Veröffentlicht: 17.03.09
Medizinaltechnik

«SmartShunt» soll Druck im Hirn regulieren

Forscher der ETH Zürich haben die Bewegungen der Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit im Computer simuliert. Mit den Resultaten arbeiten sie an einem sich selbst regulierenden System gegen Hydrocephalus, früher auch Wasserkopf genannt.

Niklaus Salzmann
Titelbild der Februarausgabe des «Journal of Biomechanical Engineering»: Die Geschwindigkeiten der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit während eines kompletten Herzzyklus. (Bild: ASME/ETH Zürich)
Titelbild der Februarausgabe des «Journal of Biomechanical Engineering»: Die Geschwindigkeiten der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit während eines kompletten Herzzyklus. (Bild: ASME/ETH Zürich) (Grossbild)

Die Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit ist eine farblose Flüssigkeit, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt und Hohlräume im Gehirn füllt. Sie schützt das Gehirn vor Schlägen und Erschütterungen, transportiert Nährstoffe zu ihm hin und Schadstoffe von ihm weg und funktioniert als Kommunikationsweg des Gehirns. Wird zuviel von dieser Flüssigkeit produziert oder fliesst zu wenig ab, entsteht ein Hydrocephalus mit zu hohem Druck im Kopf.

Die Flüssigkeit fliesst in den Bauch

Ein Hydrocephalus wird heute in der Regel mit einem «Shunt» behandelt: Dem Patienten wird dabei ein dünner Schlauch implantiert, der via Überdruckventil die überschüssige Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit aus dem Kopf in die Bauchhöhle leitet. Allerdings wird dabei oft zu viel oder zu wenig Flüssigkeit abgelassen. Die meisten Ventile können nach der Implantation nicht mehr reguliert werden. Andere Ventile können zwar nachträglich justiert werden, der Patient muss dazu aber den Arzt aufsuchen.

Die ETH Forscher um Dimos Poulikakos, Professor für Thermodynamik, und Vartan Kurtcuoglu, Leiter der Gruppe «Biofluidics» am Labor für Thermodynamik in neuen Technologien, wollen einen Schritt weiter gehen. Sie arbeiten an einem «SmartShunt», einer Druckableitung, welche sich selbst reguliert. Um ihr Ziel zu erreichen, müssen sie genau verstehen, wie die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit im Schädel fliesst. Hierzu haben sie die Bewegung der Flüssigkeit im Computer dreidimensional simuliert. Erste Ergebnisse erschienen in der Februarausgabe des «Journal of Biomechanical Engineering». Dessen Titelblatt zeigt eine Grafik der Ergebnisse, nachdem es die Forschungsgruppe bereits in der Januarausgabe mit einer Publikation über Aneurysmen der Aorta auf das Titelblatt geschafft hatte (siehe Literaturhinweis).

Der erste Schritt ist ein Gehirnscan

Die Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit füllt den Raum zwischen Schädel und Gehirn, der subarachnoider Raum heisst. Sie pulsiert darin in einem Zyklus, der indirekt vom Herz gesteuert wird. Mit jedem Herzschlag pumpt das Herz Blut durchs Gehirn, wodurch sich die Blutgefässe ausdehnen und sich der Platz für die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit entsprechend verringert. Vor dem nächsten Herzschlag fliesst das Blut wieder ab und der Platz für die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit nimmt zu.

Die Publikation entstand in Zusammenarbeit mit Peter Bösiger, Professor am Institut für Biomedizinische Technik der ETH Zürich. Seine Gruppe scannte den subarachnoiden Raum eines gesunden 25-jährigen Mannes mittels Magnetresonanztomografie (MRI). Zudem massen sie mit einer speziellen MRI-Technik die Geschwindigkeit der Flüssigkeit in drei Ebenen, um Randbedingungen für die Berechnungen zu liefern.

Aufgrund der Messresultate erstellten die Wissenschaftler ihr Computermodell. Sie beschrieben die Bewegung der Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit mit einer Serie von partiellen Differentialgleichungen. Dabei mussten sie dem Umstand Rechnung tragen, dass der subarachnoide Raum netzartig durchzogen ist von einer Art feinen Bälkchen aus Gewebe, welche die Bewegung der Flüssigkeit bremsen. Statt mit den einzelnen Bälkchen zu rechnen, stellten sie den subarachnoiden Raum in ihrem Modell als gleichförmiges poröses Medium dar, ähnlich einem Schwamm.

Ventil zur Selbstregulation

Auf Basis der Resultate entwickeln die Forscher nun im multidisziplinären Projekt «SmartShunt» die Grundlagen für einen Shunt, welcher den Abfluss der Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit spezifisch nach Patient automatisch steuern soll. Ziel ist ein Ventil, das in Echtzeit den Druck im Kopf des Patienten reguliert und diesem regelmässige Arztbesuche erspart.

«In der Weiterführung der Grundlagenforschung legen wir Wert darauf, dass konkrete medizinische Probleme angegangen werden», sagt Dimos Poulikakos. Die Forscher arbeiten eng zusammen mit den Medizinern des Universitätsspitals Zürich und mit anderen Instituten der ETH Zürich. Der Schweizer Nationalfonds unterstützt das interdisziplinäre Projekt mit rund 850‘000 Franken. In ungefähr drei Jahren will Poulikakos zusammen mit der Industrie mit der Entwicklung des eigentlichen Produkts beginnen.

Die Kenntnis der Bewegungen der Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit ist auch für andere medizinische Anwendungen nützlich. Die Flüssigkeit spielt bei der Alzheimer'schen Krankheit, bei Multipler Sklerose und bei einer Form von Hirnhautentzündung eine wichtige Rolle. Zudem können Medikamente, welche die Blut-Hirn-Schranke nicht durchqueren können, in die Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit injiziert werden, von wo aus sie das Gehirn erreichen. In anderen Fällen, etwa bei Schmerzmittel, kann bei Injektion in die Gehirn-Rückenmarkflüssigkeit die Dosis reduziert werden, um Nebenwirkungen zu verringern.

Literaturhinweis:

Gupta S, Soellinger M, Boesiger P, Poulikakos D & Kurtcuoglu V. Three-dimensional computational modeling of subject-specific cerebrospinal fluid flow in the subarachnoid space. Journal of Bioechanical Engineering. February 2009; Vol. 131, Issue 2 (020210).doi:10.1115/1.3005171
Publikation der Gruppe Poulikakos über Aneurysmen: Boutsianis E, Guala M, Olgac U, Wildermuth S, Hoyer K, Ventikos Y & Poulikakos D. CFD and PTV Steady Flow Investigation in an Anatomically Accurate Abdominal Aortic Aneurysm. Journal of Biomechanical Engineering. January 2009, Vol. 131, Issue 1 (011008). doi:10.1115/1.3002886

Nusselt-Reynolds-Prize für Dimos Poulikakos

Dimos Poulikakos erhält für sein Lebenswerk den Nusselt-Reynolds-Preis für Thermodynamik und Wärmeübertragung. Diese Auszeichnung wird alle vier Jahre von der Assembly of Word Conferences on Experimental Heat Transfer, Fluid Mechanics, and Thermodynamics vergeben. Die Preisfeier findet im Rahmen der 7. World Conference vom 28. Juni bis 3. Juli 2009 in Krakau, Polen statt.

 
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