«Grüner» einkaufen dank Mitbringservice
Mit einer Web-Plattform nutzt der ETH-Spin-off «PolyPort» freie Transportkapazitäten und reduziert damit das Verkehrsaufkommen und CO2-Emissionen. Seit wenigen Tagen profitieren Kunden von IKEA Zürich erstmals vom grünen Hauslieferdienst.
Rund 70 Prozent aller Transportkapazitäten in Autos, Bahnen und Bussen bleiben heute ungenutzt. Wäre es also nicht sinnvoll und praktisch, diese freien Kapazitäten denjenigen zugänglich zu machen, die auf einen Transport angewiesen sind? Zum Beispiel jemandem, der in der IKEA-Filiale Spreitenbach-Dietlikon eine Nachttischlampe kaufen möchte, ohne selbst dorthin fahren zu müssen. Genau das ist über die kollaborative Web-Plattform «BringBee» seit kurzem möglich.
IKEA ist der erste grosse Partner des im
Januar gegründeten ETH-Spin-offs «PolyPort». Über ihr erstes Produkt «BringBee»
lässt sich jemand finden, der ohnehin nach Spreitenbach fährt und bereit ist, den
gewünschten Gegenstand für den Käufer gleich mit zu besorgen. Zudem
verpflichtet er sich für einen kleinen Umweg, um den Einkauf beim Endkunden abzuladen.
Dafür sollen 15 Prozent der Warenkosten plus eine Pauschale von fünf Franken an
den Fahrer gehen. Der geleistete Beitrag zum verminderten Verkehrsaufkommen und
zur Reduktion von CO2-Emissionen soll zusätzliche Zufriedenheit schaffen. PolyPort verlangt für die Vermittlung eine Gebühr von vier
Franken. Der Dienst ist insbesondere für den Transport von kleinen und
günstigen Artikeln interessant, für die IKEA heute keine Lieferoption anbietet.
Nach ersten Prognosen des Spin-offs soll mit dem Service 20'000 Tonnen CO2
pro Jahr eingespart werden. Geht es nach den vier Machern von PolyPort, so gehört solchen
Logistiksystemen, die auf dem Prinzip des «crowd sourcing» beruhen, bald die Zukunft. Ihre Vision kommt gut an: PolyPort
gehört zu den Finalisten mehrerer Start-up-Wettbewerbe und wird vom WWF
unterstützt.
Interessante Daten für Verkehrsforschung
CEO des jungen Start-ups ist Stella
Schieffer. Sie «studierte» den Verkehr im wahrsten Sinne des Wortes: Anfang 2012
schloss sie ihren Master am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme
(IVT) der ETH Zürich ab. Dort modellierte sie unter anderem das
Verkehrsverhalten von Individuen, vor allem mit dem agentenbasierten
Verkehrssimulationsmodell «MATSim» (siehe ETH Life vom
29.05.08). Das
Verständnis von Verkehrsflüssen und ihr Know-how beim Simulieren von unterschiedlichen
Verkehrsszenarien kommen ihr bei PolyPort zugute. Bis heute arbeitet Schieffer
eng mit dem Institut zusammen und in
Zukunft sollen die anonymisierten Daten zum Verkehrsverhalten der PolyPort-Nutzer
diesem zur Verfügung stehen.
Kundenprofile und Angaben zur Motivation für die Nutzung des Systems sind für die Forschung äusserst interessant. Zum Beispiel könnte damit der Frage nachgegangen werden, wie weit ein Umweg sein darf, damit sich noch genügend freiwillige Fahrer für den Mitbringservice finden lassen. Die Daten könnten auch als Basis für ein Doktorat dienen, um theoretische Modelle zu verbessern. Von diesen würde PolyPort wiederum profitieren, wenn es darum geht, das eigene Preismodell zu verfeinern oder die Dienstleistung geographisch auszudehnen.
Erste Erfolge mit Bio-Kartoffeln
Ein erster Pilot zum besseren Verständnis des Nutzerverhaltens lief zwischen November 2011 und Januar 2012 für den Transport von Bio-Bergkartoffeln auf der Strecke zwischen Einsiedeln und Zürich. Unter der Woche fahren bis zu 30'000 Autos entlang des Zürichsees an Einsiedeln und Schindellegi vorbei. Die meisten davon haben freie Transportkapazitäten. Wer sich bei PolyPort für den Transport von Kartoffeln meldete, erhielt pro Fahrt mindestens zehn Franken; zudem wurden die CO2-Emissionen der Fahrt über myclimate kompensiert.
Schieffer erzählt, dass mit dem Pilot zwar erst wenige Fahrten realisiert werden konnten, die Begeisterung bei den Nutzern jedoch gross war, und der PolyPort-Service alle Beteiligten zufrieden stellte. Zugleich gelangte der Spin-off damit zu einem prominenten Auftritt im Schweizer Fernsehen. Gerechnet hätte sich das «Kartoffel-Taxi» jedoch nicht, erzählt Schieffer. «Erst wenn es uns gelingt, mehrere hundert Fahrten täglich zu koordinieren, wird ein solches System auch wirtschaftlich interessant.»
Längerfristig soll PolyPort jedoch für KMU eine interessante Alternative zu herkömmlichen Transportunternehmen und dem Postversand sein. Vor allem für die «letzte Meile»; also die Auslieferung in den Haushalt des Kunden. «Das ist praktisch, weil man nichts verpacken muss; günstig, weil der Fahrer sowieso unterwegs ist und umweltverträglicher als herkömmliche Transporte», zählt Schieffer die Vorteile auf. Weitere potenzielle Kunden könnten auch Online-Verkaufsplattformen wie Ricardo oder Ebay sein. In diesem Jahr konzentriert sich die junge Unternehmensgründerin aber voll und ganz auf den ersten grossen Partner IKEA; denn nun beginnt die kritische Phase: Wenn das System erst einmal erfolgreich ist, könne dieses auf alle erdenklichen Bereiche und Regionen ausgedehnt werden, ist die Jungunternehmerin überzeugt.
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