Veröffentlicht: 05.04.13
Science

Die Atombombe als Staatsgarantie

Die Drohgebärden Nordkoreas gegenüber dem südlichen Nachbarn und den USA werden täglich schärfer. Trotzdem glaubt der Analyst Simon Mason vom «Center for Security Studies» (CSS) nicht an eine militärische Eskalation des Konflikts – vorausgesetzt, es kommt zu keinen groben Fehleinschätzungen der Konfliktparteien.

Interview: Samuel Schläfli
Das Kriegsdenkmal auf dem Mansu-Hügel in Pjöngjang erinnert an den Koreakrieg von 1950-53. ETH-Sicherheitsexperte Simon Mason erklärt, ob die Drohungen Nordkoreas zu einem neuen Krieg führen könnten.  (Bild: flickr.com/ zVg S. Mason, ETH Zürich)
Das Kriegsdenkmal auf dem Mansu-Hügel in Pjöngjang erinnert an den Koreakrieg von 1950-53. ETH-Sicherheitsexperte Simon Mason erklärt, ob die Drohungen Nordkoreas zu einem neuen Krieg führen könnten. (Bild: flickr.com/ zVg S. Mason, ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Mason, Nordkorea kündigte anfangs März den seit 1953 bestehenden Waffenstillstand mit Südkorea und erklärte daraufhin, sich mit dem Nachbarn im Kriegszustand zu befinden. Am Mittwoch drohte Nordkorea den USA offiziell mit einem atomaren Erstschlag. Wieso gerade jetzt?
Wir beobachten in den Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea seit den 90er Jahren einen ständigen Zyklus von Eskalation und Deeskalation. Das Sechs-Parteien-Abkommen zwischen den USA, China, Nordkorea, Südkorea, Japan und Russland vom September 2005 weckte Hoffnung auf eine friedfertige Beilegung der Spannungen. Alle Beteiligten konnten sich auf das Ziel einer friedlichen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel einigen. Doch das Abkommen wurde nicht umgesetzt, und es folgten nordkoreanische Raketentests und Atombombenversuche in den Jahren 2006 und 2009. Nach dem Tod von Kim Jong Il im Dezember 2011 muss dessen Sohn Kim Jong Un seine Machtbasis erst einmal konsolidieren. Damit war zu rechnen. Als konkreten Grund für die aktuellen Drohungen nennt Pjöngjang die UN-Sicherheitsresolutionen und die am 11. März begonnenen und jährlich stattfindenden Militärübungen von Südkorea gemeinsam mit den USA.

Ist das nur ein Vorwand oder werden die Militärmanöver in Nordkorea als echte Bedrohung wahrgenommen?
In Nordkorea herrscht eine reale Angst vor einem gemeinsamen Militärschlag Südkoreas mit den USA. Diese Angst wurde zusätzlich zu den aktuellen Militärmanövern von Äusserungen seitens Südkoreas verstärkt, wonach Lenkflugkörper Ziele in Nordkorea präzis treffen könnten.

Welche innenpolitische Ziele verfolgt Kim Jong Un mit seinem Konfrontationskurs?
Aus Pjöngjang kamen in letzter Zeit widersprüchliche Signale. In seiner Neujahresrede betonte Kim Jong Un, wie wichtig es sei, die Konfrontation zwischen Nord- und Südkorea zu beenden, um das Land zu vereinigen. Auch für wirtschaftliche Reformen nach dem Vorbild Chinas gab es zaghafte Anzeichen. Nun sieht es aber ganz so aus, als wolle das nordkoreanische Regime erst einmal seine militärische Stärke unter Beweis stellen, um dadurch seine internationale Verhandlungsposition zu stärken und das Regime innenpolitisch zu konsolidieren.

Kim Jong Un handelt also rational?
Ja, durchaus.

China ist der wichtigste Partner Nordkoreas. Trotzdem hat die Regierung in Peking die nuklearen Ambitionen seines Nachbarn kürzlich offiziell verurteilt und sich den internationalen Sanktionen angeschlossen. Welche Rolle spielt China im aktuellen Konflikt?
China hat grosses Interesse an regionaler Stabilität, der Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel und der Verhinderung von nuklearer Proliferation. Es hat deshalb alle Beteiligten zur Besonnenheit aufgerufen. Nordkorea ist wegen der gemeinsamen Grenze für China aber auch eine Pufferzone gegen die in Südkorea stationierten US-Truppen und deshalb ein wichtiger Partner. Nordkorea wiederum ist wirtschaftlich stark von China abhängig. Es ist jedoch derzeit nicht klar, inwiefern China seinen diesbezüglichen Einfluss zur Deeskalation nutzen kann.

Kim Jong Un verweist bei seinen Drohungen immer wieder auf sein Atomprogramm. Beruht die relative Stärke Nordkoreas alleine auf der Atombombe?
Nordkorea hat sich den Fall der Regimes in Irak und Libyen genau angeschaut und sich gefragt: Was ist unsere Versicherung, um als Staatssystem überleben zu können? Nuklearwaffen sind für Kim Jong Un quasi die Existenzsicherung für den nordkoreanischen Staat. Unter dem Schutz von Atomwaffen sieht sich das Regime als weniger verwundbar.

Geht es dabei vor allem um ein Signal an die USA?
Ja, denn in den vergangenen Jahren hatte die Situation in Korea für die USA aufgrund der Kriege in Irak und Afghanistan keine Priorität mehr. Insofern sind die Drohungen von Kim Jong Un sicher auch ein Versuch, sich die Aufmerksamkeit der USA zu sichern und diese aus einer gestärkten Position an den Verhandlungstisch zu bringen.

Gab es schon früher Versuche dazu?
Nordkorea wollte bereits nach dem Waffenstillstand im Koreakrieg von 1953 einen Friedensvertrag mit den USA abschliessen. Die USA lehnten dies im Kontext des Kalten Kriegs jedoch ab. 1957 kündigte die USA dann einseitig einen Paragraphen des Waffenstillstandabkommens von 1953, um nukleare Waffen in Südkorea gegen Nordkorea positionieren zu können. Die nordkoreanische Logik ist nun: Erst muss ein Friedensvertrag her, dann können wir über die Frage der Denuklearisierung diskutieren. Die USA sehen das genau umgekehrt.

Das kommunistische Nordkorea hat also grundsätzlich Interesse an Verhandlungen mit dem Erzfeind USA?
Ja, denn Nordkorea will nicht vollständig abhängig von China sein. Könnte Nordkorea auf Augenhöhe mit den USA verhandeln und einen Friedensvertrag vereinbaren, hätte das Land Zugang zu zusätzlichen Märkten und so viel gewonnen.

Wie gross ist die Gefahr eines nordkoreanischen Erstschlags mit nuklearen Waffen tatsächlich?
Sehr klein, die USA müsste reagieren und das wäre wohl gleichbedeutend mit dem Ende des Regimes. Nordkorea hat zwar die Atombombe und Langstreckenraketen. Noch ist aber unklar, wie weit die Technologie fortgeschritten ist, um beides zu einer einsatzfähigen Waffe zu verbinden, die Ziele in Südkorea und den USA treffen könnte. Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass es in zwei bis drei Jahren soweit sein könnte. Doch wir wissen es nicht genau.

Wie könnte sich der Konflikt entwickeln?
Die gemeinsamen Militärübungen von Südkorea mit den USA dauern noch bis Ende April. Meine Hoffnung ist, dass bis dahin alle die Nerven bewahren und sich die Situation danach wieder entspannen wird. Vorausgesetzt, dass sich keine der involvierten Parteien bei ihren Reaktionen verkalkuliert, wird es nicht zu einem offenen Krieg kommen.

Zur Person

Simon J. A. Mason ist Senior Researcher und Leiter des «Mediation Support Team»am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.

 
Leserkommentare: