Europäische Normen: Ein Votum für Gemeinschaft

Ein sehr interessanter Exkurs… und ein sehr schwieriges Thema. Man kennt das aus dem Geschichtsunterricht, Stichwort: Frankreich: Ein zentralistisches System schränkt die Anpassungsfähigkeit der Regionen ein. Der Staatsapparat in Paris hat keine Ahnung von den Problemen in der Vendée und reglementiert an diesen vorbei. (Dito in der EU, wie ich höre.)

Aber man kennt auch das Umgekehrte: Man lässt jeder Gemeinde und jedem Kanton ein Maximum an Eigenständigkeit und das führt in einer immer komplexeren Welt zu immer unpraktikabler werdenden langwierigen Entscheidungswegen. Und ebenfalls zu Frustrationen, manchmal zu Stagnation und/oder geradezu weltfremd anmutenden (und aus Sicht des gesunden Menschenverstands völlig unnötigen) Komplikationen. Mein einziger, hilfloser + wenig orgineller Vorschlag wäre: Soviel wie nötig, so wenig wie möglich.

Warum nur klappt das NIE?

Es ist wie mit Traditionen, die sich über Jahrtausende erhalten haben und dann innert einer Generation spurlos verschwinden. (Letztes Beispiel, von dem ich hörte: Die griechische Sprache in den einstigen griechischen Kolonien in Süditalien. Warum war es nicht möglich, den Anschluss an die moderne Welt zu finden, ohne diese doch einzigartige Tradition aufzugeben?) Der goldene Mittelweg, der beide Extreme einbezieht soweit möglich, scheint ungemein schwierig zu finden.

Ich bin zum (provisorischen) Schluss gekommen, dass es daran liegt, dass unterschiedliche Menschen ihren unterschiedlichen Anlagen nachleben und zu wenig in allen Phasen einer Entwicklung/eines Projekts auf ihre „interdisziplinäre Vernetzung“ mit anderen Individuen achten. Will heissen: Jemand, der ein Flair für das Setzen vernünftiger Regeln/Leitlinien hat, wird einem Auftrag zur Reglementierung mit Freude und Elan nachkommen bis auf Tausend und zurück, wenn niemand bremst - und dabei stolz sein auf das Erreichte. (Ich weiss es; ich bin so jemand.) Jemand der eher zu den Machern gehört, die der Ansicht ist, es sei eh alles viel zu kompliziert, und überkommenen Verfahren (als latent hinderlich für den Fortschritt) mit Vorbehalt gegenüber steht, wird irgendwann vielleicht die Geduld verlieren und tabula rasa machen, wenn nichts/niemand ihn hindert. Und dann ganz neu anfangen und erst später (vielleicht) merken, dass beim Weggeworfenen auch bessere Lösungen waren als die neu erarbeiteten. Beide Wege sind offensichtlich nicht ideal. Auch andere Extreme sind es nicht.

Dummerweise finden die Menschen zutiefste Befriedigung, indem sie ihrer Veranlagung so ad extremis folgen. Manche folgen diesem Drang unter Ausschaltung aller „Konkurrenten“, wenn sie dies können. Und das, vermute ich, ist (vor allem bei etwas so weit gefasstem wie dem Interoperabilitäts-Projekt ETCS, aber auch generell) kontraproduktiv. Ich würde sogar gerne ein stärkeres Wort gebrauchen, denn so ein Verhalten riecht für mich nach einem witzigen Schlagwort unserer Zeit mit leider ernstem Hintergrund: nach „Ich AG“.
Vielleicht - vielleicht sind wir ja in der Lage unsre Emotionen so zu trainieren, dass wir zutiefste Befriedigung auch und hauptsächlich im gemeinsamen Erfolg finden. Also, üben, liebe Leute. Üben wir es, quasi „interdisziplinäre Individuen“ zu sein, über unseren Nasenspitze hinaus die Welt so zu sehen, wie jemand anderer sie sieht. Mit diesem Doppelblick Kompromisse zu schliessen. Gemeinschaft wertzuschätzen als das, was sie ist: Ein Pool für die verschiedensten menschlichen Qualitäten, Kenntnisse, Fähigkeiten - ein Pool mit Ausgleichungspotential, aus dem wir vermutlich in unserem ureigensten Interesse schöpfen sollten.

Margaret Pavletic - 12.06.08

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