Veröffentlicht: 08.09.10
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«China ist offen für neue Technologien»

Bundesrat Moritz Leuenberger eröffnet in der kommenden Woche an der Weltausstellung in Shanghai Konferenz «Zukunftsstädte». Die Veranstaltung wurde von der ETH Zürich, den chinesischen Akademien der Wissenschaften und swissnex China konzipiert. Mit dabei ist Hansjürg Leibundgut, Professor für Gebäudetechnik am Institut für Technologie in der Architektur der ETH Zürich.

Interview: Thomas Langholz
Hansjürg Leibundgut, Professor für Gebäudetechnik an der ETH Zürich, referiert an der Weltausstellung in Shanghai zu Umwelt-Themen und neuen Gebäudetechnologien. (Bild: ETH Zürich)
Hansjürg Leibundgut, Professor für Gebäudetechnik an der ETH Zürich, referiert an der Weltausstellung in Shanghai zu Umwelt-Themen und neuen Gebäudetechnologien. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Leibundgut, in den kommenden zwölf Jahren plant China den Bau von 460 Kohlekraftwerken. Ist es nicht illusorisch, Zero-Emission-Technologien aus Europa nach China zu transferieren?
Nein, im Gegenteil. Mit dem steigenden Wohnbedarf in China steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Elektrizität. Also setzt das Land die Ressource und die Technologie ein, die vor Ort vorhanden ist: Kohle und Kohlekraftwerke. Neue Technologien sind in China noch weitgehend unbekannt. Zum Beispiel Photovoltaik kombiniert mit Wärmepumpen, Wärmerückgewinnung aus Klimaanlagen zur Warmwasserproduktion, dezentrale Lüftungsgeräte oder Digitalstrom. Wir sagen jetzt, es gibt noch etwas Neues. Ich möchte vermitteln, dass es sich lohnt, diese neuen Technologien auszuprobieren, anstatt 400 Kohlekraftwerke zu bauen.

Die meisten Gebäude in Shanghai haben nur eine Einfachverglasung. Warum sind einfachste Energiesparmassnahmen in China nicht bekannt?
Das fängt bereits in der Ausbildung an. Gewisse theoretische Grundlagen, wie zum Beispiel der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, werden nicht gelehrt.
Man darf aber nicht den Fehler machen und glauben, China sei ein rückständiges Land. Das Abendland hat sich durch die Aufklärung weiterentwickelt. Dadurch wurde aber viel in der Umwelt zerstört, was wir heute reparieren müssen. Diese technischen Fehlentwicklungen wurden im 20. Jahrhundert exportiert. Mit der amerikanischen Expansion verbreiteten sich diese Technologien nach dem zweiten Weltkrieg weltweit und galten als das Mass aller Dinge.

Können Sie das genauer erklären?
Amerikaner wollen zum Beispiel in Manila eine Kühlung wie in Amerika, sonst buchen sie dieses Hotel nicht. Das führte zu einem immensen Druck, diese amerikanische Technologie zu übernehmen. Sie wurde einmal in Chicago entwickelt, aber nie an das örtliche subtropische Klima angepasst. Diese Entwicklungen müssen jetzt alle korrigiert werden und dafür haben wir aber nur noch 70 Jahre Zeit.

Gibt es schon Hochschulkontakte zwischen der ETH und China?
Die Zusammenarbeit mit Singapur ist in vollem Gange. Das ETH-Engagement ist ein Brückenkopf nach Asien im Bereich Ausbildung. Ich habe einen längeren Kontakt zu Menghao Qin, Professor für Gebäudetechnik an der Universität von Nanjing. Er wird Anfang 2011 an die ETH kommen und hier an einem Workshop teilnehmen.

Chinas Städte boomen. Bis im Jahr 2020 sollen über 50 Prozent der Bevölkerung in Städten wohnen. Ein Problem ist der zunehmende Individualverkehr und damit auch die Luftverschmutzung. Gibt es hier Lösungen?
Die Luftreinhalte-Verordnung im Kanton Zürich wurde unter meiner Mitwirkung von 1984 bis 1990 durchgesetzt. Erreicht haben wir dies durch den Einsatz von neuen Filtertechnologien. Damit wurden die Abgase aus den Schornsteinen und Auspuffen sauberer, der CO2-Ausstoss ist aber geblieben. Daher ist es eher eine Art «Pflasterpolitik» gewesen, dass das fundamentale CO2-Problem vertagt wurde. China leidet unter der lokalen Luftverschmutzung mit Smog und unter dem CO2-Ausstoss. In der Schweiz hat es hintereinander gestaffelte Massnahmen gegeben. Zuerst wurden in den 1980er Jahren die alten Brenner ersetzt und in den 2020er Jahren müssen die Kessel durch Wärmepumpen ausgetauscht werden. In China könnte man beide Schritte jetzt gleichzeitig durchführen.

China ist ein zentral gesteuertes Land. Neue Technologien sind immer ein politisches Statement. Wie gehen Sie damit um?
Die Distriktregierung in Hangzohou hat kleine Verbrennungsmotoren verboten, daher gibt es dort nur Elektroroller. Alle jungen Leute haben mir gesagt, dass sie sich einen Benzin-Motorroller gar nicht mehr vorstellen können. Das kann nur in einem zentralistisch gesteuerten Land in so kurzer Zeit funktionieren. China kann durch die zentralistische Regierung Technologiesprünge viel schneller machen als wir.

Die Menschen dort haben aber kein Einspruchsrecht.
Die heutige Technologie hängt immer mit der jeweiligen Gesellschaftsform zusammen. Solange es keine Technologie gibt, muss man nicht darüber diskutieren, welche eingesetzt werden soll. Die Menschheit kommt nicht darum herum, eine riesige technische Entwicklung zu lancieren. Sie ist vergleichbar mit dem Übergang von den Stein- zu den Eisenwerkzeugen. Jetzt ist es nicht nur ein technologischer Fortschritt - jetzt ist es eine Notwendigkeit.

Also ist es eine Frage des Überlebens der menschlichen Spezies?
Der Mensch ist der einzige Säuger, der es durch die Sozialisation geschafft hat, dass mehrere Männchen in der gleichen Höhle wohnen, ohne sich zu zerfleischen. Wenn es zu eng wurde, dann wurde eine neue Höhle gesucht. Jetzt ist die Ausbreitung beendet und die besten Orte sind besetzt. Durch den Klimawandel werden Menschen aber von ihren angestammten Orten vertrieben werden und das führt zu gesellschaftlichen Konflikten. Unsere Forschung ist daher auch Friedenssicherung.

Wie offen ist China für neue Technologien?
Der Minister für Wissenschaft und Technologie, Wan Gang, ist ein Ingenieur und kein schöngeistiger Politiker. Das Interesse an neuen Technologien ist sehr gross. Immer mehr Delegationen kommen in die Schweiz und an die ETH. Es gibt keinen Vorbehalt gegenüber Technologie. Die Expo ist eine Plattform, um unsere Entwicklungen zu zeigen. Es geht darum, die theoretischen Grundlagen zu erklären und zu zeigen, dass ein anderer Umgang mit Energie möglich ist.

Ist die Politik weltweit überhaupt bereit, neue Technologien zu akzeptieren?
Ich forsche jetzt 35 Jahre an Energietechnologien, von Beginn der Sonnenenergie bis zur heutigen Geothermie. Die Systeme haben einen sehr hohen Standard und stehen zurzeit weltweit sehr weit oben auf der politischen Agenda. Jetzt besteht die Möglichkeit, dass sie in die Wirtschaft übernommen werden. Die Finanz- oder Klimakrise zeigt, dass nach einem Wechsel gesucht wird.

Die Ölreserven gehen zu Ende. Welche Energie kann sie ersetzen?
An erster Stelle wird immer Uran genannt. Dies ist aber nur an wenigen Orten verfügbar. Die zurzeit benötigte Energie, die durch Kohle erzeugt wird, durch Atomenergie zu ersetzen, ist unmöglich. Es ist ein Nischenprodukt. Sonnenenergie kann technologisch, von der Geschwindigkeit und von der Verfügbarkeit her, als einzige Energiequelle das Problem fundamental lösen. Die neuen Energien sind auch erst mit dem technologischen Fortschritt richtig nutzbar. 60-70 Meter lange Flügel, um Windenergie zu nutzen, kann die Industrie erst seit kurzem herstellen. Die zweite wichtige Technologie ist Photovoltaik, die erst seit 1980 terrestrisch genutzt wird. Dies sind ganz junge Technologien, die keine Grenzen haben.

Ausstellung zum Schweizer Expo-Pavillon

Die Schweiz präsentiert sich an der Expo 2010 in Shanghai mit einem Pavillon zum Thema «rural-urban interaction». Dieses Thema war 2006 auch Vorgabe für den Architekturwettbewerb. Sieger waren die Architekten Buchner Bründler zusammen mit den Ausstellungsgestaltern element Design aus Basel. Eine Ausstellung an der ETH Zürich stellt den im April 2010 eröffneten Pavillon vor.
Ausstellung:
Mittwoch, 22. Sept. – Donnerstag, 4. Nov. 2010
ARchENA, Hönggerberg, ETH Zürich
Mo-Fr 8-22, Sa/So und Feiertage geschlossen
Eröffnung:
Dienstag, 21. Sept. 2010, 18.00 Uhr
Auditorium E4, Hönggerberg, ETH Zürich
Begrüssung
Philippe Carrard,
Leiter gta Ausstellungen, Departement Architektur, ETH Zürich
Vorträge
Daniel Buchner, Andreas Bründler,
Buchner Bründler Architekten, Basel
Roger Aeschbach,
element Design, Basel