Veröffentlicht: 03.09.08
Mittwochskolumne

Begeisterung herrsche!

Ulrich A. Weidmann
Ulrich A. Weidmann, Professor für Verkehrssysteme.
Ulrich A. Weidmann, Professor für Verkehrssysteme. (Grossbild)

Bereits im zarten Alter von fünf Jahren war ich stolzer Besitzer von sechzig Autos – Matchbox-Autos natürlich. In unbewusster Antizipation der globalen ökologischen Herausforderungen wechselte ich nur zwei Jahre später auf den umweltverträglicheren Bahnverkehr und baute mir in der Folge ein eigenes Miniaturimperium auf. Zunehmend begann ich dieses – im Sinne eines Benchmarkings - mit den real existierenden Bahnimperien zu vergleichen und es wuchs die Faszination für letztere. Schliesslich überwog sie.

Die Welt der Mobilität – in welcher Form auch immer - liess mich seither nicht mehr los. Der Betrachtung als Aussenstehender folgte der Drang, die Systeme als Akteur selbst mitgestalten zu können. Daraus wurde mein Beruf – und schliesslich buchstäblich meine „Berufung“.

Zugegeben: Der Weg war bisweilen steinig. Antike Götter und die grossen Gestalten der Literatur fanden bei mir zwar höfliche akademische Aufmerksamkeit, zählten letztlich aber doch zur Kategorie des unumgänglichen Pflichtstoffes. Ob sich Ähnliches in gewissen Grundlagenfächern des Vordiplom-Studiums an der ETH wiederholte, überlasse ich Ihrer Mutmassung. Es folgte die Dissertation, während welcher ich die gleichen Kämpfe ausfocht, wie sie wohl keiner Doktorandin und keinem Doktoranden erspart bleiben. Und auch der Einstieg in die real existierende Praxis bei unserer Staatsbahn hielt Überraschungen bereit...

In allen diesen Phasen des Werdegangs verschaffte mir die Begeisterung für „mein“ Thema jene Motivation, welche zur Überwindung der Hindernisse nötig war. Sie kam von innen, wurde aber stets von Menschen in meinem Umfeld gestärkt, meist ohne dass diese es ahnten.

Die Zeit der schwärmerischen Begeisterung ist (zumindest weitgehend) vorbei, und so soll es sein. Entdeckt habe dafür ich neue Schätze in Form spannender Fragen, welche einer Antwort harren. Wie sollen die Verkehrssysteme für die Städte der Zukunft ausgestaltet werden? Wie kann der Schienengüterverkehr besser in die logistischen Ketten der Wirtschaft eingegliedert werden? Wie kann der öffentliche Verkehr als service public in Einklang mit einer liberalen Ordnungspolitik gebracht werden? Wie lässt sich die Servicequalität steigern, bei gleichzeitiger Kostensenkung? Wie lassen sich Innovationen im komplexen System Bahn migrieren? Und nicht zuletzt: Wieviel und welche Mobilität ist überhaupt nötig und langfristig tragbar?

Hinter uns liegt die Prüfungssession, welche wohl nur mit einigem Euphemismus als stimulierend bezeichnet werden kann. Es ist ja auch nicht ihr Zweck. Vor uns aber liegt das Herbstsemester. Dieses ist eine Chance für alle an der Lehre Beteiligten, um nicht nur Inhalte, sondern auch Begeisterung zu vermitteln. Klar: Unsere Themen sind komplex. Sie erfordern erhebliche intellektuelle Unkosten, um sich darin zurecht zu finden. Komplexität gilt zudem landläufig nicht gerade als begeisterungsfördernd und die Konkurrenz nicht-komplexer Alternativen ist unüberblickbar.

Nicht nur das: Die Risiken und Folgen unseres Tuns sind uns wohl so bewusst wie noch nie in der Geschichte von Naturwissenschaften und Technik. Wo wir uns keine eigenen Fesseln auferlegen, dort tut dies das Umfeld. Wie soll man Begeisterung für etwas wecken, welches von breiten Kreisen als etwas Negatives, als Bedrohung wahrgenommen wird? „Beton“, „Kernkraft“, „Nanotechnologie“, „Chemie“, „Gentechnologie“ oder „Verkehr“ zählen nicht zu den Kosewörtern unserer Zeit.

Nur sind wir ja selbst Teil dieses Umfeldes. Auch wir persönlich verkörpern die Gebiete „Beton“, „Kernkraft“, „Nanotechnologie“, „Chemie“, „Gentechnologie“ oder „Verkehr“. Damit haben wir selbst als Botschafterinnen und Botschafter die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit zumindest ein differenzierteres, vielleicht auch positiveres Urteil zu bewirken. Sie ahnen es: Erfolg haben wir dabei nur mit eigener Überzeugung und Begeisterung, einer verantwortungsbewussten und realitätsnahen nota bene. So können wir einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass auch unsere Absolventinnen und Absolventen dannzumal jenen Gestaltungsspielraum vorfinden, den sie brauchen, um innovative Ideen zu entwickeln und umzusetzen.

Hier gäbe es natürlich noch vieles sagen, nun aber ist Schluss und ich leiste mir für diese Kolumne den verrufenen Luxus eines pathetischen Endes: Das Semester beginne – Begeisterung herrsche!

Zum Autor

Mit Ulrich Weidmann gehört ein Vertreter des Departements Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) zum Kolumnistenteam. Er ist seit 1. Juni 2004 ordentlicher Professor für Verkehrssysteme am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT). Weidmann wurde 1963 als Bürger von Einsiedeln geboren. Nach seinem Bauingenieur-Studium an der ETH Zürich war er ab 1988 Assistent am IVT und schrieb in dieser Zeit seine Dissertation. Anschliessend fand Ulrich Weidmann den Weg in die Praxis. Von 1994 bis 2004 arbeitete er für die SBB. Er war unter anderem massgeblich beteiligt an der Neuausrichtung des Regionalverkehrs auf die Liberalisierung sowie am netzweiten Ausbau der S-Bahnen in der Schweiz. 2001 bis 2004 führte er den Geschäftsbereich Engineering und war dabei für die gesamte Bahntechnik vom Gleisbau über die Umwelttechnik bis zur Zugsicherung verantwortlich. Zudem leitete er bauherrenseitig das Projekt Führerstandssignalisierung der Lötschberg-Basislinie. Mit viel Erfahrung im Gepäck kehrte er an das IVT der ETH zurück. Sein Lehrstuhl befasst sich in der Forschung mit der Verkehrserschliessung von Agglomerationen, dem Gütertransport im Rahmen der globalen Logistik, dem stabilen Betrieb hochbelasteter Netze des Bahn- und Stadtverkehrs sowie den Prozessen des Fussgängerverkehrs. Persönliche Schwerpunktthemen sind die Ordnungspolitik und Regulierung, Unternehmensstrategien und Innovationsmanagement.

 
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