«Darwin hat unser Weltbild revolutioniert»
Kommenden Montag und Dienstag, exakt 150 Jahre nach der Publikation von Darwins «The Origins of Species», kommen an der ETH namhafte Biologen für ein Symposium zusammen. Sebastian Bonhoeffer sagt im Interview, wie er prominente Gäste wie Craig Venter und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard gewinnen konnte und weshalb Darwins Buch bis heute relevant ist.
Sebastian Bonhoeffer, das diesjährige
Latsis Symposium wird zu Ehren
von Charles Darwins Hauptwerk «The Origin of Species» veranstaltet. Wieso findet
dieses exakt 150 Jahre nach dem Publikationstermin statt und nicht an Darwins
Geburts- oder Todestag?
Darwin hat der Menschheit mit diesem
Buch einen enormen kulturellen und wissenschaftlichen Schatz hinterlassen.
Evolution durch natürliche Selektion ist das Naturgesetz, das die belebte von
der unbelebten Natur unterscheidet. Es ist nicht nur für die Beschreibung von
Tieren und Pflanzen essentiell, sondern bietet heute einen zentralen
Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Fragen – von der
Molekularbiologie bis zu den Wirtschaftswissenschaften. Die Evolutionstheorie
ist für die Biologie ebenso fundamental wie die Gravitationstheorie für die
Physik.
Darwin stellte mit seinem Buch den
Glauben an die von Gott erschaffene Kreatur auf den Kopf. Begann damit ein
neues wissenschaftliches Zeitalter?
Ja, ich glaube die Wirkung dieses
Werks ist mit dem Aufkommen des heliozentrischen Weltbildes von Kopernikus im
18. Jahrhundert vergleichbar. Der Einfluss auf unsere Wahrnehmung und die
Erklärung der Natur ist enorm. Damals fand ein fundamentaler Bruch mit dem
herkömmlichen Weltbild statt, eine wissenschaftliche Revolution.
Und die damaligen Erkenntnisse haben
bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren?
Nein, die im Buch beschriebenen
Grundprinzipien gelten heute noch genauso. Natürlich wusste Darwin damals
vieles noch nicht, zum Beispiel kannte er die Prinzipien der Vererbung nicht.
Aber das Buch überrascht bis heute durch die Tiefgründigkeit der Analyse und
den grossen Schatz an gesammelten Daten. Es ist wohl einzigartig als Werk, das
sowohl eine wissenschaftliche Revolution ausgelöst hat und gleichzeitig allgemeinverständlich
geschrieben ist.
Können Sie sich noch an Ihre erste
Lektüre Darwins erinnern?
Ja, ich war erstaunt, wie gut dieses
Werk zu lesen ist. Es besticht durch eine sehr schöne Sprache – eine Sprache,
die in heutigen wissenschaftlichen Publikationen so nicht mehr zu finden ist.
Die Tatsache, dass Darwin seine Theorie allgemeinverständlich dargestellt hat,
war sicherlich mit ein Grund für den unmittelbar durchschlagenden Erfolg von «The
Origins of Species».
Sie haben für das diesjährige
Latsis-Programm die «Crème de la crème» von Wissenschaftlern versammelt, die
sich mit Fragen rund um die Evolution beschäftigen. War es schwierig, Leute wie
Craig Venter oder die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard an die ETH
zu holen?
Ich war positiv überrascht. Vor
eineinhalb Jahren habe ich die ersten Einladungen verschickt und nur eine
einzige Absage wegen einer Terminkollision erhalten. Alle anderen haben auf
Anhieb zugesagt. Die Meisten waren von der Idee, ein solch hochkarätiges
Meeting zu Ehren von Darwins «The origin of species» abzuhalten, sofort
begeistert. Viele der Redner kenne ich persönlich, das hat natürlich einiges
erleichtert.
Nach welchen Kriterien haben Sie das
Programm zusammengestellt?
Es war mir wichtig, in Zürich echte
Leuchtturmfiguren zu versammeln. Zudem
wollte ich verschiedene Facetten und Anwendungsgebiete der Evolutionstheorie
zeigen. Dabei haben die unterschiedlichsten Themen Platz: Karl Stetter zum
Beispiel forscht an extremophilen Organismen, die an den entlegensten Orten der
Erde vorkommen und unter extremen Bedingungen überleben. Oder Peter und
Rosemary Grant werden über die Evolution
von Darwin’s Finken berichten.
Robert Lord May of Oxford wird in seinem
Referat auf die darwinistischen Dynamiken im Bankensystem eingehen. Ist die
aktuelle Finanzkrise mit Darwin erklärbar?
May hat viel epidemiologische
Forschung betrieben und die Stabilität von Ökosystemen studiert. Als plötzlich
Stabilitätsprobleme in einem ganz anderen Bereich auftraten, wurde er von der
Bank of England zur Beratung beigezogen. Das Interesse der Wirtschaft an
evolutionären Dynamiken ist im Moment sehr gross. Ich selber wurde für eine
Studie im Auftrag des World Economic Forum hinzugezogen. Inwiefern die beiden
Systeme Parallelen aufweisen und ob Erkenntnisse aus der Evolutionstheorie
wirklich zu einer stabileren Wirtschaft führen können, wird sich in Zukunft
zeigen. Ich finde diesen Ansatz auf jeden Fall spannend und bin froh, dass wir
das Thema auch auf dem Symposium haben.
Der wohl bekannteste Redner ist Craig
Venter, der sich mit der Entschlüsselung des menschlichen, beziehungsweise seines eigenen, Erbguts einen Namen gemacht
hat. Venter ist in wissenschaftlichen Kreisen eine umstrittene Persönlichkeit,
seinen Vortrag hat er provokativ mit «Taking over evolution» betitelt. Weshalb
gerade Venter?
Die Sequenzierung und Entschlüsselung
von Genomen hat für die Evolutionsbiologie unglaubliche Perspektiven eröffnet.
Niemand steht so sehr für diese neue Ära in der Biologie wie Venter. Er hat die
DNA von vielen Organismen sequenziert und reist heute in seinem eigenen Boot
durch die Weltmeere, um die genetische Vielfalt der Mikroorganismen im Meer zu
untersuchen. Das sind für die evolutionsbiologische Forschung enorm wertvolle
Daten.
Nehmen wir an, Sie hätten vor 150
Jahren die Möglichkeit gehabt Charles Darwin kennenzulernen, welche Fragen
hätten Sie ihm gestellt?
Ich hätte ihn gebeten, mich auf einem
Spaziergang durch die Alpen oder vielleicht auch nur durch seinen Garten zu
begleiten. Er hätte sicher stundenlang vor einer einzigen Blume verharren und
diese in all ihren Einzelheiten und Funktionen beschreiben können. Ich wäre
einfach daneben gestanden und hätte zugehört. Das stelle ich mir unglaublich
bereichernd vor.
Sebastian Bonhoeffer ist Professor für Theoretische Biologie an der ETH Zürich und Hauptorganisator des Latsis Symposiums.
Latsis Symposium vom 23. und 24. November 2009
Das kommende Latsis Symposium trägt den
Titel «Darwin’s legacy: A symposium in
honor of the 150th anniversary of the publication of 'The Origin of Species'»
und findet im Rahmen des Darwin-Jahres 2009 in Zusammenarbeit mit der
Universität Zürich statt. Eine Reihe von hochkarätigen Rednern aus der
Evolutionsbiologie und verwandten Gebieten werden während zwei Tagen Einblick
in ihre Forschungsarbeit geben, darunter die Nobelpreisträgerin Christiane
Nüsslein-Volhard, J. Craig Venter, Rosemary und Peter Grant und Robert Lord
May of Oxford. Die Vorträge richten sich nicht nur an Biologen, sondern an ein
breites, wissenschaftlich interessiertes Publikum aller Disziplinen. Eine Anmeldung zu den einzelnen Vorträgen ist nicht nötig. Weitere Informationen und das vollständige Programm
unter http://www.darwinyear09.ch/index.php?id=72
Ort und Datum:
Montag den 23. und Dienstag den 24.11.2009, ETH Zürich, Auditorium
Maximum, Rämistrasse 101
Alle Vorträge vom Montag und Dienstagmorgen können auf dem Campus Science City auf dem Hönggerberg live in Raum E 51 im Gebäude HIT mitverfolgt werden.
Nach der Veranstaltung sind Podcasts auf der Website www.darwinyear09.ch
verfügbar.
LESERKOMMENTARE