Atomenergie: Antwort auf Kommentar vom 10.01.2009

In einem Diskussionsbeitrag mahnt ein Leser, an der ETH dürfe auch nicht vergessen werden, dass es in der Nähe von Atomanlagen vermehrt zu Krebserkrankungen kommt. Dabei wird die Kinderkrebsstudie aus Deutschland vom Dezember 2007 zitiert und ein Vergleich mit dem Asbest gezogen. Mir ist die Strahlenexposition durch die Nutzung der Kernenergie alles andere als gleichgültig. Durch Arbeiten zur Sicherheitsforschung und natürlich auch durch die Ausbildung von Akademikern auf dem Gebiet versuche ich, mit meinem Lehrstuhl einen Beitrag dazu zu leisten, dass Kernkraftwerke nur eine sehr geringe Strahlenexposition bei der Bevölkerung hervorrufen.

Der Unterschied zwischen Asbest und der Kernenergie besteht darin, dass die Schädlichkeit von Asbest bewiesen ist. Die Kernenergie hingegen liegt bei den Studien zur Lebenszyklusanalyse zusammen mit der Windenergie und der Wasserkraft an der Spitze der Umweltfreundlichkeit. Ersetzt man Kernenergie zum Beispiel durch Solarzellen, dann gibt es unter dem Strich mehr Emissionen schädlicher Stoffe, weil bei der Produktion der Kollektoren bezogen auf die später produzierte Energiemenge viel mehr Rohstoffe wie Eisen und Kupfer benötigt werden, aber auch viele Chemikalien, die in der Halbleitertechnik eingesetzt werden. Der grosse Unterschied bei den konventionellen Umweltbelastungen schlägt bei den rechnerisch ermittelten Auswirkungen auf die Gesundheit stärker zu Buche, als die geringe zusätzliche Strahlenexposition aus der Energieumwandlungskette der Kernkraft. Die Photovoltaik sollte deshalb nicht Kernenergie, sondern fossile Energieträger ersetzen.

Eine Erhöhung der Leukämiehäufigkeit infolge der von Kernkraftwerken freigesetzten geringen ionisierenden Strahlung ist nicht beweisen, im Gegenteil: Die Strahlenexposition in der Umgebung von Kernkraftwerken ist um Grössenordnungen zu niedrig, um die beobachteten statistischen Leukämiehäufungen zu erklären. Zu diesem Schluss kommen auch die Autoren der Kinderleukämiestudie selbst, sowie die deutsche Strahlenschutzkommission SSK in eine Bewertung der Studie vom 9. Oktober 2008. Nach Aussage der Strahlenschutzkommission müsste "die Strahlenbelastung der Bevölkerung ... durch den Betrieb der Atomkraftwerke in Deutschland um mindestens das 1000-fache höher sein, um den beobachteten Anstieg des Krebsrisikos erklären zu können". Es fehlt also die Erklärung des Wirkmechanismus, wogegen beim Asbest nicht nur epidemiologisch viel klarere Daten vorliegen, sondern auch der Schädigungsmechanismus der Asbestfasern und deren Schädigungsintensität bei den typischerweise auftretenden Konzentrationen bekannt sind. Sollten sich die Häufungen von Leukämiefällen in der Umgebung von Kernkraftwerken bestätigen, so muss es andere Gründe geben, die nicht spezifisch auf die Nutzung der Kernspaltung zurückzuführen sind. Der Verdacht würde sich so auf viele verschiedene Energietechnologien oder auch ganz andere zivilisatorische Errungenschaften ausweiten. Käme Elektrosmog als potentielle Ursache in Frage, so müssten zum Beispiel plötzlich neben anderen Kraftwerke und Überlandleitungen auch Verkehrssysteme mit Oberleitungen unter die Lupe genommen werden, nicht die Kernenergie als solche. Ich behaupte, Züge und Elektrizität würde dann niemand abschaffen wollen. Man würde vielmehr Kraft daran setzen, Verbesserungen zu entwickeln und einzusetzen, die die negativen Auswirkungen verringern.

Horst-Michael Prasser - 27.02.09

Artikel lesen