Veröffentlicht: 11.05.10
Science

Wann ist ein HI-Virus unschädlich?

Wie viele Antikörper braucht es, damit ein HI-Virus unschädlich wird? Forscher der ETH Zürich versuchten dies mit mathematischen Modellen zu berechnen. Derartige Modelle könnten die Impfstoffentwicklung unterstützen.

Simone Ulmer
Das Immunsystem greift einen HI-Viruspartikel an: Trimere (rosa), auf dessen Oberfläche bereits Antikörper (y-förmig, hellgelb) gebunden haben. (Copyright: David S. Goodsell, 1999)
Das Immunsystem greift einen HI-Viruspartikel an: Trimere (rosa), auf dessen Oberfläche bereits Antikörper (y-förmig, hellgelb) gebunden haben. (Copyright: David S. Goodsell, 1999) (Grossbild)

Es braucht genau so und so viele Antikörper, um ein Aids-Virus unschädlich zu machen. Diese Zahl hätten Carsten Magnus und Roland Regös in ihrer jüngsten Studie gerne genau bestimmt. Die beiden sind Doktorand und Oberassistent in der Forschungsgruppe von Sebastian Bonhoeffer, Professor für Integrative Biologie an der ETH Zürich. Sie mussten aber feststellen, dass dies nicht so einfach ist. Beim Versuch, den Wert zuverlässig zu berechnen, stiessen sie auf biologische Unbekannte, zu deren Bestimmung nun eine Reihe von Experimenten geplant sind.

Der Weg des Virus

Die Anzahl der benötigten Antikörper eindeutig zu bestimmen wird erschwert durch die variierende Anzahl und Verteilung so genannter Trimere auf den Viren. Trimere sind für die Infektion verantwortlich; sie verschaffen dem Virus Einlass in die Zelle.

Jedes Trimer ist aus drei Hüllenproteinen aufgebaut. Magnus, Regös und andere der Gruppe Bonhoeffer, sowie Forschende vom Institut für Medizinische Virologie der Universität Zürich, haben im vergangenen Jahr eine Studie publiziert, in der sie berechneten, wie viele der etwa vier bis 35 Trimere eines Virus-Teilchens mit Rezeptoren der Zielzelle wechselwirken müssen, damit das Virus gerade noch in die Zelle eindringen und sie infizieren kann1.

Genetisches Engineering als Grundlage

Ihren Modellen liegen Infektionsversuche mit genetisch veränderten, pseudo-typisierten Viren-Teilchen zu Grunde. Dabei werden verschiedene Virusstämme mit Mischungen aus mutierten und dadurch nicht infektiösen Hüllenproteinen und Wildtyp-Hüllenproteinen hergestellt. Werden keine mutierten Hüllenproteine beigemischt, ist die Virenpopulation maximal infektiös. Je mehr nicht infektiöse Hüllenproteine beigemengt werden, desto weniger infektiös ist die Virenpopulation: Denn sobald ein mutiertes Hüllenprotein Teil eines Trimers ist, wird der ganze Trimer inaktiv. Die Forscher entwickelten auf Grund dieser Bedingungen ein mathematisches Modell, mit dem sie berechnen können, wie infektiös der Virusstamm bei unterschiedlichen «Mischungsverhältnissen» jeweils noch ist. Auf diese Weise konnten sie bestimmen, wie viele Trimere an die Rezeptoren der Wirtszelle binden müssen, um die Zelle zu infizieren.

Auf der Basis dieses Modells suchten die Wissenschaftler nun danach, wie viele Antikörper es braucht, um ein Trimer unschädlich zu machen2. Dabei galt es, die Frage zu klären, ob das Virus bereits unschädlich wird, wenn nur ein Teil eines Trimers durch einen Antikörper neutralisiert wird, oder ob zwei oder gar alle drei Hüllenproteine von je einem Antikörper gebunden werden müssen. Da Antikörper zufällig binden, verwendet man in diesem Fall mutierte Hüllenproteine, an die sich keine Antikörpern binden, die aber nicht den gesamten Trimer inaktivieren. Sie mischten diese wie zuvor mit den Wildtyp-Hüllenproteinen. Wird die Versuchsanordnung mit Antikörpern gesättigt, sind alle Wildtyp-Hüllenproteine an Antikörper gebunden. Nur Trimere, die genügend mutierte Hüllenproteine haben, können theoretisch dann noch an eine Wirtszelle binden. In diesen Versuchen ist also - im Gegensatz zu der früheren Studie - ein Virusstamm umso reaktiver, je höher der Anteil an mutierten Hüllenproteinen ist.

Hürden in der Berechnung

Unzuverlässig werden die statistischen Vorhersagen jedoch, wenn sich die Wildtypen und die mutierten Hüllenproteine nicht miteinander zu Trimeren formieren. «Wenn wir keine gemischten Trimere aus Wildtyp und Mutanten haben, können wir nicht herausfinden, ob ein, zwei oder drei Antikörper benötigt werden, um ein Trimer auszuschalten, da Homo-Trimere, die nur aus Wildtyp- oder nur aus Mutierten- Hüllenproteinen bestehen, keine Information enthalten», erklärt Regös.

Dieses Problem soll zusammen mit der Forschungsgruppe von Alexandra Trkola, Professorin am Institut für Medizinische Virologie der Universität Zürich, experimentell geklärt werden. Ist diese Hürde genommen, kann über das Modell die Anzahl an Antikörpern berechnet werden, die es braucht, um ein ganzes Virus zu neutralisieren, da sind sich die beiden Forscher sicher. In einem weiteren Schritt gelte es, dies auf eine ganze Viruspopulation auszuweiten. «Unser Ziel ist ein quantitatives Verständnis der molekularen Wechselwirkung zwischen Virus, Antikörpern und Zellen zu erhalten, damit wir vorhersagen können, wie sich eine bestimmte Anzahl von Antikörpern auf die Virusreplikation auswirkt», sagt Regös.

Für die Forscher liefern ihre Modelle ein Hilfsmittel, um Impfstoffe daraufhin zu überprüfen, ob genug Antikörper stimuliert wurden, um das Virus zu kontrollieren. «Unser Modell wird eine rationale Impfstoffentwicklung unterstützen», davon ist Regös überzeugt.

Literaturhinweis:

1Magnus C, Rusert P, Bonhoeffer S, Trkola A, Regoes RR (2009): Estimating the stoichiometry of human immunodeficiency virus entry. Journal of Virology 83:1523–1531. doi:10.1128/JVI.01764-08

2Magnus C, Regoes RR (2010): Estimating the Stoichiometry of HIV Neutralization. PLoS Comput. Biol. doi:10.1371/journal.pcbi.1000713

 
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