Veröffentlicht: 24.06.08
Rheinaufwertung "ChuRivages"

Wasserlandschaft statt Truppenübungsplatz

Rheinstadt – da denkt man in der Schweiz an Schaffhausen oder Basel. Aber Chur? Nur wenige Auswärtige würden die Hauptstadt Graubündens mit dem Rhein in Verbindung bringen. Das soll sich ändern. Eine Studierendengruppe unter Christophe Girot, Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, schlägt vor, den Fluss aufzuwerten und auf dem Rossboden-Areal zwischen Chur und Felsberg eine Wasserlandschaft zu schaffen. „ChuRivages“ nennen sie das Landschaftskonzept mit Entwicklungsideen für ein Gebiet, das heute noch vom Militär genutzt wird.

Roland Baumann
Visualisierung des Churer Sees. (Grafik: C. Girot et al.)
Visualisierung des Churer Sees. (Grafik: C. Girot et al.) (Grossbild)

Noch wird auf dem Rossboden zwischen Chur und Felsberg geschossen. Doch das Gebiet birgt zusammen mit dem heute kaum mehr sichtbaren Rhein ein gewaltiges Potenzial für die Stadt Chur, das der Churer Seeverein nun nutzen will. Ein Verein, der am 21. Oktober 2004 eigens mit dem Ziel gegründet wurde, im Raum Chur einen künstlichen See und naturnahe Lebensräume als Naherholungsgebiet und Freizeitanlage für die Bevölkerung zu verwirklichen. Der Seeverein hat eine Studierendengruppe des Institutes für Landschaftsarchitektur der ETH Zürich angefragt, ein Grobkonzept für die Neugestaltung des Rossboden-Areals zu entwickeln.

Seepromenade und Grenze

Am Montag haben die Forschenden um Christophe Girot, Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, ihr „ChuRivages“ genanntes Konzept präsentiert. Leitidee des Konzepts ist das Potenzial des heute kaum mehr sichtbaren Rheins. Der Fluss soll durch zwei Massnahmen seine Bedeutung wieder erlangen. Eine Flussaufwertung rückt den Rhein näher an die Stadt und gibt ihm ein breiteres Bett. Am neuen Rheinlauf soll ein attraktives Stadtquartier mit durchmischter Wohn- und Gewerbenutzung entstehen, und das Rheinufer soll eine Promenade erhalten. Gleichzeitig soll der Fluss eine Grenze bilden, die das städtische Gebiet vom Erholungsraum trennt.

Das Naherholungsgebiet ist geprägt von der zweiten Massnahme, einem vom Rhein gespeisten, künstlichen Gewässer. Verschiedene Uferzonen lassen unterschiedliche Nutzungen und Habitate zu. So ermöglicht dieser See neue Wassersport- und Freizeitaktivitäten, wie etwa Schwimmen oder Rudern; aufgrund seiner Grösse eignet er sich sogar für olympische Rudertrainings. Auenlandschaften und Naturschutzgebiete halten Nistplätze für Vögel und andere Tierarten bereit und damit Perspektiven für einen naturnahen Tourismus.

Landschaftliche Einheit aufwerten

„Insgesamt besticht das Konzept durch die Berücksichtigung verschiedener Interessen und die Bereitstellung vielfältiger Nutzungsmöglichkeiten“, freut sich der Churer Seeverein. Dem Institut für Landschaftsarchitektur der ETH Zürich sei es gelungen, die Interessen von Stadtentwicklern, Gewerbetreibenden, Erholungssuchenden und Naturschützern unter einen Hut zu bringen.

Laut ETH-Professor Christophe Girot kann die Wasserlandschaft „ChuRivages“ die landschaftliche Einheit des Gebietes Rossboden erhalten und aufwerten. Die Herausforderung für Chur und Felsberg werde darin bestehen, dafür zu sorgen, dass die Landschaft nicht in kleine, eklektische, bezugslose Fragmente zerfalle. „Für die Stadt Chur bietet sich die einmalige Gelegenheit, mit visionärer Kraft und Entschlossenheit die Attraktivität der Stadt zu steigern, indem ihren Einwohnern und Gästen eine Reihe von neuen Aktivitäten und Möglichkeiten eröffnet werden“, sagt Girot.

Flussläufe städtebaulich attraktiv

Die für das Rossboden-Areal vorgeschlagene neue Landschaftsarchitektur ist das Ergebnis eines intensiven Entwurfs- und Forschungssemesters im Herbst 2007 am Institut für Landschaftsarchitektur der ETH Zürich. „Das Konzept zeigt in typischer Weise, welchen Beitrag Landschaftsarchitektur zur qualitativen Aufwertung bislang vernachlässigter Stadtrandgebiete leisten kann“, betont Girot. Etliche Städte hätten die Bedeutung der Aufwertung von Flussläufen für die Stadtentwicklung erkannt, wie die Beispiele von Barcelona oder Lyon zeigten. Auch die Stadt Zürich habe sich erfolgreich bemüht, die Ufer der Sihl und der Limmat so umzugestalten, dass die Bevölkerung wieder unmittelbaren Zugang zu den Flüssen habe.

Das Rossboden-Projekt zeigt laut Girot das gesamte Potenzial einer neuen landschaftsarchitektonischen Vision für die Stadt auf. Die Landschaftsarchitektur sei eine Fachdisziplin, die ihre gestalterischen Möglichkeiten nur dann voll entfalten könne, wenn sie bereits im Vorfeld zum Einsatz komme. Das heisst, bevor weitere, umfangreichere städtebauliche Planungen umgesetzt werden. Girot bedauert, dass die Landschaftsarchitektur bei grossmassstäblichen Stadtentwicklungen oft nur als zweite oder gar dritte Priorität angesehen wird und sich meist mit Überresten befassen muss, welche das Ausbessern von undefinierten Stadtfragmenten und regionalen Ungereimtheiten beinhaltet. Diese falsche Prioritätensetzung sei für erhebliche Qualitäts- und Wertverluste in der Schweiz verantwortlich.