränderung und Baumproduktivität

Das Computermodell kann die Entwicklung eines Waldes zu jedem beliebigen Zeitpunkt abbilden. In einem nächsten Schritt wird es auf weitere Wälder in ganz Europa ausgedehnt und für Aussagen zur zukünftigen Entwicklung eingesetzt. «In den Wald gehen müssen wir dafür nicht», erklärt Bugmann, «die Simulationen sind dank der guten Datenbasis ausreichend und ergänzen die vorhandenen Beobachtungsdaten und Experimente ideal». Im Rahmen des EU-Projekts «BACCARA», welches eine Risikoanalyse zu Klimaveränderung und Biodiversität erstellt, wird in Zusammenarbeit mit 15 Partnerinstitutionen aus ganz Europa aufgezeigt, ob und wie der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Produktivität der Wälder durch die Klimaerwärmung beeinflusst wird. Zu diesem Zweck werden bekannte Szenarien aus der Klimaforschung genutzt. Auch wenn der Einfluss der Klimaveränderung auf die Parameter Biodiversität und Baumproduktivität zwar nachgewiesen werden kann, muss der Zusammenhang zwischen diesen zwei Kenngrössen in Zukunft nicht gleich bleiben; ohne Computer-Simulation lässt sich diese Frage nicht beantworten. «Meine Vermutung ist, dass der Zusammenhang trotz Klimaveränderung weiterhin bestehen wird», so Harald Bugmann. Die Resultate der europäischen Studie sollen bis Ende Jahr vorliegen.

 
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