Veröffentlicht: 24.01.13
Science

Verdrängte einheimische Arten sterben doch aus

ETH-Ökologie-Professor Jonathan Levine konnte zeigen, dass invasive Pflanzen entgegen anderslautenden Forschungsresultaten ihre einheimischen Konkurrenten über lange Zeiträume sehr wohl zum Aussterben bringen können. Das ist vor allen für den Artenschutz relevant.

Maja Schaffner
Zierlicher Konkurrent: Eingeschleppter Wilder Hafer (Avena fatua) bedrängt in Kalifornien einheimische Pflanzenarten. (Bild: flickr.com /rowanandoak)
Zierlicher Konkurrent: Eingeschleppter Wilder Hafer (Avena fatua) bedrängt in Kalifornien einheimische Pflanzenarten. (Bild: flickr.com /rowanandoak) (Grossbild)

Fremde Pflanzen, die sich in neuen Gebieten oder auf anderen Kontinenten vermehren und dort auf Kosten der einheimischen Arten ausbreiten, sind heute relativ häufig. Bisherige Forschungsergebnisse zeigten, dass diese sogenannten invasiven Arten die angestammten Pflanzen meist auf Flächen zurückdrängen, die für die Eindringlinge nicht zugänglich sind. Dass lokale Arten deswegen aussterben, konnten Forscher allerdings kaum nachweisen.

Nun haben zwei Ökologen – Benjamin Gilbert, Assistenzprofessor am Departement of Ecology & Evolutionary Biology der University of Toronto und Jonathan Levine, Professor am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich – mit Hilfe eines Modells untersucht, wie es den alteingesessenen Pflanzen bei Invasionen von gebietsfremden Arten ergeht. Sie wollten wissen, ob die einheimischen in ihren kleinen, voneinander getrennten, teilweise weit voneinander entfernten und unregelmässig verteilten Rückzugsorten tatsächlich auf lange Sicht überleben. In ihrer neusten Publikation zeigen die beiden Forscher, dass einige der zurückgedrängten einheimischen Pflanzenarten langfristig wahrscheinlich aussterben werden.

Inseln schrumpfen

Die Forscher untersuchten diese Vorgänge in einem kalifornischen Naturschutzgebiet, wo europäische Gräser die einheimischen Gräser und Kräuter bereits stark zurückgedrängt haben. Die einheimischen Arten können sich nur noch in verstreut im Gelände liegenden steinigen Bereichen halten, welche die Eindringlinge nicht besiedeln können. «Die Invasion schuf isolierte ‹Inseln einheimischer Pflanzen› in einem Meer von Exoten», umschreibt Gilbert den Sachverhalt.

Das Problem: Die Inseln werden stetig kleiner. Sie beherbergen daher auch immer weniger einzelne Pflanzen, die Samen produzieren und dadurch den Fortbestand der Art sicherstellen. Und weil die Inseln stetig schrumpfen, nehmen die Distanzen zwischen ihnen zu. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass Samen von einer Insel zur nächsten gelangen.

Die Forscher stellten zudem fest, dass sich die eingeführten Gräser nicht als Sprungbrett zwischen den Inseln eignen: Viele einheimische Arten nutzten Horste von einheimischen Gräsern, um dort zu keimen, Samen zu bilden und von dort aus geeignete Areale zu besiedeln. Das funktioniert mit den europäischen Gräsern nicht mehr. Diese wirken wie Barrieren zwischen den Inseln, und so gerät die Dynamik von Aussterben und Besiedlung, die in zusammenhängenden Gebieten mehr oder weniger im Gleichgewicht ist, durcheinander - und tendiert allmählich in Richtung Aussterben.

Modell sagt Aussterben voraus

Das grösste Problem für die Ökologen, die solche Zusammenhänge erforschen, ist, dass diese Entwicklungen aus menschlicher Sicht über sehr grosse Zeiträume ablaufen. Die Wissenschaftler können diese deshalb nicht durch in Feldstudien gesammelte Daten verfolgen. Deshalb erarbeiteten Levine und Gilbert auf der Basis der in Kalifornien erhobenen Daten ein Vorhersage-Modell.

Mithilfe ihres Modells ermittelten sie die Bedingungen, unter denen ausgewählte Arten des untersuchten Gebiets über kurz oder lang aussterben werden. Konkret sagen sie voraus, dass Arten, die in weniger als zehn Prozent ihres theoretisch möglichen Verbreitungsgebietes tatsächlich vorkommen, mit grosser Wahrscheinlichkeit langfristig aussterben werden.

Noch Zeit für Gegenmassnahmen

Dass irgendwelche Wildkräuter wahrscheinlich in den nächsten Jahrhunderten aussterben werden, scheint auf den ersten Blick wenig besorgniserregend. Viele Arten sind jedoch zusätzlich vom Klimawandel betroffen. Um fortbestehen zu können, sind sie darauf angewiesen, dass sie ihre Verbreitungsgebiete verschieben können. Besiedeln die betroffenen Pflanzen aber Lebensräume mit invasiven Pflanzen, gestaltet sich dieser Ortswechsel noch schwieriger als sonst. Das verstärkt die Auswirkungen der Invasion unter Umständen enorm.

Levine kann seinen Resultaten aber auch Positives abgewinnen: «Die gute Nachricht ist: Wir haben noch Zeit, die Arten zu schützen.». Der ETH-Professor hält verschiedene Massnahmen für Erfolg versprechend: Klare Priorität hat, zu verhindern, dass invasive Arten weiterhin in fremde Gebiete umgesiedelt werden. Für den Fall, dass der Schaden bereits angerichtet ist, schlägt Levine vor, gewisse Areale ganz von den Eindringlingen zu befreien. Bei Experimenten von Levine und Gilbert wuchsen die kalifornischen Pflanzen auf den von fremdem Gras befreiten Flächen jedenfalls ausgezeichnet. Zusätzlich lassen sich mit den Resultaten von Levine und Gilbert geeignete Renaturierungsgebiete für bestimmte Pflanzen auswählen und die notwendige Grösse und Lage der Rückzugsinseln darin beurteilen.

Literaturhinweis

Gilbert B, Levine JM. Plant invasions and extinction debts. PNAS. Published online before print January 7, 2013, doi: 10.1073/pnas.1212375110

 
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