Zwei Pioniere der Eiweissforschung geehrt
Professor Ruedi Aebersold erhält einen der wichtigsten Schweizer Forschungspreise für seine herausragende Forschung in der Proteomik. Der Systembiologe erwartet nicht nur erste Anwendungen, sondern auch einen Methodenschub.
Der Otto-Naegeli-Preis ist mit 200'000 Franken der
höchst dotierte
Forschungspreis der Schweiz. Wie ist seine Reputation einzustufen?
Etwa wie ein Benoîst-Preis?
Ruedi Aebersold: Der
Otto-Naegeli-Preis wird in der Schweiz als einer der wichtigsten
Wissenschafts-Preise angesehen, von der Dotierung her ist er extrem
hoch.
Wie beurteilen Sie die Ehrung für Ihr
persönliches Palmares?
Er ist ein Höhepunkt. Zwar ist jeder Preis
eine Anerkennung. Aber Preise
sind verschieden gelagert. Die einen erhält man von der Peer Group oder
von der
Fachgesellschaft. Diese sind jeweils nicht so hoch dotiert. Preise wie
der
Otto-Naegeli-Preis sind natürlich extrem wichtig, einerseits von der
Dotierung,
andererseits wegen ihrer Reputation über das Fach hinaus. Der Preis hat
in der
Vergangenheit eine sehr breite Palette an Fachgebieten anerkannt.
Deshalb ist er eine enorme Anerkennung!
Was
haben Sie mit dem Preisgeld vor?
Ich möchte es vor allem dafür
einsetzen, um es Doktoranden zu
ermöglichen, an Kongressen und Fachtreffen teilzunehmen und so weiter.
Denn für
Reisen von Studierenden ist es sehr schwierig, Geld aufzutreiben. Mein
Grundgedanke ist, das Preisgeld dazu zu verwenden, Interaktionen
zwischen Wissenschaftlern
zu fördern.
Sie haben sich bisher stark für die
Entwicklung von Methoden in der
Proteomik eingesetzt. In der Laudatio steht, dass Proteomik nun immer
mehr in die
Anwendung geht. Was ist für Sie interessanter?
Für mich sind
beide Seiten gleichwertig, aber die Methodik kommt vor der
Anwendung. Man kann nichts anwenden, was vorher nicht durch eine
entsprechende
Technologie entwickelt wurde. Der Druck von Politik und Geldgebern, für
neue
Technologien sofort Anwendungen zu finden, ist insbesondere in den USA
sehr
gross. Dort wird Proteomik als «translational research» beschrieben. Das
heisst, dass man Technologien sehr früh versucht für den Nutzen der
Patienten
anzuwenden. Das wollen wir auch, aber übersetzen sollte man erst, wenn
der
Urtext reif genug ist. Aber die Zeit ist jetzt reif für eine klinische
Anwendung und Grundlagenarbeiten.
Läutet der
Preis nun einen Übergang ein zwischen Technologieentwicklung
und anwendungsorientierter Forschung ein?
Das läuft parallel. Die
Anwendungen werden ambitiöser und breiter
gefächert, die Technologieentwicklung ist damit aber nicht
abgeschlossen. Wir
haben ein gewisses Niveau an Technologie erarbeitet. Das wirft neue
Fragen auf,
erschliesst neue Anwendungsgebiete, was wiederum neue Technologien
anschiebt.
Haben Sie eine Idee, eine Vision,
die Sie mit der Proteomik verfolgen?
Wir wollen die Proteine, die
sich im Minutentakt verändern, weil sich
eine Zelle stets der Umwelt anpasst, gesamtheitlich messen. Wir wollen
wissen,
wie sich die Proteome und ihre Interaktionen innerhalb der Zelle
verändern
aufgrund der Bedingungen, in der sich die Zelle befindet. Das ist das
Traumziel. Alle Messungen, die wir heute machen, basieren jedoch auf einer
gesamten
Population von Zellen, nie auf einer Einzelzelle. Zudem können wir nur
begrenzt
wissen, wie Proteine miteinander reagieren. Auch wie sie modifiziert sind,
können wir
nur ansatzweise messen. Da besteht noch viel Technologiebedarf. An einem
kurzfristigen Ziel aber sind wir nahe daran: dass wir in einer Probe von
menschlichen Zellen oder Gewebe jedes darin existierende Protein
nachweisen
können und zwar auch quantitativ.
Otto Naegeli Preis 2010
Der diesjährige Otto
Naegeli-Preis zur Förderung der medizinischen
Forschung geht an Ruedi Aebersold und an Amos Bairoch. Der Preis wird alle zwei
Jahre verliehen und ist mit 200‘000 Franken dotiert.
Aebersold ist
Professor für Funktionelle Genomik der ETH und der Universität
Zürich. Er leitet das Institut für
Molekulare Systembiologie an der ETH Zürich
und ist Pionier auf dem Gebiet der Proteomik. Die Proteomik erforscht
die
Gesamtheit der in einer Zelle oder einem Lebewesen auffindbaren
Proteine. Aebersold
entwickelte eine Reihe von analytischen Methoden und Computermodellen,
die es
erlauben, Proteine zu identifizieren und ihre Menge zu messen. Bekannt
wurde zum
Beispiel das Isotope-Coded-Affinity-Tag-System, eine Methode, bei der
stabile
Isotope zur Markierung der Proteine eingesetzt werden. Aebersold und
sein Team können
mit ICAT unter anderem die Proteinzusammensetzung in Krebszellen von
derjenigen
in Nichtkrebszellen unterscheiden oder andere Veränderungen im Proteom
nachweisen. Dies könnte helfen, dass Krebs und Stoffwechselerkrankungen
leichter diagnostiziert werden können.
Amos Bairoch,
Leiter des Instituts für Strukturelle Biologie und Bioinformatik an der
Universität Genf und einer Forschungs- und Dienstleistungsgruppe des SIB Schweizerisches Institut für Bioinformatik, wird
ausgezeichnet für seine herausragenden Arbeiten auf dem Gebiet der
Proteinsequenzanalysen;
insbesondere für die Entwicklung von Datenbanken und Websites, die er
der
Forschungsgemeinschaft einfach und umfassend zugänglich machte. Schon
als
Doktorand begann er damit, Software zur Analyse von Proteinsequenzen zu
entwickeln
und baute 1986 die Proteindatenbank Swiss-Prot
auf. Swiss-Prot wurde weltweit zum unverzichtbaren
Instrument in der Life Science Forschung. Bairoch ist zudem Mitbegründer
des SIB.
1998 gegründet, ist das SIB heute eines der führenden
Bioinformatik-Institute,
in dem sich rund 29 Forschungs- und Servicegruppen mit 400
Mitarbeitenden zusammengeschlossen
haben.
Der Preis ist benannt nach Otto Naegeli, einer
ausserordentlichen
Persönlichkeit. 1871 geboren, fiel er mit originellen Forschungsansätzen
auf.
So erregte er Aufsehen mit der Beobachtung, dass zwar viele Menschen mit
dem Tuberkulosebakterium
infiziert sind, aber nur wenige daran erkranken. Er folgerte, dass die
individuelle Immunabwehr für diesen Effekt verantwortlich sei, was
zunächst
einen Sturm der Entrüstung auslöste, später aber bestätigt wurde.
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