Veröffentlicht: 29.10.12
Science

Schadinsekten mit Bakterien bekämpfen

Pseudomonas-Bakterien sind wirksame Gegenspieler von über den Boden übertragbaren Pflanzenkrankheiten. Nach einem Zufallsfund in ihrem Genom untersuchen Forschende der ETH Zürich und der Universität Lausanne nun eine bisher unbekannte Eigenschaft der Bakterien: die Fähigkeit, Schadinsekten zu töten.

Maja Schaffner
ETH-Forscher entdeckten, dass Pseudomonas-Bakterien auch Schadinsekten wie die Raupen der Kohlmotte (Plutella xylostella) angreifen. (Bild: Olaf Leillinger/Wikipedia)
ETH-Forscher entdeckten, dass Pseudomonas-Bakterien auch Schadinsekten wie die Raupen der Kohlmotte (Plutella xylostella) angreifen. (Bild: Olaf Leillinger/Wikipedia) (Grossbild)

Der Mensch kämpft ständig gegen Schädlinge, die den landwirtschaftlichen Ertrag schmälern oder gar vernichten. Konventionell werden die Schädlinge wie Pilze und Insekten mit verschiedenen Giftstoffen beseitigt, mit resistenten Pflanzen ferngehalten - oder alternativ mit lebenden Organismen bekämpft. Diese sogenannten Biocontrol-Organismen bekämpfen die Schadorganismen aktiv. Sie löschen sie zwar nicht auf einen Schlag aus, halten ihre Zahl jedoch niedrig und damit den Schaden an Nutzpflanzen und Ernte gering. Das ist schonend für Natur, Umwelt und nicht zuletzt für den Menschen. Ein bekanntes Beispiel für Biocontrol-Organismen sind Marienkäfer-Larven, mit denen Blattläusen ganz ohne Gift der Garaus gemacht werden kann.

Bakterien als Pflanzenschutzmittel

Aber auch Bakterien haben die Fähigkeit, Schädlinge unter Kontrolle zu halten. Verschiedene Pseudomonas-Stämme werden wegen dieser Eigenschaft seit rund 40 Jahren systematisch erforscht. Ursprünglich entdeckten Forscher die Bakterien in Böden, wo sie Pilze natürlicherweise unterdrücken. Unterdessen ist sehr viel über die Wirkung der Pflanzenwurzeln besiedelnden Pseudomonas-Stämme bekannt. Pseudomonas-Präparate, die gegen Pilzbefall und ausserdem zur Wachstumsförderung von Pflanzen eingesetzt werden können, sind mittlerweile kommerziell erhältlich.

Irgendwann, erzählt Beat Ruffner, Doktorand am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich, habe es aber nach jahrzehntelanger Forschung so ausgesehen, als sei das Thema biologische Schädlingsbekämpfung mit Pseudomonas fast erschöpft.

Überraschende neue Eigenschaft

Doch alles kam anders. Im Genom von Biocontrol-Pseudomonaden entdeckte Christoph Keel von der Universität Lausanne, mit dem die Biocontrol-Gruppe der ETH eine enge Zusammenarbeit pflegt, etwas Unerwartetes: Der genetische Code dieser Bakterien enthält Gene für Insekten-Toxine. Das heisst, die Bakterien besitzen in ihrem Erbgut sozusagen eine Anleitung zum Giftmischen - gezielt gegen Insekten.

«Das war eine grosse Überraschung», erzählt Ruffner. Denn bis dahin seien die Pseudomonas-Forscher davon ausgegangen, dass ihre Forschungsobjekte ausschliesslich im Boden und in Pflanzenwurzeln vorkommen und dort als konkurrenzstarke Gegenspieler vor allem von Pilzen aktiv sind. Nach weiteren Eigenschaften und Nischen hatten die Forscher vorher schlicht nicht gesucht.

Schadinsekten den Garaus machen

Die Sequenzen im Genom von Pseudomonaden entfachten die Neugier der Forscher. Unter der Betreuung von Monika Maurhofer widmete Ruffner in der Folge seine ganze Doktorarbeit den neu entdeckten Gift-Genen. Als Erster konnte er schliesslich zeigen, dass zwei bestimmte Biocontrol-Pseudomonaden-Stämme (Pseudomonas fluorescens CHA0 und Pseudomonas chlororaphis PLC1391) diese Gene nicht nur im Erbgut enthalten können, sondern mit diesen tatsächlich wirksames Gift gegen Schadinsekten produzieren.

Der ETH-Doktorand testete in Zusammenarbeit mit Syngenta Crop Protection die Gift produzierenden Pseudomonas-Stämme nicht an irgendeinem «Labor-Haustierchen» aus der Klasse der Insekten, sondern konfrontierte drei landwirtschaftlich relevante Schädlinge – alles Schmetterlinge - damit: Einen Liebhaber von Baumwolle (Spodoptera littoralis), einen Kohlschädling (Plutella xylostella) und einen gefrässigen Generalisten, die Amerikanische Tabakeule (Heliothis virescens). Den Raupen dieser drei Arten verfütterte der Forscher entweder eine mit Pseudomonas angereicherte Spezial-Diät oder Blätter, auf welche die Bakterien gesprüht worden waren.

Vielversprechende Wirkung

Die Behandlung hatte durchschlagenden Erfolg: Die Pseudomonaden dezimierten die Raupen deutlich. Je nach Dosis und Art starben innerhalb von wenigen Tagen bis zu 90 Prozent der Insekten. Klassische Biocontrol-Experimente, mit denen die schädlingsbekämpfende Wirkung genau überprüft und unerwünschte Nebenwirkungen auf andere Organismen oder die Umwelt ausgeschlossen werden müssen, fehlen allerdings noch.

Doch Ruffner kann bereits jetzt mit einer positiven Nachricht aufwarten: Hummeln, die in Natur und Landwirtschaft eine wichtige Rolle als Bestäuber spielen, überlebten die unter Laborbedingungen verabreichte Bakterien-Diät. «Hummeln bleiben perfekt gesund!», freut sich der Forscher. Es sieht also vielversprechend aus für die Entwicklung eines Biocontrol-Mittels, das Pflanzen besser wachsen lässt, Pilze hemmt und erst noch Insekten umbringt.

Insekten-Gift gibt frische Impulse

Neben der Aussicht auf eine konkrete Anwendung, hat die Pseudomonas-Forschung durch die insektizide Aktivität neue Impulse erhalten, durch die sich weitere Forschungsfelder eröffnen.

So wird die Forschungsgruppe am Institut für Integrative Biologie untersuchen, wie sich die Gen-Zusammensetzung der Biocontrol-Pseudomonaden über die Zeit veränderte. Wie nehmen die Bakterien beispielsweise neue Gene auf? Wie bauen sie sie ein und wie verändern sie sie bei Bedarf wieder? Selbstverständlich sind die neu erworbenen Eigenschaften und Kombinationen der natürlichen Auslese unterworfen. Und im Glücksfall gelingt es den Pseudomonaden, mit neuen Eigenschaften neue Lebensräume und Nischen zu erschliessen.

Nachwuchsforscher sind bereit

Ruffner gelangt langsam ans Ende seiner Doktorarbeit. Den Grundstein für die nächste Forschergeneration hat er bereits gelegt: Im jährlichen Institutspraktikum betreut er jeweils «frische und unverbrauchte» Studierende. Diese, berichtet er sichtlich zufrieden, stellten jeweils einen Haufen ketzerische Fragen und hätten viele gute Ideen. So auch in jenem Jahr, als sie ihm sein Dissertationsprojekt - die damals noch unerklärlichen Insektengift-Gene - zerpflückten und ihn fragten, ob die Forscher denn überhaupt schon einmal nachgeschaut hätten, wo Pseudomonaden ausser im Boden denn sonst noch überall vorkommen?

Nachgeschaut hatte Ruffner bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht. Doch das änderte sich am selben Nachmittag. Der Doktorand ging mit den motivierten Jungforschern schnurstracks nach draussen. Sie untersuchten alles vom Abwasser über Blätter, Moos, Regenwürmer, Fische, Egel und Insekten auf Pseudomonas. Und sie wurden fündig: Beispielsweise im Abwasser, auf Blättern und in Insekten fanden sie die umtriebigen Bakterien. Als Anerkennung durften die Studierenden die von ihnen neu gefundenen vier Stämme, die zwei bekannten Arten zugeordnet werden konnten, offiziell benennen. Spätestens seit dieser Aktion ist klar, dass Pseudomonas’ Nische nicht so eng ist, wie früher angenommen. Und, dass das Forschungsgebiet noch lange nicht erschöpfend erforscht ist.

Literaturhinweis

Ruffner B, Péchy-Tarr M, Ryffel F, Hoegger P, Obrist C, Rindlisbacher A, Keel C and Maurhofer M. Oral insecticidal activity of plant-associated pseudomonads. Environmental Microbiology (2012). Published online 3rd October. doi: 10.1111/j.1462-2920.2012.02884.x

 
Leserkommentare: