Veröffentlicht: 28.05.10
Globetrotter

Schöne neue Facebook-Welt

Im Sabbatical im betriebsamen San Francisco entdeckt der Autor nicht nur die lokale Kulinarik, sondern nutzt die Gelegenheit, in die Welt von Facebook und anderer sozialer Netzwerke abzutauchen – und macht dabei so seine sonderbaren Erfahrungen.

Roman Klingler
Roman Klingler, der Mediensprecher der ETH Zürich, befindet sich zur Zeit im Sabbatical in San Francisco. (Bild: Roman Klingler/ETH Zürich)
Roman Klingler, der Mediensprecher der ETH Zürich, befindet sich zur Zeit im Sabbatical in San Francisco. (Bild: Roman Klingler/ETH Zürich) (Grossbild)

Neulich ass ich in Tony’s Pizza Napoletana. Das ist bei mir gleich um die Ecke, im Stadtteil North Beach, San Francisco. Die Pizza an diesem Ort des kompromisslosen Gaumengenusses war, einmal mehr, vorzüglich. Tony, müssen Sie wissen, ist nicht irgend ein Pizzaiolo: Er ist mehrfach ausgezeichneter Champion seines Fachs und hat als erster Amerikaner und Nicht-Neapolitaner 2007 den World Pizza Cup für die beste Pizza Margherita gewonnen – in Neapel, versteht sich, wo die Pizza schliesslich herkommt.

So wie der famose Teigfladen aus Neapel die Welt im Sturm erobert hat, so hat schon so manche Idee aus der San Francisco Bay Area ihre unverwischbaren Spuren hinterlassen in der globalisierten Welt: Ikonen der Internet-Ära wie Apple und Google haben hier ihren Ursprung. Schliesslich sind in jüngster Vergangenheit viele der neuen Medien (Social Media) dem fruchtbaren nordkalifornischen Boden entsprungen oder operieren ihre weltumspannenden Geschäfte aus der Bay Area heraus: der Mikroblogger-Dienst Twitter, das Business-Netzwerk LinkedIn oder Facebook, der Shootingstar unter den sozialen Medien. Erst kürzlich kürte das US-Fachmagazin «Fast Company»Mark Zuckerbergs Facebook zur Nummer eins unter den weltweit 50 innovativsten Unternehmen.

Der «Like»-Knopf

Der Start-up mit Sitz in Palo Alto ist gerade mal sechs Jahre alt und hat nach eigenen Angaben mehr als 400 Millionen aktive Nutzer. Das ist eine ganze Menge, genügt dem smarten Zuckerberg aber nicht. Vor Monatsfrist verkündete er an der Entwicklerkonferenz in San Francisco, dass er Facebook mit allen Websites dieser Welt vernetzen möchte. In den Worten von Zuckerberg: «a web where the default is social». Er tut dies, indem er mit neuster Webtechnologie andere soziale Netzwerke und Websites immer stärker in seine eigene Facebook-Welt integriert.

Emblematisch für das krakenhafte Vorgehen von Facebook ist der neue «Like Button», den Zuckerberg möglichst an vielen Orten im Web platzieren will. Der Knopf zeigt mir an, wer von meinen Facebook-«Freunden» den neusten Kinofilm, die Aktions-Jeans von Levis oder eben die Pizzeria von nebenan mag. Und was meine Freunde mögen, kann schliesslich so schlecht nicht sein. Deshalb drücke auch ich den Knopf und schwupps sind meine Vorlieben auch im Facebook, wo sie wieder andere Freunde der Freunde animieren mögen, das zu mögen, was auch ich mag. Ein sich verstärkender Kreislauf. Achten Sie drauf: Sie werden dem Knopf im Web noch oft begegnen und jedes Mal lässt Facebook grüssen.

Freunde der Freunde

Ich eröffnete vor drei Wochen ein Facebook-Konto, damit ich über 9000 Kilometer Distanz und 9 Stunden Zeitdifferenz hinweg nicht ganz den Kontakt verliere mit den Daheimgebliebenen. Nun stelle ich fest, dass für den, der in die Facebook-Welt eintritt, alte Begriffe ganz neue Bedeutungen erhalten: die der Freunde zum Beispiel. Facebook lehrte mich gleich zu Beginn zwar, dass es zu unterscheiden gilt zwischen Inhalten, die ich nur Freunden, Freunden von Freunden oder der ganzen Welt zugänglich machen will. Aber auch wenn ich eisern die Einstellungen auf «nur Freunde» setze, lachen mich jeden Tag neue freundlich fremde Gesichter an, die mir Facebook zum erweiterten Freundeskreis vorschlägt. Alles schön und gut. Nur, ich bin nicht wirklich hier, um möglichst viele mir unbekannte Freunde der Freunde meiner Freunde zu sammeln.

Diaspora – die Antwort aus New York?

Die Fülle der Begriffe in Facebook ist verwirrend. Da gibt es die Pinnwand, Neuigkeiten, Nachrichten, Benachrichtigungen, Anstupser und Anfragen. Schliesslich, und das ist der wichtigste Grund des wachsenden Unbehagens: die Kontrolle über die eigenen Daten scheint man beim Eintritt in Facebook abzugeben. Die Faustregel, nichts geschieht ohne meine explizite Zustimmung, hebeln die Jungunternehmer aus Palo Alto zunehmend aus. Alles ist allen zugänglich. Wenn man das ändern will, klickt man sich durch einen Wald von Seiten und ist sich am Schluss trotzdem nicht sicher, ob das Opt-Out auch wirklich hält, was es verspricht.

Die Kritik an den Facebook-Machern wegen ihres Umgangs mit persönlichen Daten ist nicht neu, hat sich aber nach den neusten Ankündigungen noch verstärkt. Eine Gruppe von Unzufriedenen ruft offen auf, Facebook den Rücken zu kehren. Vier Studenten von der New York University wollen eine Open-Source-Alternative zu Facebook bauen, die «den Individuen die Kontrolle über ihre Daten zurückgibt», wie sie sagen. Um ihr Projekt mit dem Namen «Diaspora» zu finanzieren, sammeln die vier Robin Hoods aus New York Geld, um den Sommer durch zu programmieren. 10‘000 Dollar war ihr Fundraising-Ziel bis 1. Juni; bis dato sind Spendenzusagen in Höhe von mehr als 170‘000 Dollar eingegangen. Am Geld dürfte es nun also nicht mehr liegen, um das Gegenstück zu Facebook zu entwickeln.

Fischen, wo die Fische schwimmen

Inzwischen haben viele Firmen und Organisationen – darunter auch Universitäten – ihre Seite auf Facebook. Den Avancen von Facebook können sich auch grosse Medienunternehmen nicht entziehen, wie ein Blick auf die Showcase-Liste zeigt. Es scheint, dass die schiere Zahl von Nutzern und die schwindelerregenden Wachstumsraten von Facebook viele Unternehmen zum Schluss kommen lassen, dass sie es sich schlicht nicht leisten können, nicht auf Facebook vertreten zu sein. Ganz nach dem Motto: Du musst fischen, wo die Fische schwimmen.

Noch nutze ich Facebook. Ich weiss aber nicht, ob meine Beziehung zum Klassenprimus unter den sozialen Medien von dauerhafter Natur sein wird. Dabei spricht so vieles für soziale Netzwerke. Und sei es nur, um nach einem tollen Konzert ein kurzes Ausrufezeichen der Begeisterung zu setzen und es mit andern Aficionados zu teilen oder um im lokalen Empfehlungsportal yelp – auch diese Website stammt aus San Francisco – nachzuschlagen, wo man in der Nachbarschaft gute Pizza isst. Sie ahnen, welche Pizzeria dem Fremden dabei empfohlen wird.

Zum Autor

Roman Klingler studierte Politische Wissenschaften an der Universität Lausanne und arbeitete während mehr als zwölf Jahren als Journalist (Print und TV), bevor er zur Hochschulkommunikation der ETH Zürich stiess. Seit 2006 leitet er das Team Media Relations. Zurzeit verbringt er seinen Sabbatical bei swissnex in San Francisco. Swissnex ist ein Netzwerk von Aussenstellen, die in Asien und in den USA den Austausch in Wissenschaft, Technologie und Kultur fördern. Das Netzwerk operiert im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung und Forschung und hat Vertretungen in Bangalore, Boston, San Francisco, Singapur und Shanghai.