Veröffentlicht: 25.06.12
Science

Entwarnung für Chirurgen und Patienten

Bei chirurgischen Eingriffen kann sich Rauch entwickeln, der zahlreiche Giftstoffe enthält. ETH-Forscher haben die gasförmigen Bestandteile dieses Rauches mit Lasermethoden chemisch analysiert: Chirurgen wie Patienten können tief durchatmen.

Peter Rüegg
Ein Chirurg bei einem Eingriff in der Bauchhöhle eines Patienten: Rauch, der bei Operationen entsteht, kann giftige Bestandteile enthalten. (Bild: Official US Navy Imagery / flickr.com)
Ein Chirurg bei einem Eingriff in der Bauchhöhle eines Patienten: Rauch, der bei Operationen entsteht, kann giftige Bestandteile enthalten. (Bild: Official US Navy Imagery / flickr.com) (Grossbild)

Wenn Derek Shepherd, Neurochirurg aus der TV-Serie «Grey’s Anatomy» Gewebe versiegelt und dabei verbrennt, steigt effektvoll beleuchtet blauer Rauch auf. Was der Fernsehzuschauer nicht riecht, steigt dem Operateur direkt in die Nase. Der «surgical smoke» ist nicht ein Hollywood-Spezialeffekt, sondern in den meisten OPs Realität. Und dieser Rauch kann zahlreiche giftige Substanzen enthalten, wie verschiedene Studien zeigten.

Forscher der ETH Zürich um Physikprofessor Markus Sigrist wollten nun genauer wissen, was Chirurgen einatmen und was in Patienten verbleiben kann. Sie haben deshalb in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Zürich den Rauch, der bei laparoskopischen Eingriffen im Bauchraum entsteht, analysiert. Entstanden ist die erste Studie, die diese Substanzen qualitativ und quantitativ unter realen Bedingungen im OP erfasst hat.

Operationsrauch gefährdet Gesundheit nicht

Bei einer laparoskopischen Operation führen die Ärzte das Werkzeug sowie Licht und Kamera über kleine Löcher in den Körper des Patienten ein und operieren am Bildschirm. Der Rauch wird über einen Auslass und einen Schlauch weggeführt. Dort haben die ETH-Forscher den Rauch in einem inerten Beutel gesammelt. Im Labor untersuchten sie kurz danach mittels Infrarotlaserspektroskopie, welche Substanzen in welchen Mengen im Rauch enthalten sind. Ziel der Arbeit war es auch herauszufinden, ob die von der Suva festgelegten Grenzwerte für gesundheitsgefährdende Substanzen überschritten werden.

Das Resultat der Studie dürfte Chirurgen wie Patienten beruhigen: Die Messungen der Physiker an insgesamt 33 Proben aus sechs verschiedenen Operationen ergaben keine Hinweise auf überhöhte Konzentrationen von gasförmigen Schadstoffen bei Bauchraum-Operationen. Die Resultate wurden kürzlich in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht.

Anästhetikum überwiegt, keine Flusssäure

Zwar konnte Michele Gianella, der die Arbeit im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Projektes durchführte, erstaunlich grosse Mengen des flüchtigen Anästhetikums Sevofluran - der potenziell schädlichste Stoff, den die Forscher nachweisen konnten - messen: Bis zu 450 ppm (parts per million) waren darin enthalten. Als Grenzwert setzt das US National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) aber lediglich 2 ppm für halogenierte Anästhetika fest. Diese Menge bezieht sich allerdings auf eine Durchschnittsbelastung während eines Achtstunden-Arbeitstags. Operierende Ärzte sind dem Stoff jedoch höchstens kurzfristig ausgesetzt. Für diesen Stoff gibt die Suva keinen spezifischen Grenzwert an.

Gianella konnte weitere Substanzen erfassen, darunter auch Ethylen, Methan und das giftige Kohlenmonoxid. Von letzterem konnte er jedoch Mengen messen, die unterhalb des Grenzwertes liegen. Entwarnung geben die ETH-Physiker auch bei der Flusssäure (Hydrogenfluorid HF). Diese stark ätzende Säure konnten sie trotz extremer Empfindlichkeit ihrer Nachweismethode von 100 ppt (parts per trillion) nicht nachweisen. Sie könnte entstehen, wenn das fluorhaltige Sevofluran einer starken elektrischen Entladung - eine Bogenentladung - ausgesetzt wäre. Dies konnte im Labor beobachtet werden, auf dem OP-Tisch kommt es jedoch nicht vor.

Andere Forscher detektieren im chirurgischen Rauch unter gewissen Bedingungen giftiges krebserregendes Benzol und Formaldehyd. Die ETH-Wissenschaftler fanden aber beide Substanzen nicht in nachweisbaren Konzentrationen. Mit Infrarotlaserspektrometrie liegt die Nachweisgrenze für diese Stoffe bei 10 ppm. Die Suva verlangt hingegen einen Grenzwert von 0,5 ppm. «Mit Licht von anderer Wellenlänge wäre es durchaus möglich, die notwendige Empfindlichkeit zu erreichen», sagt dazu Gianella.

Spezieller Laserstrahl zur Messung erzeugt

Um spektroskopische Messungen bei Wellenlängen im Bereich von drei Mikrometern (drei Millionstel Meter) vornehmen zu können, mussten die Forscher zwei Laser von verschiedener Wellenlänge mischen und in einem speziellen Kristall fokussieren. Dadurch entsteht in diesem Kristall eine extrem hohe Lichtintensität und die zwei Strahlen treten miteinander in Wechselwirkung, was weitere Laserstrahlen erzeugt. Insbesondere entsteht ein Strahl, dessen Frequenz dem Unterschied der Frequenzen der zwei ursprünglichen Strahlen enspricht: Die Physiker nennen dieses Phänomen Differenz-Frequenz-Erzeugung. Über ein Spiegelsystem wurde dieser Strahl dann in eine Zelle geleitet, die den Rauch enthielt.

Die Substanzen, die im Rauch enthalten sind, «schlucken» einen Teil des eingestrahlten Lichts. Die Differenz zwischen eingestrahlter und aus der Messzelle austretender Lichtmenge kann gemessen werden.

Computer half bei Suche nach Substanzen

Jede Substanz hat ein typisches Absorptionsmuster, das in Datenbanken enthalten ist. Um die sich teilweise überlagernden Muster voneinander zu trennen und einer Substanz zuordnen zu können, entwickelte Gianella anhand einer Spektroskopie-Datenbank ein cleveres Computerprogramm, das diese Zuordnung vornahm. Der Algorithmus ist ein Kernstück seiner Dissertation, für die er die Silbermedaille der ETH erhielt.

Das Spektrum für Sevofluran musste er jedoch selbst erzeugen, da es in der Datenbank nicht vorhanden war. «Um ein solches Programm zu schreiben, braucht es eine Datenbank mit Daten von sehr guter Auflösung. Diese gibt es jedoch nicht für alle Substanzen.»

Auf diese Forschungsaufgabe sind die Physiker eher per Zufall gestossen. Vor etlichen Jahren führten sie im Kantonsspital Aarau eine kleinere Studie über den «surgical smoke» bei offenen Brustoperationen durch. Dieter Hahnloser, vormals Arzt am Universitätsspital Zürich, bekam diese Studie zu Gesicht und ging daraufhin mit der Idee auf Markus Sigrist zu, die Rauchanalyse für laparoskopische Eingriffe durchzuführen.

Literaturhinweis

Gianella M & Sigrist MW. Chemical analysis of surgical smoke by infrared laser spectroscopy. Appl Phys B Laser and Optics. Published online 02 March 2012. DOI: 10.1007/s00340-012-4920-1

 
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