Veröffentlicht: 30.04.10
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Zwei Pioniere der Eiweissforschung geehrt

Professor Ruedi Aebersold erhält einen der wichtigsten Schweizer Forschungspreise für seine herausragende Forschung in der Proteomik. Der Systembiologe erwartet nicht nur erste Anwendungen, sondern auch einen Methodenschub.

MM / Interview: Peter Rüegg
ETH-Professor Ruedi Aebersold erhielt den Otto Naegeli-Preis 2010. (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich)
ETH-Professor Ruedi Aebersold erhielt den Otto Naegeli-Preis 2010. (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Der Otto-Naegeli-Preis ist mit 200'000 Franken der höchst dotierte Forschungspreis der Schweiz. Wie ist seine Reputation einzustufen? Etwa wie ein Benoîst-Preis?
Ruedi Aebersold: Der Otto-Naegeli-Preis wird in der Schweiz als einer der wichtigsten Wissenschafts-Preise angesehen, von der Dotierung her ist er extrem hoch.

Wie beurteilen Sie die Ehrung für Ihr persönliches Palmares?
Er ist ein Höhepunkt. Zwar ist jeder Preis eine Anerkennung. Aber Preise sind verschieden gelagert. Die einen erhält man von der Peer Group oder von der Fachgesellschaft. Diese sind jeweils nicht so hoch dotiert. Preise wie der Otto-Naegeli-Preis sind natürlich extrem wichtig, einerseits von der Dotierung, andererseits wegen ihrer Reputation über das Fach hinaus. Der Preis hat in der Vergangenheit eine sehr breite Palette an Fachgebieten anerkannt. Deshalb ist er eine enorme Anerkennung!

Was haben Sie mit dem Preisgeld vor?
Ich möchte es vor allem dafür einsetzen, um es Doktoranden zu ermöglichen, an Kongressen und Fachtreffen teilzunehmen und so weiter. Denn für Reisen von Studierenden ist es sehr schwierig, Geld aufzutreiben. Mein Grundgedanke ist, das Preisgeld dazu zu verwenden, Interaktionen zwischen Wissenschaftlern zu fördern.

Sie haben sich bisher stark für die Entwicklung von Methoden in der Proteomik eingesetzt. In der Laudatio steht, dass Proteomik nun immer mehr in die Anwendung geht. Was ist für Sie interessanter?
Für mich sind beide Seiten gleichwertig, aber die Methodik kommt vor der Anwendung. Man kann nichts anwenden, was vorher nicht durch eine entsprechende Technologie entwickelt wurde. Der Druck von Politik und Geldgebern, für neue Technologien sofort Anwendungen zu finden, ist insbesondere in den USA sehr gross. Dort wird Proteomik als «translational research» beschrieben. Das heisst, dass man Technologien sehr früh versucht für den Nutzen der Patienten anzuwenden. Das wollen wir auch, aber übersetzen sollte man erst, wenn der Urtext reif genug ist. Aber die Zeit ist jetzt reif für eine klinische Anwendung und Grundlagenarbeiten.

Läutet der Preis nun einen Übergang ein zwischen Technologieentwicklung und anwendungsorientierter Forschung ein?
Das läuft parallel. Die Anwendungen werden ambitiöser und breiter gefächert, die Technologieentwicklung ist damit aber nicht abgeschlossen. Wir haben ein gewisses Niveau an Technologie erarbeitet. Das wirft neue Fragen auf, erschliesst neue Anwendungsgebiete, was wiederum neue Technologien anschiebt.

Haben Sie eine Idee, eine Vision, die Sie mit der Proteomik verfolgen?
Wir wollen die Proteine, die sich im Minutentakt verändern, weil sich eine Zelle stets der Umwelt anpasst, gesamtheitlich messen. Wir wollen wissen, wie sich die Proteome und ihre Interaktionen innerhalb der Zelle verändern aufgrund der Bedingungen, in der sich die Zelle befindet. Das ist das Traumziel. Alle Messungen, die wir heute machen, basieren jedoch auf einer gesamten Population von Zellen, nie auf einer Einzelzelle. Zudem können wir nur begrenzt wissen, wie Proteine miteinander reagieren. Auch wie sie modifiziert sind, können wir nur ansatzweise messen. Da besteht noch viel Technologiebedarf. An einem kurzfristigen Ziel aber sind wir nahe daran: dass wir in einer Probe von menschlichen Zellen oder Gewebe jedes darin existierende Protein nachweisen können und zwar auch quantitativ.

Otto Naegeli Preis 2010

Der diesjährige Otto Naegeli-Preis zur Förderung der medizinischen Forschung geht an Ruedi Aebersold und an Amos Bairoch. Der Preis wird alle zwei Jahre verliehen und ist mit 200‘000 Franken dotiert.

Aebersold ist Professor für Funktionelle Genomik der ETH und der Universität Zürich. Er leitet das Institut für Molekulare Systembiologie an der ETH Zürich und ist Pionier auf dem Gebiet der Proteomik. Die Proteomik erforscht die Gesamtheit der in einer Zelle oder einem Lebewesen auffindbaren Proteine. Aebersold entwickelte eine Reihe von analytischen Methoden und Computermodellen, die es erlauben, Proteine zu identifizieren und ihre Menge zu messen. Bekannt wurde zum Beispiel das Isotope-Coded-Affinity-Tag-System, eine Methode, bei der stabile Isotope zur Markierung der Proteine eingesetzt werden. Aebersold und sein Team können mit ICAT unter anderem die Proteinzusammensetzung in Krebszellen von derjenigen in Nichtkrebszellen unterscheiden oder andere Veränderungen im Proteom nachweisen. Dies könnte helfen, dass Krebs und Stoffwechselerkrankungen leichter diagnostiziert werden können.

Amos Bairoch, Leiter des Instituts für Strukturelle Biologie und Bioinformatik an der Universität Genf und einer Forschungs- und Dienstleistungsgruppe des SIB Schweizerisches Institut für Bioinformatik, wird ausgezeichnet für seine herausragenden Arbeiten auf dem Gebiet der Proteinsequenzanalysen; insbesondere für die Entwicklung von Datenbanken und Websites, die er der Forschungsgemeinschaft einfach und umfassend zugänglich machte. Schon als Doktorand begann er damit, Software zur Analyse von Proteinsequenzen zu entwickeln und baute 1986 die Proteindatenbank Swiss-Prot auf. Swiss-Prot wurde weltweit zum unverzichtbaren Instrument in der Life Science Forschung. Bairoch ist zudem Mitbegründer des SIB. 1998 gegründet, ist das SIB heute eines der führenden Bioinformatik-Institute, in dem sich rund 29 Forschungs- und Servicegruppen mit 400 Mitarbeitenden zusammengeschlossen haben.

Der Preis ist benannt nach Otto Naegeli, einer ausserordentlichen Persönlichkeit. 1871 geboren, fiel er mit originellen Forschungsansätzen auf. So erregte er Aufsehen mit der Beobachtung, dass zwar viele Menschen mit dem Tuberkulosebakterium infiziert sind, aber nur wenige daran erkranken. Er folgerte, dass die individuelle Immunabwehr für diesen Effekt verantwortlich sei, was zunächst einen Sturm der Entrüstung auslöste, später aber bestätigt wurde.

 
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