Veröffentlicht: 29.07.10
Science

«Heisses Eisen» in der Supraleitung

Seit ihrer Entdeckung stehen eisenhaltige Supraleiter im Fokus der Forschung. Ihre möglichen Anwendungen in der Praxis sind bisher jedoch nur wenig bekannt. Wissenschaftler haben nun einen neuen Supraleiter aus dieser Stoffgruppe auf seine technischen Eigenschaften geprüft. Das Ergebnis ist vielversprechend.

Simone Ulmer
In diesen Eisenpniktid-Kristall wurde ein Strompfad strukturiert (lila). Mit ihm können die Wissenschaftler untersuchen, wie der Stromfluss die Supraleitung beeinflusst. Die anderen Farben zeigen Platin-Bahnen, die für elektrischen Kontakt sorgen. (Bild: Gruppe Batlogg und EMEZ / ETH Zürich)
In diesen Eisenpniktid-Kristall wurde ein Strompfad strukturiert (lila). Mit ihm können die Wissenschaftler untersuchen, wie der Stromfluss die Supraleitung beeinflusst. Die anderen Farben zeigen Platin-Bahnen, die für elektrischen Kontakt sorgen. (Bild: Gruppe Batlogg und EMEZ / ETH Zürich) (Grossbild)

Im Jahr 1911 entdeckte der holländische Physiker Heike Kammerlingh Onnes, dass Quecksilber bei 4,2 Kelvin (-268,95 Grad Celsius) spontan seinen elektrischen Widerstand verliert. Er bezeichnete dieses Phänomen als Supraleitung und erhielt für die Entdeckung 1913 den Nobelpreis. Es sollte nicht der letzte Nobelpreis sein, der für dieses Forschungsgebiet mit seinen bahnbrechenden Entdeckungen vergeben wurde.

Hochtemperatur-Supraleiter

1986 entdeckten die Physiker Johannes Georg Bednorz und Karl Alexander Müller Keramik-Hochtemperatur-Supraleiter auf Kupferoxidbasis, so genannte Kuprate. Auch sie wurden dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. In diesen Keramiken existiert Supraleitung bei wesentlich höheren Temperaturen. Noch heute hält diese Klasse mit 138 Kelvin (-135,15 Grad) den Rekord der höchsten Übergangstemperatur, bei der sie supraleitend werden. Vor zwei Jahren wurden schliesslich die auf Eisen basierenden Hochtemperatur-Supraleiter, die Eisenpniktide, entdeckt. Die Forschungsgruppe des Materialwissenschaftlers Hideo Hosono stellte Supraleitung in Verbindungen mit Eisen fest. Für Forscher sind diese Eisenpniktide vor allem wegen der hohen Temperatur von Interesse, bei der sie supraleitend werden: bei über 50 Kelvin (-223 Grad Celsius). Das Besondere an den Eisenpniktiden ist zudem ihr Eisengehalt. Bis zur Entdeckung der Eisenpniktide galt nämlich, dass magnetisches Eisen sich nachteilig auf die Supraleitung auswirkt.

Obwohl kupfer- und eisenhaltige Hochtemperatur-Supraleiter weniger tief gekühlt werden müssen, kommen derzeit fast nur die «konventionellen» zum Einsatz, da sich aus ihnen einfacher Kabel herstellen lassen. Wissenschaftler unter der Leitung von Bertram Batlogg, Professor am Laboratorium für Festkörperphysik an der ETH Zürich, haben nun supraleitendende Kristalle der Eisenpniktid-Gruppe aus den Elementen Eisen, Arsen, Samarium, Sauerstoff und Fluor gezüchtet. Eisenpniktide reagieren im Vergleich zu den Kupraten auf chemische Veränderungen sehr robust. Diese Robustheit ermöglicht den Wissenschaftlern, die Auswirkung verschiedener chemischer Parameter auf die Supraleitung zu untersuchen. Über 20 Jahre nach der Entdeckung der Kuprat-Hochtemperatur-Supraleiter ist nämlich der Mechanismus, der die Supraleitung erzeugt, nicht verstanden: Wie sich die Elektronen im Supraleiter trotz ihrer abstoßenden Ladung zu supraleitenden Paaren verbinden.

Mit ihrer grundlegenden Studie an eisenhaltigen Supraleitern untersuchten die ETH-Wissenschaftler nun, ob diese natürliche Hindernisse enthalten, die deren Einsatz beschränken könnten. Dafür haben die Forscher mit neuartigen Tests untersucht, bei welchen kritischen Magnetfeld- und Stromstärken die Supraleitung ihres Kristalls zusammenbricht. Für das Team von Batlogg galt es dabei die Frage zu klären, ob das Material von seiner Struktur und Art eine erfolgreiche «Supraleiter-Zukunft» haben könnte. «Die Ergebnisse sehen gut aus», sagt Batlogg und ist überzeugt, dass das Material vielversprechendes Potential hat.

Die Grenzen ausloten

Für ihre Untersuchungen mussten die Wissenschaftler Strompfade mit winzigen Querschnitten aus den Kristallen schneiden, um durch den möglichst kleinen Querschnitt eine riesige Stromdichte bei kleinen Strömen zu erreichen. Dafür bearbeiteten sie den Kristall mit einem fokussierten Ionenstrahl derart, dass nur noch senkrecht zueinander verlaufende, im Querschnitt etwa ein Quadratmikrometer breite Kristall-Balken übrig blieben, durch die der Strom geschickt wurde. «Im makroskopischen Bereich müssten wir mit Millionen von Ampere arbeiten, um den Grenzbereich der Supraleitung auszuloten», sagt Batlogg. So reichten den Wissenschaftlern Ströme von wenigen Milliampere.

Wichtig war hier zu klären, ob ähnliche kritische Stromdichten parallel zur Kristallschichtung und senkrecht dazu erreicht werden können. Eine grundsätzliche Frage von grosser technischer Bedeutung, die bis anhin nicht beantwortet worden war, so die Wissenschaftler. «Es zeigte sich, dass bei tiefen Temperaturen, bei 4 Kelvin (-269,15 Grad Celsius), der Strom in beiden Richtungen im Wesentlichen gleich gut fliesst, ohne Widerstand», freut sich Batlogg.

Extreme Magnetfelder

Um zu testen, wie stark das Magnetfeld sein darf, bevor die Supraleitung zusammenbricht, musste der Kristall zusammen mit dem Erstautor der Studie, dem ETH-Doktoranden Philip Moll, nach Amerika, zu den beiden Standorten des National High Magnetic Field Laboratory in Tallahassee und Los Alamos, reisen. Nur an wenigen Orten der Welt gibt es Einrichtungen, die in der Lage sind, für einen Bruchteil einer Sekunde ein Magnetfeld von 65 Tesla und darüber hinaus zu erzeugen. Zum Vergleich: Die Magneten des LHC erzeugen eine Magnetfeldstärke von weniger als 9 Tesla.

Mit ihrer Studie können die Wissenschaftler in einem ersten Schritt den Bereich der Strom- und Magnetfeldstärke eingrenzen, in dem das neue Material als Supraleiter eingesetzt werden kann. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Materialklasse gute Eigenschaften für einen Supraleiter hat, und dass sie hohe Strom- und hohe Feldstärken aushält. Supraleiter kommen vor allem dort zum Einsatz, wo mit hohen Stromstärken und Magnetfeldstärken gearbeitet wird: Supraleitende Magnete werden weltweit in den Magnetresonanztomographen in der Medizin oder als Supermagnete, die den Protonenstrahl des Large Hadron Colliders (LHC) am Cern auf Kurs halten, eingesetzt. Doch bis die von Batlogg und seinem Team entwickelten Supraleiter zur Anwendung kommen, gibt es noch einige Hürden zu nehmen. Zuallererst gilt es einen Weg zu finden, aus dem kristallinen Material Kabel mit der notwendigen Festigkeit herzustellen.

Literaturhinweis

Moll PJW, Puzniak R, Balakirev F, Rogacki K, Karpinski J, Zhigadlo ND & Batlogg B: High magnetic-field scales and critical currents in SmFeAs(O, F) crystals, Nature Materials 9, 628-633 (2010). doi:10.1038/nmat2795

 
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