Veröffentlicht: 16.04.10
Globetrotter

Mit den Augen einer Europäerin

Das Gelände der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) als Europäerin zu verlassen ist unmöglich. Zuvor gilt es, Jeans und T-Shirt mit dem traditionellen islamischen Gewand, der alles verhüllenden Abbaya, zu überdecken und das in Europa erworbene Selbstverständnis gegen arabische Sitten einzutauschen.

Sabrina Metzger
Nur verhüllt durch ihre Abbaya kann Sabrina Metzger den Campus der KAUST verlassen. (Bilder: Sabrina Metzger / ETH Zürich)
Nur verhüllt durch ihre Abbaya kann Sabrina Metzger den Campus der KAUST verlassen. (Bilder: Sabrina Metzger / ETH Zürich) (Grossbild)

Man hört ja allerlei Schauergeschichten darüber, was Frauen in Saudi-Arabien für ein Leben haben: Frauen haben keinen Pass. Wollen sie reisen, müssen das ihre Männer oder Väter erlauben. Geschieht Frauen von Männern ein Unrecht, müssen sie das mühsam beweisen, bevor der Übeltäter zur Verantwortung gezogen wird. Frauen dürfen – wenn überhaupt – nur unter erschwerten Bedingungen arbeiten. Kurz: Saudi-arabische Frauen haben in ihrem Land generell nichts zu sagen.

Praktische Überlegungen

Meine persönlichen Bedenken gegenüber dem Königreich waren eher von praktischer Art: Wie kommt Frau von A nach B, wenn sie weder Auto fahren noch sich mit einem fremden, also nicht familiär verbundenen, Mann in der Öffentlichkeit zeigen darf? Kann ich Flip-Flops und T-Shirt tragen oder geht nichts ohne eine Abbaya, diesem pechschwarzen, alles verhüllenden, bodenlangen Umhang? Muss ich mich verschleiern? Kann ich Velo fahren? Wie wird mein Emanzen-Ego reagieren, falls mich einheimische Männer beim Gespräch oder bei der Begrüssung ignorieren?

Glücklicherweise ist der Campus der KAUST eine Scharia-freie Zone ohne Zutritt für die Sittenpolizei, die überall sonst allgegenwärtig ist und gut aufpasst, ob sich die Menschen religiös korrekt verhalten. Die Kleidung ist frei wählbar, sollte aber «nichts entblössen». Frauen dürfen auf dem Campus mit dem Auto zum Supermarkt fahren. Und viel, viel wichtiger, für uns Europäer aber so normal, dass es gar nicht auffällt: Frauen und Männer dürfen gemeinsam studieren, arbeiten, Mittag essen, Sport treiben oder einfach etwas zusammen unternehmen. Alle anderen Ausbildungs- und Arbeitsstätten im Königreich sind strikt geschlechtergetrennt. In den Mädchenschulen unterrichten ausschliesslich Lehrerinnen, studiert und gearbeitet wird in getrennten Vorlesungssälen beziehungsweise Büroräumen.

Problem Baden

Seit einigen Wochen haben die Campus-Bewohner auch Zugang zum Strand und Pool. Dies mit grosser Verspätung, wohl weil man lange nicht wusste, wie die Rahmenbedingungen aussehen sollten, ob Männlein und Weiblein getrennt oder zusammen baden dürfen. Geschichten von wilden Studentenparties am Strand könnten sich in Windeseile im Lande verbreiten und würden Öl ins Feuer der konservativen KAUST-Kritiker giessen, von welchen es genug gibt: Viele tiefreligiöse Gelehrte, Juristen und Pädagogen sehen in der gemeinsamen Erziehung von jungen Leuten einen Wertezerfall, müssen das Projekt des Königs aber zähneknirschend akzeptieren.

Schlussendlich wurde kommuniziert, dass Frauen am Strand Einteiler tragen müssen und die Pools geschlechtergetrennt geführt würden. An erstere Regel hält sich aber kaum jemand, und die zweite Anweisung wurde noch vor der Eröffnung des Pools wieder verworfen, da sich die Professoren beschwerten, wie sie dann ihren zweijährigen Töchtern Schwimmen beibringen sollten! Jetzt gilt folgender Konsens: Der kleine Pool ist nur für Frauen, der grosse für Familien respektive während bestimmter Zeiten nur für Männer.

Die westlichen Mitarbeiterinnen auf dem Campus geben mir generell ein positives Feedback: Die arabischen Männer respektieren ihre Kolleginnen, auch wenn ab und zu lang trainierte, mit der Muttermilch aufgesogene Reflexe zu Tage kommen. Die werden aber sogleich unterdrückt und Mann entschuldigt sich.

Es gibt aber auch Unangenehmes auf dem Campus: Frau wird immer und überall ohne Scham angestarrt und beobachtet. Nicht nur von den Arabern, sondern auch von den Gastarbeitern aus Indien, Pakistan und Südostasien, die zurzeit beim Bau der Infrastruktur mithelfen. Auch wenn ich es zu ignorieren versuche, manchmal kann es grausam nerven. Und in Warteschlangen werden Männer oft bevorzugt bedient; das bringt mich auf die Palme.

Passiere ich die grossen Verbindungstore zwischen Campus und Aussenwelt, muss ich mich voll und ganz den hiesigen Sitten und Bräuche anpassen. Ich setze mich im Auto brav auf den Rücksitz, schaue den Männern nicht in die Augen und trage meine mit blauen Jeans-(!)-Bordüren versetzte Abbaya, die ich mir auf dem Markt für einen Schnäppchenpreis ergattert habe.

Westliche Frauen in Verruf

Trotzdem werde ich angestarrt, manchmal angehupt und selten sogar begrabscht. Im liberalen Jeddah an der Westküste Saudi-Arabiens dürfen Frauen ihren Kopf zum Glück unverhüllt lassen, dafür sieht man mir aber von Weitem meine Herkunft an. Für die Einheimischen gelten westliche Frauen als leichte Beute, als freizügige, verdorbene Wesen. Meine etwas zu kurze Abbaya, die teilweise meine Knöchel enthüllt, verstärkt dieses Bild.

Aber ich fühlte mich die paar Male, die ich in Jeddah war, wohl und sicher. Oft hört man, Frauen sollten nie alleine unterwegs sein, doch ich glaube, ich könnte ohne Probleme in die hintersten Gassen des Souks (oder Al-Balad, wie die Altstadt in Jeddah heisst) spazieren. Mit wenigen Ausnahmen sind die Verkäufer freundlich und, wenn man ratlos ist, hilft einem sicher jemand weiter.

Abgesehen von der Hitze, die sich unter dem dichten, schwarzen Tuch der Abbaya staut (und das ist eigentlich immer der Fall), habe ich mich sehr schnell an mein neues Ausgehkleid gewöhnt. Hat es doch auch seine Vorteile: Man muss sich keine Gedanken machen, was man darunter anziehen soll, muss nicht immer den Bauch einziehen und hat viel Beinfreiheit. Trotzdem: Wieso dürfen die Männer in diesen herrlichen weissen Kleidern herumlaufen und die Frauen kriegen einen schwarzen Umhang verpasst? Hallo, Symbolik? Und noch viel schlimmer: Durch die Total-Verschleierung verliert die Frau alle menschlichen Züge und wird zu einem schwarzen Sack mit Füssen. Man nimmt ihr quasi die Menschlichkeit und verwandelt sie in ein Objekt, das dementsprechend weniger respektiert wird!

Für die Männer hingegen sind die weissen Kleider keine Pflicht. Sie können frei zwischen westlicher und arabischer Kleidung wählen. Eigentlich bin ich ein Fan von traditioneller Kleidung, da sie Abwechslung in unseren globalisierten Modestil bringt und die kulturelle Herkunft von Menschen unterstreicht. Doch ich werde mich sicherlich nie damit abfinden können, dass Frauen bei 30-40 Grad Celsius und erschlagender Luftfeuchtigkeit strikt verhüllt sein müssen, während die Männer in Bermuda-Shorts und ärmelfreiem T-Shirt neben ihren vermummten Frauen hergehen dürfen.

Generell lässt es sich hier angenehmer leben, als ich mir dies vor zwei Monaten im kalten Zürich erträumt hatte. Klar gehört es unter den westlichen Nationalitäten zum guten Ton, über Abbayas und Fahrverbote zu lästern. Doch man gewöhnt sich erstaunlich schnell an den neuen Lebensstil. Dank den entspannten Campus-Regeln erfahre ich die Kehrseite Saudi-Arabiens in stark verdünnter Konzentration. Und nicht zuletzt hilft das Wissen um das Rückflugticket in der Schublade, unangenehme Dinge wegzustecken und die schönen Stunden vermehrt zu geniessen!

Zur Autorin

Sabrina Metzger hat an der ETH Zürich Interdisziplinäre Naturwissenschaften studiert. Nachdem sie anschliessend beim Schweizerischen Erdbebendienst für ein Jahr bei einem Projekt mitarbeitete, bei dem Mikrobeben in der Nähe des im Bau stehenden Gotthard-Basis-Tunnel untersucht wurden, wechselte sie zur Spectraseis Technologie AG, ein Spin-off der Uni Zürich. Im Frühjahr 2008 kehrte sie an die ETH zurück, um am Institut für Geophysik zu promovieren.

Zur Zeit weilt Metzger als Gastwissenschaftlerin in Saudi Arabien, an der neu gegründeten King Abdullah University of Science and Technology (KAUST), da ihr Betreuer, der isländische Geophysiker Sigurjón Jónsson, von der ETH Zürich an die KAUST wechselte.

 
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