Die Atombombe als Staatsgarantie
Die Drohgebärden Nordkoreas gegenüber dem südlichen Nachbarn und den USA werden täglich schärfer. Trotzdem glaubt der Analyst Simon Mason vom «Center for Security Studies» (CSS) nicht an eine militärische Eskalation des Konflikts – vorausgesetzt, es kommt zu keinen groben Fehleinschätzungen der Konfliktparteien.
Herr Mason, Nordkorea kündigte anfangs März den seit 1953
bestehenden Waffenstillstand mit Südkorea und erklärte daraufhin, sich mit dem
Nachbarn im Kriegszustand zu befinden. Am Mittwoch drohte Nordkorea den USA
offiziell mit einem atomaren Erstschlag. Wieso gerade jetzt?
Wir beobachten in den Beziehungen zwischen
Nord- und Südkorea seit den 90er Jahren einen ständigen Zyklus von Eskalation
und Deeskalation. Das Sechs-Parteien-Abkommen zwischen den USA, China,
Nordkorea, Südkorea, Japan und Russland vom September 2005 weckte Hoffnung auf
eine friedfertige Beilegung der Spannungen. Alle Beteiligten konnten sich auf
das Ziel einer friedlichen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel
einigen. Doch das Abkommen wurde nicht umgesetzt, und es folgten
nordkoreanische Raketentests und Atombombenversuche in den Jahren 2006 und
2009. Nach dem Tod von Kim Jong Il im Dezember 2011 muss dessen Sohn Kim Jong Un
seine Machtbasis erst einmal konsolidieren. Damit war zu rechnen. Als
konkreten Grund für die aktuellen Drohungen nennt Pjöngjang die
UN-Sicherheitsresolutionen und die am 11. März begonnenen und jährlich
stattfindenden Militärübungen von Südkorea gemeinsam mit den USA.
Ist das nur ein Vorwand oder werden die
Militärmanöver in Nordkorea als echte Bedrohung wahrgenommen?
In
Nordkorea herrscht eine reale Angst vor einem gemeinsamen Militärschlag
Südkoreas mit den USA. Diese Angst wurde zusätzlich zu den aktuellen
Militärmanövern von Äusserungen seitens Südkoreas verstärkt, wonach
Lenkflugkörper Ziele in Nordkorea präzis treffen könnten.
Welche innenpolitische Ziele verfolgt Kim Jong
Un mit
seinem Konfrontationskurs?
Aus Pjöngjang kamen in letzter Zeit widersprüchliche
Signale. In seiner Neujahresrede betonte Kim Jong Un, wie wichtig es sei, die
Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea zu beenden, um das Land zu
vereinigen. Auch für wirtschaftliche Reformen nach dem
Vorbild Chinas gab es zaghafte Anzeichen. Nun sieht es aber ganz so aus, als
wolle das nordkoreanische Regime erst einmal seine militärische Stärke unter
Beweis stellen, um dadurch seine internationale Verhandlungsposition zu stärken
und das Regime innenpolitisch zu konsolidieren.
Kim Jong Un handelt also rational?
Ja,
durchaus.
China ist der wichtigste Partner Nordkoreas.
Trotzdem hat die Regierung in Peking die nuklearen Ambitionen seines Nachbarn
kürzlich offiziell verurteilt und sich den internationalen Sanktionen
angeschlossen. Welche Rolle spielt China im aktuellen Konflikt?
China
hat grosses Interesse an regionaler Stabilität, der Denuklearisierung der
koreanischen Halbinsel und der Verhinderung von nuklearer Proliferation. Es hat
deshalb alle Beteiligten zur Besonnenheit aufgerufen. Nordkorea ist wegen der
gemeinsamen Grenze für China aber auch eine Pufferzone gegen die in Südkorea
stationierten US-Truppen und deshalb ein wichtiger Partner. Nordkorea wiederum
ist wirtschaftlich stark von China abhängig. Es ist jedoch derzeit nicht klar, inwiefern
China seinen diesbezüglichen Einfluss zur Deeskalation nutzen kann.
Kim Jong Un verweist bei seinen Drohungen immer
wieder auf sein Atomprogramm. Beruht die relative Stärke Nordkoreas alleine auf
der Atombombe?
Nordkorea
hat sich den Fall der Regimes in Irak und Libyen genau angeschaut und sich
gefragt: Was ist unsere Versicherung, um als Staatssystem überleben zu können?
Nuklearwaffen sind für Kim Jong Un quasi die Existenzsicherung für den nordkoreanischen
Staat. Unter dem Schutz von Atomwaffen sieht sich das Regime als weniger
verwundbar.
Geht es dabei vor allem um ein Signal an die
USA?
Ja,
denn in den vergangenen Jahren hatte die Situation in Korea für die USA
aufgrund der Kriege in Irak und Afghanistan keine Priorität mehr. Insofern sind
die Drohungen von Kim Jong Un sicher auch ein Versuch, sich die Aufmerksamkeit
der USA zu sichern und diese aus einer gestärkten Position an den
Verhandlungstisch zu bringen.
Gab es schon früher Versuche dazu?
Nordkorea
wollte bereits nach dem Waffenstillstand im Koreakrieg von 1953 einen
Friedensvertrag mit den USA abschliessen. Die USA lehnten dies im Kontext des
Kalten Kriegs jedoch ab. 1957 kündigte die USA dann einseitig einen Paragraphen
des Waffenstillstandabkommens von 1953, um nukleare Waffen in Südkorea gegen
Nordkorea positionieren zu können. Die nordkoreanische Logik ist nun: Erst muss
ein Friedensvertrag her, dann können wir über die Frage der Denuklearisierung diskutieren.
Die USA sehen das genau umgekehrt.
Das kommunistische Nordkorea hat also
grundsätzlich Interesse an Verhandlungen mit dem Erzfeind USA?
Ja,
denn Nordkorea will nicht vollständig abhängig von China sein. Könnte Nordkorea
auf Augenhöhe mit den USA verhandeln und einen Friedensvertrag vereinbaren,
hätte das Land Zugang zu zusätzlichen Märkten und so viel gewonnen.
Wie gross ist die Gefahr eines nordkoreanischen
Erstschlags mit nuklearen Waffen tatsächlich?
Sehr
klein, die USA müsste reagieren und das wäre wohl gleichbedeutend mit dem Ende
des Regimes. Nordkorea hat zwar die Atombombe und Langstreckenraketen. Noch ist
aber unklar, wie weit die Technologie fortgeschritten ist, um beides zu einer
einsatzfähigen Waffe zu verbinden, die Ziele in Südkorea und den USA treffen könnte.
Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass es in zwei bis drei Jahren soweit sein
könnte. Doch wir wissen es nicht genau.
Wie könnte sich der Konflikt entwickeln?
Die
gemeinsamen Militärübungen von Südkorea mit den USA dauern noch bis Ende April.
Meine Hoffnung ist, dass bis dahin alle die Nerven bewahren und sich die
Situation danach wieder entspannen wird. Vorausgesetzt, dass sich keine der
involvierten Parteien bei ihren Reaktionen verkalkuliert, wird es nicht zu
einem offenen Krieg kommen.
Zur Person
Simon J. A. Mason ist Senior Researcher und Leiter des «Mediation Support Team»am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.
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