«China ist offen für neue Technologien»
Bundesrat Moritz Leuenberger eröffnet in der kommenden Woche an der Weltausstellung in Shanghai Konferenz «Zukunftsstädte». Die Veranstaltung wurde von der ETH Zürich, den chinesischen Akademien der Wissenschaften und swissnex China konzipiert. Mit dabei ist Hansjürg Leibundgut, Professor für Gebäudetechnik am Institut für Technologie in der Architektur der ETH Zürich.
Herr
Leibundgut, in den kommenden zwölf Jahren plant China den Bau von 460
Kohlekraftwerken. Ist es nicht illusorisch, Zero-Emission-Technologien aus Europa
nach China zu transferieren?
Nein, im Gegenteil. Mit dem steigenden
Wohnbedarf in China steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Elektrizität. Also
setzt das Land die Ressource und die Technologie ein, die vor Ort vorhanden
ist: Kohle und Kohlekraftwerke. Neue Technologien sind in China noch weitgehend
unbekannt. Zum Beispiel Photovoltaik kombiniert mit Wärmepumpen, Wärmerückgewinnung aus Klimaanlagen zur
Warmwasserproduktion, dezentrale Lüftungsgeräte oder Digitalstrom. Wir sagen
jetzt, es gibt noch etwas Neues. Ich möchte vermitteln, dass es sich lohnt, diese
neuen Technologien auszuprobieren, anstatt 400 Kohlekraftwerke zu bauen.
Die
meisten Gebäude in Shanghai haben nur eine Einfachverglasung. Warum sind
einfachste Energiesparmassnahmen in China nicht bekannt?
Das fängt bereits in der Ausbildung an.
Gewisse theoretische Grundlagen, wie zum Beispiel der zweite Hauptsatz der
Thermodynamik, werden nicht gelehrt.
Man darf aber nicht den Fehler machen
und glauben, China sei ein rückständiges Land. Das Abendland hat sich durch die
Aufklärung weiterentwickelt. Dadurch wurde aber viel in der Umwelt zerstört, was
wir heute reparieren müssen. Diese technischen Fehlentwicklungen wurden im 20.
Jahrhundert exportiert. Mit der amerikanischen Expansion verbreiteten sich
diese Technologien nach dem zweiten Weltkrieg weltweit und galten als das Mass
aller Dinge.
Können Sie das genauer erklären?
Amerikaner wollen zum Beispiel in
Manila eine Kühlung wie in Amerika, sonst buchen sie dieses Hotel nicht. Das
führte zu einem immensen Druck, diese amerikanische Technologie zu übernehmen. Sie
wurde einmal in Chicago entwickelt, aber nie an das örtliche subtropische Klima
angepasst. Diese Entwicklungen müssen jetzt alle korrigiert werden und dafür haben wir aber nur noch 70 Jahre
Zeit.
Gibt es schon Hochschulkontakte zwischen der ETH und
China?
Die Zusammenarbeit mit Singapur ist in
vollem Gange. Das ETH-Engagement ist ein Brückenkopf nach Asien im Bereich
Ausbildung. Ich habe einen längeren Kontakt zu Menghao Qin, Professor für Gebäudetechnik
an der Universität von Nanjing. Er wird
Anfang 2011 an die ETH kommen und hier an einem Workshop teilnehmen.
Chinas
Städte boomen. Bis im Jahr 2020 sollen über 50 Prozent der Bevölkerung in
Städten wohnen. Ein Problem ist der zunehmende Individualverkehr und damit auch
die Luftverschmutzung. Gibt es hier Lösungen?
Die Luftreinhalte-Verordnung im Kanton
Zürich wurde unter meiner Mitwirkung von 1984 bis 1990 durchgesetzt. Erreicht
haben wir dies durch den Einsatz von neuen Filtertechnologien. Damit wurden die
Abgase aus den Schornsteinen und Auspuffen sauberer, der CO2-Ausstoss ist aber
geblieben. Daher ist es eher eine Art «Pflasterpolitik» gewesen, dass das
fundamentale CO2-Problem vertagt wurde. China leidet unter der lokalen
Luftverschmutzung mit Smog und unter dem CO2-Ausstoss. In der Schweiz hat es
hintereinander gestaffelte Massnahmen gegeben. Zuerst wurden in den 1980er
Jahren die alten Brenner ersetzt und in den 2020er Jahren müssen die Kessel
durch Wärmepumpen ausgetauscht werden. In China könnte man beide Schritte jetzt
gleichzeitig durchführen.
China
ist ein zentral gesteuertes Land. Neue Technologien sind immer ein politisches
Statement. Wie gehen Sie damit um?
Die Distriktregierung in Hangzohou hat
kleine Verbrennungsmotoren verboten, daher gibt es dort nur Elektroroller. Alle
jungen Leute haben mir gesagt, dass sie sich einen Benzin-Motorroller gar nicht
mehr vorstellen können. Das kann nur in einem zentralistisch gesteuerten Land
in so kurzer Zeit funktionieren. China kann durch die zentralistische Regierung
Technologiesprünge viel schneller machen als wir.
Die Menschen dort haben aber kein Einspruchsrecht.
Die heutige Technologie hängt immer mit
der jeweiligen Gesellschaftsform zusammen. Solange es keine Technologie gibt,
muss man nicht darüber diskutieren, welche eingesetzt werden soll. Die
Menschheit kommt nicht darum herum, eine riesige technische Entwicklung zu
lancieren. Sie ist vergleichbar mit dem Übergang von den Stein- zu den
Eisenwerkzeugen. Jetzt ist es nicht nur ein technologischer Fortschritt - jetzt
ist es eine Notwendigkeit.
Also ist es eine Frage des Überlebens der menschlichen
Spezies?
Der Mensch ist der einzige Säuger, der
es durch die Sozialisation geschafft hat, dass mehrere Männchen in der gleichen
Höhle wohnen, ohne sich zu zerfleischen. Wenn es zu eng wurde, dann wurde eine
neue Höhle gesucht. Jetzt ist die Ausbreitung beendet und die besten Orte sind
besetzt. Durch den Klimawandel werden Menschen aber von ihren angestammten
Orten vertrieben werden und das führt zu gesellschaftlichen Konflikten. Unsere
Forschung ist daher auch Friedenssicherung.
Wie offen ist China für neue Technologien?
Der Minister für Wissenschaft und
Technologie, Wan Gang, ist ein Ingenieur und kein schöngeistiger Politiker. Das
Interesse an neuen Technologien ist sehr gross. Immer mehr Delegationen kommen
in die Schweiz und an die ETH. Es gibt keinen Vorbehalt gegenüber Technologie.
Die Expo ist eine Plattform, um unsere Entwicklungen zu zeigen. Es geht darum,
die theoretischen Grundlagen zu erklären und zu zeigen, dass ein anderer Umgang
mit Energie möglich ist.
Ist die Politik weltweit überhaupt bereit, neue
Technologien zu akzeptieren?
Ich
forsche jetzt 35 Jahre an Energietechnologien, von Beginn der Sonnenenergie bis
zur heutigen Geothermie. Die Systeme haben einen sehr hohen Standard und stehen
zurzeit weltweit sehr weit oben auf der politischen Agenda. Jetzt besteht die
Möglichkeit, dass sie in die Wirtschaft übernommen werden. Die Finanz- oder
Klimakrise zeigt, dass nach einem Wechsel gesucht wird.
Die Ölreserven gehen zu Ende. Welche Energie kann sie
ersetzen?
An erster Stelle wird immer Uran
genannt. Dies ist aber nur an wenigen Orten verfügbar. Die zurzeit benötigte
Energie, die durch Kohle erzeugt wird, durch Atomenergie zu ersetzen, ist
unmöglich. Es ist ein Nischenprodukt. Sonnenenergie kann technologisch, von der
Geschwindigkeit und von der Verfügbarkeit her, als einzige Energiequelle das
Problem fundamental lösen. Die neuen Energien sind auch erst mit dem
technologischen Fortschritt richtig nutzbar. 60-70 Meter lange Flügel, um
Windenergie zu nutzen, kann die Industrie erst seit kurzem herstellen. Die
zweite wichtige Technologie ist
Photovoltaik, die erst seit 1980 terrestrisch genutzt wird. Dies sind ganz
junge Technologien, die keine Grenzen haben.
Ausstellung zum Schweizer Expo-Pavillon
Die Schweiz präsentiert sich an der Expo 2010
in Shanghai mit einem Pavillon zum Thema «rural-urban interaction».
Dieses Thema war 2006 auch Vorgabe für den Architekturwettbewerb. Sieger
waren die Architekten Buchner Bründler zusammen mit den Ausstellungsgestaltern
element Design aus Basel. Eine Ausstellung an der ETH Zürich stellt den im
April 2010 eröffneten Pavillon vor.
Ausstellung:
Mittwoch, 22. Sept. – Donnerstag, 4. Nov. 2010
ARchENA, Hönggerberg, ETH Zürich
Mo-Fr 8-22, Sa/So und Feiertage geschlossen
Eröffnung:
Dienstag, 21. Sept. 2010, 18.00 Uhr
Auditorium E4, Hönggerberg, ETH Zürich
Begrüssung
Philippe Carrard, Leiter
gta Ausstellungen, Departement Architektur, ETH Zürich
Vorträge
Daniel Buchner, Andreas Bründler, Buchner
Bründler Architekten, Basel
Roger Aeschbach, element Design, Basel
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