Veröffentlicht: 19.12.11
Science

Krebs aushungern

Mit einem neuen Ansatz wollen Forschende der ETH Zürich Krebs bekämpfen. Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Dario Neri haben ein Molekül entwickelt, das Blutgefässe im Umfeld eines Tumors zum Absterben bringt. Dadurch wird der Tumor «ausgehungert». Die neue Technik hat gegenüber bestehenden Methoden eine Reihe von Vorteilen.

Fabio Bergamin
Mikroskopische Aufnahme eines von gesundem Gewebe umgebenen Tumors. Blutgefässe des Tumors sind rot gefärbt, gesundes Gewebe ist grün gefärbt. (Bild: Philochem AG)
Mikroskopische Aufnahme eines von gesundem Gewebe umgebenen Tumors. Blutgefässe des Tumors sind rot gefärbt, gesundes Gewebe ist grün gefärbt. (Bild: Philochem AG) (Grossbild)

Moderne Krebsmedikamente, die biotechnologisch hergestellt werden, basieren häufig auf Antikörpern. Meistens kommen diese Antikörper unverändert zum Einsatz, was allerdings – mit wenigen Ausnahmen – nicht sehr effizient ist. Ein bedeutender Trend in der Entwicklung von neuen Chemotherapeutika ist daher, die Antikörper zu «bewaffnen», beispielsweise indem man sie an einen zelltötenden Wirkstoff koppelt, um deren Effizienz zu erhöhen.

Wissenschaftler unter der Leitung von Dario Neri, Professor für Biomakromoleküle am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich, haben in Zusammenarbeit mit Philochem, einer Start-up-Firma der ETH Zürich, einen solchen bewaffneten Antikörper entwickelt. In Laborversuchen konnten sie zeigen, dass damit behandelte krebskranke Mäuse rund doppelt solange überlebten als ohne Behandlung. Die Forscher veröffentlichten ihre Arbeit in der Fachzeitschrift «Angewandte Chemie International Edition».

Geringeres Risiko für Resistenzen

Dario Neris vielversprechender Ansatz unterscheidet sich in mehreren Punkten von anderen sich in Entwicklung befindenden bewaffneten Antikörpern. Die Makromoleküle der ETH-Forscher richten sich nicht gegen Krebszellen direkt, sondern gegen neugebildete Blutgefässzellen im Umfeld des Tumors. Dadurch wird die Nährstoffzufuhr des Tumors unterbunden und dessen Wachstum gehemmt. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass sich damit nicht nur eine bestimmte Krebsart, sondern im Grundsatz alle Krebsarten bekämpfen lassen. Zudem erwarten die Forscher, dass die Krebszellen dadurch weniger schnell Resistenzen gegen Chemotherapeutika bilden.

Eine weitere Besonderheit der neuen Makromoleküle ist, dass sie nicht, wie sonst üblich, Proteine an der Oberfläche der Zelle erkennen, sondern solche im Gewebe um die Zellen herum, der sogenannten extrazellulären Matrix. Dies hat den Vorteil, dass der zelltötende Wirkstoff bereits im Umfeld des Tumors freigesetzt wird und so auch Bereiche des Tumors erreichen kann, die mit herkömmlichen Makromolekülen nicht zu erreichen wären.

Weitere Forschungsarbeit nötig

Zum Dritten sind in Prof. Neris neuem Ansatz Antikörper und pharmazeutischer Wirkstoff nicht über ein Bindemolekül verbunden, sondern über eine direkte chemische Bindung. «Dadurch wird die Synthese der Makromoleküle einfacher und besser kontrollierbar», sagt der Erstautor der Studie, ETH-Wissenschaftler Gonçalo Bernardes. Zudem entfielen dadurch eine Reihe von Problemen, die solche Bindemoleküle potenziell verursachen können.

«Mit der neuen Studie konnten wir zeigen, dass der neue Ansatz funktioniert», sagt Prof. Neri. In Mäusen angewandt, hatte das neue Makromolekül eine messbare krebshemmende Wirkung. Von Krebs geheilt wurden die Tiere allerdings nicht. Neri: «Bevor das neue Molekül in klinischen Versuchen bei Menschen getestet werden könne, ist daher noch weitere Forschungsarbeit nötig.»

Literaturhinweis

Bernardes GJL, Casi G, Trüssel S, Hartmann I, Schwager K, Scheuermann J, Neri D: A Traceless Vascular Targeting Antibody-drug Conjugate for Cancer Therapy, Angewandte Chemie International Edition (2011) doi: 10.1002/anie.201106527