Veröffentlicht: 25.06.08
Attosekunden-Messungen

Eine Stoppuhr für den Tunneleffekt

Die Experimentalphysikerin Ursula Keller beschrieb kürzlich in einem Artikel , wie mit zirkular polarisiertem Licht Ereignisse im Attosekunden-Bereich gemessen werden können. Die Frage, ob eine messbare Tunnelzeit von Elektronen infolge des Tunneleffekts tatsächlich existiert - eines der grossen ungelösten Rätsel der Physik - könnte mit einer solchen Messung vielleicht schon bald experimentell beantwortet werden.

Samuel Schläfli
Ionisierung eines Helium-Atoms als „proof of principle“ der Attosekunden-Uhr: Ein zirkular polarisierter Laserstrahl trifft innerhalb eines elektrischen und magnetischen Feldes auf das Atom, dessen Elektron abgespalten und von einem Detektor aufgefangen wird.
Ionisierung eines Helium-Atoms als „proof of principle“ der Attosekunden-Uhr: Ein zirkular polarisierter Laserstrahl trifft innerhalb eines elektrischen und magnetischen Feldes auf das Atom, dessen Elektron abgespalten und von einem Detektor aufgefangen wird. (Grossbild)

„Es ist gerade ziemlich «exciting», was wir hier machen“, sagt Ursula Keller, Professorin am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich. Man glaubt ihr aufs Wort. Bei all der Lebendigkeit und Begeisterung in Kellers Stimme hat man wahrlich das Gefühl, die Experimentalphysikerin müsse etwas Grossem auf der Spur sein. Keller und ihr Team sind, wenn es um die Erzeugung von ultrakurzen Laserpulsen geht, keine unbeschriebenen Blätter mehr: Die Professorin wurde von „Essential Science Indicators“ zur weltweit drittmeist zitierten Wissenschaftlerin in der Optoelektronik zwischen den Jahren 1991 bis 1999 gekürt. Über lange Zeit hielt ihre Gruppe zudem den Weltrekord für den kürzesten Infrarot-Puls im Femtosekunden-Bereich (10-15 s). Solche Laserpulse finden zum Beispiel in der Chemie oder der Medizin Anwendung, um ultraschnelle Phänomene wie biologische Prozesse im menschlichen Körper oder chemische Reaktionen messen und verfolgen zu können. Weiter werden sie bei der Entwicklung von Mikrochips zum Beobachten der Ladungsverschiebungen in Halbleitern verwendet. Und schliesslich kommen Femto-Laserpulse auch in einer Art Uhrwerk für optische, extrem präzise Atomuhren zum Einsatz.

Ein relativ neues, aber umso spektakuläreres Anwendungsgebiet von hochenergetischen Lasern ist die Erzeugung von Attosekunden-Pulsen (10-18 s) im Bereich der weichen Röntgenstrahlung. Der Rekord lag bis vor kurzem bei Pulsen von 80 Attosekunden (as). Damit können Elektronenbewegungen in Echtzeit gemessen werden. Die Erzeugung und Detektion solcher Laserstrahlung erfordert jedoch einen enormen experimentellen Aufwand und zeitaufgelöste Messungen sind stark durch die kleinen Pulsenergien und die tiefen Puls-Repetitionsraten limitiert.

Energiefeld als Zifferblatt, Elektron als Zeiger

Ursula Keller und ihr Team haben am 30. Mai einen Artikel auf dem Internet veröffentlicht, der eine neue Messtechnik im as-Bereich beschreibt. Die dazugehörige Printpublikation wird voraussichtlich in der Augustausgabe von „Nature Physics“ erscheinen. Im beschriebenen System wird ohne Attosekunden-Pulse eine noch bessere Zeitauflösung im Bereich von 25 as bei geringerem experimentellem Aufwand und weniger störenden Nebeneffekten erreicht. Dazu hat Kellers Team den eingesetzten Infrarot-Laserpuls nahezu zirkular polarisiert. Die Pulse sind dadurch nicht mehr lineare, wellenförmige Schwingungen, wie dies bei einem Lichtstrahl gewöhnlich der Fall ist, sondern kreisförmige Bewegungen im Raum. Das Energiefeld des Infrarotlichts zirkuliert während einer Periode von 2.4 Femtosekunden (fs) einmal räumlich um 360°. Dadurch entsteht eine Art Uhr, die anstelle eines Sekunden- einen Attosekunden-Zeiger trägt, der die 2.4 fs einer Gesamtumdrehung weiter in as-Schritte zerlegt. „Mit einem Initialpuls von etwa fünf Femtosekunden werden dadurch Messungen im as-Bereich möglich, ohne dass dafür der apparative Aufwand zur Erzeugung von Attosekunden-Pulsen und derer Messung nötig ist“, erklärt Keller.

Als „proof of principle“ wird in „Nature Physics“ die Tunnelionisierung eines Helium-Atoms beschrieben. Der Winkel der Flugbahn des vom Atom abgespaltenen Elektrons kann auf dem „Zifferblatt“ der Attosekunden-Uhr, also dem zirkulär polarisierten Laserstrahl, gemessen und daraus die Zeit des Ereignisses berechnet werden – und dies bei einer Genauigkeit von 25 as. Die Ergebnisse stiessen in der wissenschaftlichen Gemeinde auf grosses Interesse, schliesslich behauptet Keller nichts geringeres, als die „genauste“ Uhr der Welt entwickelt zu haben.

Möglicher Schlüssel zu einem grossen physikalischen Mysterium

Ursula Keller glaubt, dass mit der beschriebenen Versuchsanordnung direkt die Tunnelzeiten (siehe Kasten) von Elektronen gemessen werden können – falls sie denn wirklich existieren. Experimentell konnte dieser quantenmechanische Vorgang aufgrund der notwendigen Zeitauflösung von unter 100 as bis heute weder bestätigt noch widerlegt werden. In der wissenschaftlichen Gemeinde werden aber immer wieder Zweifel an der Existenz einer messbaren Tunnelzeit geäussert. „Wir könnten mit unserer Technologie vielleicht bald die ersten sein, welche das Mysterium von solchen Elektronen-Tunnelzeiten durch ein Experiment auflösen“, hofft die Physikerin. Man geht in Theorien davon aus, dass das Elektron zum „durchtunneln“ der energetischen Barriere eine bestimmte Zeit benötigt. Genau diese glaubt Keller mit der Attosekunden-Laseruhr messen zu können: „In anerkannten theoretischen Berechnungen beträgt die „Tunneling“-Zeit circa 400 as. In unseren ersten Helium-Versuchen gelangen Messungen, die um 16 Mal genauer sind. Eine solche Verzögerung müsste also mit unserem System messbar sein.“

Die Online-Publikation und der kommende „Nature Physics“-Artikel beschreiben lediglich die Funktionsweise und Technik hinter der Attosekunden-Laseruhr. Bereits die Folgepublikation soll jedoch erste Experimente in Bezug auf die Tunnelzeiten beinhalten. Noch gibt sich Keller verschlossen. Ihre leuchtenden Augen und die hoffnungsvollen Anspielungen lassen jedoch aufhorchen: „Die Vergangenheit hat uns gelehrt: Wenn die Technologie zum Messen eines theoretischen Phänomens erst einmal bereitsteht, dann wird man von den Ergebnissen oft überrascht. Nicht nur einmal hat dies zu einem Durchbruch in der Physik geführt“, so Keller. „Ein solcher Durchbruch ist der Traum jedes Experimentalphysikers, «that`s what makes us tick»!“

Der Tunneleffekt

Das „Tunneling“ ist ein fundamentales quantenphysikalisches Phänomen. Es besagt, dass Elementarteilchen unter bestimmten Umständen die Prinzipien der klassischen Mechanik verletzen, indem sie durch eine Art energetische Barriere, deren Energie höher ist als die kinetische Energie des Teilchens, hindurchgehen. Ein Überwinden der Energiebarriere ist nur quantenmechanisch durch eine Art „Durchtunnelung“ möglich, wobei die Barriere weder zu dick noch zu hoch sein darf. Namhafte Physiker haben sich über die vergangenen 60 Jahre in hunderten von wissenschaftlichen Publikationen mit dem Tunneleffekt und der Tunnelzeit befasst sowie unterschiedliche theoretische Modelle dazu hergeleitet, beschrieben und diskutiert.

Literaturhinweis

Petrissa Eckle, Mathias Smolarski, Philip Schlup, Jens Biegert, André Staudte, Markus Schöffler, Harm G. Muller, Reinhard Dörner & Ursula Keller: Attosecond angular streaking; Nature Physics; published online: 30 May 2008; doi:10.1038/nphys982

 
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