Veröffentlicht: 27.05.13
Science

Schlechte Vernetzung verhindert Genfluss

Die Gene von Kuckucks-Lichtnelken bringen es an den Tag: Voneinander isolierte Bestände der Pflanze in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft sind schlecht miteinander vernetzt, sodass die Nelken kaum mehr Gene tauschen. Selbst wiederhergestellte Trittsteine helfen wenig, haben ETH-Forschende herausgefunden.

Peter Rüegg
Die Bestände der Kuckucks-Lichtnelke sind in Teilen des schweizerischen Mittelland schlecht miteinander verknüpft. (Bild: aiwok / Wikimedia commons)
Die Bestände der Kuckucks-Lichtnelke sind in Teilen des schweizerischen Mittelland schlecht miteinander verknüpft. (Bild: aiwok / Wikimedia commons) (Grossbild)

Der Oberaargau, an der Berner Kantonsgrenze gelegen, ist vom Menschen stark genutzt. Die Landwirtschaft ist intensiv, Strassen und Bahnlinien zerschneiden die Landschaft, Siedlungen breiten sich aus. Für die Natur bleibt wenig Platz. Und somit auch nicht für seltene Tiere oder Pflanzen.

Der Bund setzt deshalb viel daran, dass Landwirte im Agrarland für ökologischen Ausgleich und die Vernetzung von naturnahen Flächen sorgen. Sie sollen Hecken pflanzen, Brachen anlegen oder Wiesland nur extensiv nutzen. Wo die natürliche Pflanzenvielfalt verschwunden ist, hilft man mit Saatgutmischungen von einheimischen Pflanzen nach, die man auf Flächen ausbringt, die in einen halbnatürlichen Zustand zurückgeführt werden sollen. Solche Gebiete sollen Knoten eines Netzwerks von naturnahen Gebieten werden, damit Pflanzen und Tiere genügend grosse Bestände bilden können, sodass auch die genetische Vielfalt erhalten bleibt.

Wiederansiedlung mit Saatgut

Im Oberaargau haben nun Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich anhand genetischer Analysen untersucht, ob diese Knoten ihre Funktion im Netz der naturnahen Flächen erfüllen und die Populationen untereinander Gene – Pollen oder Samen – austauschen können. Als Versuchsobjekt diente den Wissenschaftlerinnen die Kuckucks-Lichtnelke Silene flos-cuculi, eine einstmals verbreitete Art feuchter extensiv genutzter Wiesen. Weil dieser Lebensraum kaum mehr vorhanden ist, ist auch die schmucke Pflanze aus der Kulturlandschaft verschwunden. Mit Saatgutmischungen wird versucht, die Wildblume auf renaturierten Flächen wieder anzusiedeln.

Die Forscherin Tsipe Aavik, eine ehemalige Postdoktorandin von Ökologie-Professor Peter Edwards, und Senior Scientist Regula Billeter sammelten im Oberaargau hunderte von Lichtnelken an 26 verschiedenen Standorten. Neun davon waren Restaurationsgebiete, in denen die Pflanze angesät wurde. Mit der genetischen Analyse wollten die Forscherinnen herausfinden, von welcher Fläche die Pflanzen ursprünglich stammen, und ob sie den Genfluss zwischen den Beständen nachweisen können.

Isolierung verhindert Genaustausch

Das Resultat dieser genetischen Zuordnungen überraschte die Ökologinnen angesichts der starken Isolierung der Standorte nicht: Gene von Pflanzen aus den angesäten Beständen finden kaum den Weg in natürliche Populationen. Etwas besser bestellt ist es um den Genaustausch zwischen natürlichen Beständen. Das könne aber auch auf die einstmals gute Verbundenheit von ursprünglichen Standorten im Untersuchungsgebiet hindeuten und weniger auf aktuellen oder vor kurzem erfolgten Genaustausch, sagt Regula Billeter. Mit anderen Worten: In den Böden natürlicher Standorte sind Samen gelagert, die aus Zeiten stammen, in denen die Pflanzenbestände noch zusammenhingen.

Das zeigen den Forschern die wenigen Migranten erster Generation, die es von einer (natürlichen) Fläche auf eine andere geschafft haben und lässt auf einen eher tiefen Verknüpfungsgrad der Trittsteine in der Landschaft schliessen. Pflanzenindividuen wandern vor allem dann von angesäten in natürliche Areale ein, wenn diese nahe beieinander liegen und die Ausgangsbestände gross genug sind.

Falsches Saatgut ausgebracht

Warum sich aber Lichtnelken-Gene nur noch wenig mischen, ist kaum nur einer Ursache – Distanz, Isolierung der Bestände – zuzuschreiben. Das Saatgut für die Wiederansiedlung von Pflanzen wird von Lichtnelken gewonnen, die auf trockeneren Standorten wachsen. Die im Oberaargau heimischen gedeihen dagegen am besten auf feuchten Böden. So sind die angesäten Pflanzen weniger gut an die herrschenden Bedingungen angepasst. Sollte sich ein Samen von einem renaturierten Standort auf einen natürlichen «verirren», kann er unter Umständen nicht einmal keimen, weil es dort zu nass ist.

Auch blühen angesäte Pflanzen später als die angestammten, was den Austausch von Pollen erschwert. Meist mähen die Landwirte die Flächen bevor die Pflanzen, unabhängig von ihrer Herkunft, Samen produziert haben. Zudem sind die Samen von Kuckucks-Lichtnelken relativ schwer und fallen höchstens am Ort zu Boden, werden aber nicht mit dem Wind transportiert.

Unfreiwillige Verbreitungshilfe erhalten die Pflanzen von den Bauern: Manchmal fallen Lichtnelkensamen beim Transport von Schnittgut im Ladewagen zu Boden. Ist der Standort geeignet, keimen sie. Die Forscherinnen fanden nämlich heraus, dass angesäte Lichtnelken in natürlichen Populationen vor allem entlang von den Wegen gedeihen, welche die Bauern befahren: Ein starkes Indiz für den Transport und den Genaustausch per Ladewagen und Traktor.

Grosse Bestände sind Gen-Reservoirs

Einen positiven Einfluss auf den Genfluss schreiben die Wissenschaftler auch der Grösse der Ausgangspopulation zu. Ist ein Bestand gross, gibt es per se mehr Nachwuchs, was die Chancen auf Auswanderer erhöht. Grosse Bestände haben auch eine hohe Gen-Diversität, was den Fortpflanzungserfolg vergrössert, weil der Samenansatz pro Pflanze höher ist. Und letztlich dürfte eine grosse Population von Pflanzen auch mehr Bestäuber anlocken als eine kleine. Das wiederum verstärkt den Genfluss via Pollen.

Die Forscherinnen plädieren dafür, nicht nur mehr und grössere Trittsteine zu schaffen, um das Netz von naturnahen Standorten zu verdichten, sondern für die Wiederansiedlung auch Saatgut zu verwenden, das den lokalen Begebenheiten angepasst ist. Denn mischen sich angesiedelte und bestehende Populationen aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansprüche an den Lebensraum und verschiedener Blütezeitpunkte nicht, stehen die Chancen schlecht, dass sich der Bestand einer seltenen Art genetisch auffrischen lässt.

Literatur

Aavik T, Holderegger R, Edwards PJ, Billeter R: Patterns of contemporary gene flow suggest low functional connectivity of grasslands in a fragmented agricultural landscape. Journal of Applied Ecology, 2013. 1365-2664. DOI: 10.1111/1365-2664.12053

Aavik T, Edwards PJ, Holderegger R, Graf R, Billeter R. 2012. Genetic consequences of using seed mixtures in restoration: A case study of a wetland plant Lychnis flos-cuculi. Biological Conservation, 2012. 145. 195-204.

 
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