Veröffentlicht: 04.06.08
Versuchs-Verbot mit Rhesusaffen beeinträchtigt Grundlagenforschung

Hochschulen erheben Beschwerde beim Bundesgericht

Die ETH Zürich und die Universität Zürich erheben Beschwerde beim Bundesgericht gegen den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts, zwei von der Vorinstanz blockierte Versuche mit Primaten weiterhin zu verbieten. Die beiden Hochschulen erwarten vom Bundesgericht eine Klärung, unter welchen Bedingungen in der Schweiz biomedizinische Grundlagenforschung mit Primaten überhaupt noch betrieben werden kann.

MM
Umstrittene Versuchstiere (Bild: Marc Aurel)
Umstrittene Versuchstiere (Bild: Marc Aurel) (Grossbild)

In der Begründung des Entscheides anerkennt das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die Gesetzes- lage, wonach zur Gewinnung von wissenschaftlichem Wissen Tierversuche explizit zulässig sind. Entscheidend für die Bewilligung eines Tierversuchs ist stets eine Güterabwägung zwischen dem er- warteten Nutzen eines Experiments und der Belastung für das Tier. Im Unterschied zur bisherigen Bewil- ligungspraxis schützte das Gericht jedoch den Standpunkt, dass Primatenversuche nur dann erlaubt werden können, wenn sie von Anfang an einen erkennbaren praktischen Nutzen aufweisen. Dieser Grundsatz gelte sowohl für die so genannt angewandte als auch für die Grundlagenforschung.

Ausserdem müsse dieser praktische Nutzen aus den Erkenntnissen abgeleitet werden können, die innerhalb der Bewilligungsdauer von maximal drei Jahren zu erzielen sind, hält das Verwaltungsgericht fest. Dies, weil das Erreichen der langfristigen Versuchs- ziele und allfällige spätere Anwendungsmöglichkeiten unsicher seien.

Gravierende Konsequenzen befürchtet

Für die Universität und die ETH Zürich hat dieser Einstellungswandel gravierende Kon- sequenzen. Aus der biomedizinischen Forschung sind heute Versuche mit Primaten nicht wegzudenken. Setzt sich die vom Verwaltungsgericht gestützte Haltung auf Bundesebene durch, käme dies einem faktischen Verbot des Einsatzes von Primaten in der Grundlagenforschung gleich. Die Schweiz, die bezüglich Primatenhaltung heute die Massstäbe setzt, begäbe sich damit auf einen problematischen Alleingang und würde sich international einen massiven Wettbewerbsnachteil einhandeln.

«Der Entscheid entzieht dem Forschungsplatz Zürich die Basis für eine erfolgreiche Grundlagenforschung in wichtigen Gebieten der Life Sciences», erklärt Professor Peter Chen, Vizepräsident Forschung der ETH Zürich. «Es liegt in der Natur von Grundlagen- experimenten, dass ungewiss ist, wann sich eine konkrete Anwendung ableiten lässt», so Chen.

Durchbrüche brauchen Spielraum

Doch gerade die Forschung im Bereich Spitzenmedizin habe bewiesen, dass Durchbrüche nur dann erzielt werden, wenn sie langfristig ausgelegt sei und sich nicht auf einen kurzfristig erzielten Nutzen konzentriere, sagt Professor Heini Murer, Prorektor Medizin und Naturwissenschaften der Universität Zürich. «Diese Forschungstätigkeiten brauchen einen langen Atem», so Murer. «In den für beide Hochschulen strategisch zentralen Life Sciences würde der Hochschulplatz Zürich seine weltweite Spitzenposition verlieren, wenn die Grundlagenforschung in dieser Weise eingeschränkt wird.»

Zudem sei nicht auszuschliessen, dass hervorragende Forschende aufgrund dieser Restriktionen Zürich den Rücken kehren, halten die beiden Forschungs- verantwortlichen der Hochschulen fest. Die ETH und die Universität Zürich hoffen, dass ihre Forschenden weiterhin im Rahmen der geltenden Rechtsnorm arbeiten können.

Versuche mit Primaten am Institut für Neuroinformatik

Im Januar 2006 stellten Professor Kevan Martin und PD Daniel Kiper zwei Gesuche um Bewilligung von Tierversuchen mit Rhesusaffen. Im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts "Plastizität und Reparatur des Nervensystems" wird der Frage nachgegangen, wie sich das Gehirn nach Schädigungen (z.B. infolge eines Schlaganfalls) reorganisiert, um seine Funktionen wieder zu erlangen. Dr. Daniel Kiper und Professor Kevan Martin verwenden dabei auch Rhesusaffen als Versuchstiere, da die Organisation ihrer Hirnrinde jener des Menschen nahe kommt.
Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens gab das kantonale Veterinäramt drei externe Gutachten in Auftrag. Die Gutachter wurden von der kantonalen Tierversuchs- kommission vorgeschlagen. Basierend auf diesen Gutachten und der bisherigen Rechtspraxis bewilligte das Veterinäramt diese Versuche im Oktober 2006. Obwohl zwei Gutachten zu einem positiven Entscheid kamen, erhob die Tierversuchs- kommission gegen die vom Veterinäramt erteilten Bewilligungen Einspruch. Sie sah die Würde des Tieres verletzt und erachtete die Belastung für die Affen in Anbetracht der zu erwartenden Forschungserkenntnisse als zu gross.
Die Tierversuchskommission erreichte damit ein vorläufiges Verbot der Tierversuche. Im Februar 2007 hob die Gesundheitsdirektion die Tierversuchsbewilligungen auf. Gegen diesen Entscheid legten die Forschenden von ETH und Universität Zürich im März 2007 Beschwerde ein, die das Zürcher Verwaltungsgericht Anfang Mai 2008 abgewiesen hat.