Veröffentlicht: 06.09.12
Science

Wie Pflanzen auf Wasserdiät reagieren

An Blatt Nummer sechs der Modellpflanze Arabidopsis thaliana wurde erstmals untersucht, wie sich Pflanzen auf molekularer Ebene an Wasserknappheit anpassen. Mit überraschenden Resultaten.

Peter Rüegg
Für den Versuch mussten die Arabidopsis-Pflänzchen unter absolut kontrollierten Bedingungen in einem Gewächshaus in Montpellier (F) aufwachsen. (Bild: LEPSE)
Für den Versuch mussten die Arabidopsis-Pflänzchen unter absolut kontrollierten Bedingungen in einem Gewächshaus in Montpellier (F) aufwachsen. (Bild: LEPSE) (Grossbild)

Blätter gehören zu den wichtigsten Organen einer Pflanze. In ihnen findet die Photosynthese statt, bei der mit Sonnenlicht Kohlendioxid in Zucker umgewandelt wird, und gleichzeitig Sauerstoff als Nebenprodukt frei wird. Blätter bauen somit die Biomasse auf und unterhalten damit auch das Wachstum von Wurzeln sowie die Samenproduktion.

Mit dem Klimawandel droht diesen Organen und damit den Pflanzen Ungemach: Prognostiziert werden höhere Temperaturen und ausgedehntere Trockenzeiten, welche die Funktion der Blätter stark einschränken dürften. Übertragen auf Kulturpflanzen heisst das: Weniger Biomasse, geringere Ernten, weniger Nahrung für Mensch und Tier.

Molekulare Antwort auf Wasserdiät gemessen

Forscherinnen und Forscher um den Pflanzenbiotechnologen Wilhelm Gruissem wollten im Rahmen des EU-Projekts AGRON-OMICS deshalb wissen, wie eine Pflanze, in dem Fall die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), während ihrer Entwicklung auf eine «Wasserdiät» reagiert, und zwar sowohl in ihrer äusserlichen Ausprägung als auch auf molekularer Ebene.

Dazu haben die Forscherinnen und Forscher während der Entwicklung des sechsten Blatts, das die Pflanze bildet, Proteine und dazu gehörige Boten-RNS-Moleküle mengenmässig bestimmt und mit Daten aus Pflanzen, die genügend Wasser erhielten, verglichen. Das Blatt Nummer sechs ist das erste «erwachsene» Blatt der Ackerschmalwand.

Die Forschenden ernteten dieses Blatt in vier aufeinanderfolgenden Entwicklungsstadien jeweils am Morgen und am Abend. Aus den Daten erstellten sie Profile, die sie miteinander vergleichen konnten.

Starke Schwankungen bei Boten-RNS

Äusserlich betrachtet führte der Wassermangel dazu, dass die Pflanze wie vermutet langsamer wuchs und kleinere Blätter ausbildete. Ihre Wachstumsphase aber verlängerte sie, um das durch die unfreiwillige Wasserdiät verursachte Minderwachstum etwas zu kompensieren.

Der Blick in das molekulare Innenleben von Blatt Nummer sechs überraschte Wilhelm Gruissem und Katja Bärenfaller von der ETH-Gruppe Pflanzenbiotechnologie. Die Menge der gemessenen Proteine veränderte sich im Tagesverlauf kaum, und zwar weder bei Pflanzen, die genügend Wasser erhielten, noch bei solchen, die unter Wasserdiät wuchsen. Von über 1700 gemessenen Proteinen wiesen nur gerade zwei grössere Mengenunterschiede im Tagesverlauf auf.

Anders hingegen die Boten-RNS-Moleküle (mRNA), also die Abschriften eines Gens, welche die Bauanleitung für die Proteine sind. Bei Pflanzen, die unter normalen Bedingungen aufwuchsen, veränderten sich die Mengen bei rund der Hälfte der über 25'000 gemessenen mRNA-Moleküle im Laufe des Tages stark, wobei die einen am Abend und die anderen am Morgen häufiger waren. Dieser Mengenunterschied am Abend und am Morgen korrelierte also nicht mit demjenigen der gemessenen Proteine. «Diese Tatsache war für uns überraschend», sagt Katja Bärenfaller.

Pflanzen, die an Wassermangel litten, leisteten sich den «Luxus» der fluktuierenden mRNA-Mengen jedoch weniger, vor allem in späteren Wachstumsstadien.

Während der gesamten Entwicklung von Blatt Nummer sechs von einem winzig kleinen zu einem voll ausgewachsenen Blatt hingegen waren jedoch die Mengenänderungen von Proteinen mit ein paar wenigen Ausnahmen ziemlich eng an die Menge von mRNA-Molekülen gekoppelt, und zwar sowohl bei Wassermangel als auch bei ausreichender Versorgung. «Während der gesamten Entwicklung haben wir eine gute Korrelation gemessen, nicht aber über den täglichen Zyklus», sagt Wilhelm Gruissem. Es scheine also, dass es eine längerfristige Änderung in den mRNA-Mengen brauche, damit sich etwas in den Protein-Mengen ändere.

Fragen nach dem Warum

«Warum ändern sich aber die mRNA-Mengen im Tagesverlauf, wenn es nur wenig Einfluss auf die Protein-Mengen hat?», fragt sich Katja Bärenfaller, die Erstautorin eines Papers, das eben in «Molecular Systems Biology» erschienen ist. Dass die Proteinkonzentration auch oder gerade in Mangelsituationen konstant bleibe, sei sinnvoll. Denn die Bildung dieser Moleküle koste eine Zelle viel Energie, genauso wie deren Abbau.

Die Synthese von Proteinen braucht etwa neun Mal mehr Energie als der Zusammenbau von mRNA-Molekülen, wie eine Studie an Säugetierzellen aufzeigt. Weshalb aber rund drei Viertel der mRNA-Moleküle, die zu den gemessenen Proteinen gehören, täglich schwanken, die Protein-Niveaus aber gleichzeitig stabil bleiben, wissen die Wissenschaftler noch nicht. Sie vermuten, dass es Arabidopsis durch die Fluktuation der mRNA-Mengen möglich ist, schneller auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren.

Plötzliche Trockenstressreaktion ist anders

Die Ergebnisse aus der Modellpflanze Ackerschmalwand sind teilweise auch auf Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen übertragbar. Wichtig sei zu erkennen, wie sich Pflanzen unter veränderten klimatischen Bedingungen – dazu gehören längere Trockenphasen wie etwa in diesem Sommer in den USA – verhalten, sagt Wilhelm Gruissem. Die gross angelegte Analyse der Proteine und mRNA-Moleküle zeige auf, dass die Anpassung an längerfristige Wasserarmut anders verlaufe als die Reaktion auf einen plötzlichen Wasserstress, bei dem völlig unterschiedliche Gene aktiviert werden und gewisse mRNA-Moleküle und dazugehörige Proteine rasch in grosser Zahl vorhanden sein könnten, gibt er zu bedenken.

Literaturhinweis

Baerenfaller K, Massonnet C, Walsh S, Baginsky S, Bühlmann P, Hennig L, Hirsch-Hoffmann M, Howell KA, Kahlau S, Radziejwoski A, Russenberger D, Rutishauser D, Small I, Stekhoven D, Sulpice R, Svozil J, Wuyts N, Stitt M, Hilson P, Granier C, Gruissem W. Systems-based analysis of Arabidopsis leaf growth reveals adaptation to water deficit. Mol Syst Biol. 2012 Aug 28;8:606. doi: 10.1038/msb.2012.39.

 
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