Veröffentlicht: 27.08.08
Workshop

Interdisziplinäres Arbeiten fördern

Die wissenschaftlichen Herausforderungen und Visionen in den Sozialwissenschaften in den kommenden zehn Jahren waren das Thema eines von der ETH Foundation und EU geförderten Workshops.

Simone Ulmer
Auch Menschenansammlungen und ihre Dynamik interessieren Sozio- und Ökonophysiker. (Bild: www.flickr.com/Dom Dada)
Auch Menschenansammlungen und ihre Dynamik interessieren Sozio- und Ökonophysiker. (Bild: www.flickr.com/Dom Dada) (Grossbild)

„Challenges and Visions in the Social Sciences“ sei zwar nicht die erste Konferenz gewesen, die versucht habe, Sozial- und Naturwissenschaftler zusammenzubringen, aber die Hochkarätigste. Die Teilnehmer aus aller Welt hätten neben der guten Organisation vor allem gelobt, dass die Tagung zu wichtigen wissenschaftlichen Impulsen führte und offene Diskussion ermöglichte. Selbst am späten Freitagabend sei die Semperaula trotz der Hitze noch brechend voll gewesen, staunt Dirk Helbing, Professor am Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften.

Von neuen Daten bis zur Globalisierung

Das breit gefächerte Programm, das den Forschenden vergangene Woche an der ETH geboten wurde, drehte sich um drei Themenschwerpunkte. Einer davon war den empirischen Herausforderungen durch die Verfügbarkeit neuer Daten gewidmet, etwa durch soziale Netzwerke im Internet, Plattformen wie Second Life, oder der experimentellen Spieltheorie. Ein weiterer Themenschwerpunkt befasste sich mit methodischen Herausforderungen, beispielsweise bei statistischen Analysen, mathematischen Modellierungen oder Computersimulation sozialer Phänomene. Hinzu kamen die praktischen Herausforderungen, etwa durch soziale Konflikte oder die Globalisierung.

Mehr als erwartet

Mit 60 Anmeldungen haben die Veranstalter gerechnet, gekommen sind rund 100 Teilnehmende aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie den Ingenieurs- und Naturwissenschaften, unter ihnen auch so genannte Sozio- und Ökonophysiker. Forschende, die das Interesse für sozioökonomische Systeme verbindet und die zu ihrer Erforschung Kenntnisse aus verschiedenen Disziplinen benötigen. Besonderes Interesse fand die Entstehung von Kooperation unter Menschen - und das nicht nur auf theoretischer Ebene. Denn Ziel der Veranstalter war unter anderem, Kooperationen zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zu fördern.

Die Mischung macht’s

Mit 55 Prozent Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern und 45 Prozent „Soziophysikern“ habe man eine gute Mischung gehabt, die einen ausgewogenen, fruchtbaren und innovativen Austausch ermöglichten, erklärt Helbing. Unter anderem konnten beispielsweise Faktoren, die eine interdisziplinäre Forschung behindern, identifiziert werden. Ein Problem sei die Begutachtung von Veröffentlichungen und Projekten, da der Kreis der disziplinenübergreifend qualifizierten Wissenschaftler klein wäre und daher die Begutachtung oft durch Fachleute verschiedener Disziplinen erfolge. Diese hätten jedoch oft keinen inhaltlichen und methodischen Konsens. Auch gäbe es wenig Finanzierungsquellen für grössere Projekte, die Forschende verschiedener Disziplinen vereinigen.

Bei den Visionen herrschte hingegen weniger Einigkeit. Die Meinungen darüber, was die grossen sozioökonomischen Fragen der Zukunft seien, gingen deutlich auseinander. Im Vordergrund stünden Fragen wie die Erforschung sozialer Netzwerke, die Voraussetzungen für die Entstehung von Kooperation unter Egoisten oder das Verständnis der Gesetzmässigkeiten internationaler Konflikte.

Ein Hilbertsches Programm für die Sozialwissenschaften?

Helbing meint, eine Art Hilbertsches Programm, wie es einst der gleichnamige Mathematiker Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte, könnte der Forschung in den Sozialwissenschaften vielleicht wichtige Impulse geben. Zwar seien die Antworten angesichts der gefundenen Unvollständigkeits- und Unentscheidbarkeitstheoreme zum Teil anders ausgefallen, als ursprünglich erhofft, aber das Hilbertsche Programm habe die Mathematik enorm vorangebracht. Ähnliche Programme könnten sowohl für die Grundlagenforschung in den Sozialwissenschaften formuliert werden als auch für die anwendungsorientierte Forschung, die dereinst Hilfestellungen für Politiker und Unternehmer liefern könnten. Zur Freude der Veranstalter ist man bei der Formulierung solcher Grundsatzprogramme an der ETH Zürich derzeit offenbar weiter als an anderen Orten. Helbing wundert es deshalb nicht, dass einige renommierte Teilnehmer aus den USA ihr Interesse an einem längeren Forschungsaufenthalt an der ETH Zürich bekundet haben.

Letztendlich habe man die für die Konferenz gesetzten Ziele erreicht: ein umfassender Austausch, gestützt durch viel Diskussionszeit, Think Tanks, Tutorials für Studierende und zahlreichen ins Leben gerufenen interdisziplinären Einzelkooperationen.

 
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