Veröffentlicht: 18.10.12
Science

Virus nutzt Abfallsystem der Zelle aus

ETH-Forscher zeigen auf, dass das Vaccinia-Virus die Abfallentsorgung der Wirtszelle so geschickt manipuliert, dass diese dem Eindringling sogar bei der Vermehrung hilft. Nun haben die Virologen auch einen Weg gefunden, um das Abfallsystem und damit die Virusinfektion zu blockieren.

Peter Rüegg
Das Vaccinia-Virus nützt geschickt das Abfallsystem der Zelle aus, um sich zu vermehren. (Bild: Sanofi Pasteur / flickr.com)
Das Vaccinia-Virus nützt geschickt das Abfallsystem der Zelle aus, um sich zu vermehren. (Bild: Sanofi Pasteur / flickr.com) (Grossbild)

Über die Jahre haben Forschende um ETH-Professor Ari Helenius aufgeklärt, mit welchen Tricks und Taktiken Viren in Zellen eindringen und sie für ihre eigene Vermehrung und Verbreitung ausnützen. Wegen seiner jüngsten Publikation ist Jason Mercer, Oberassistent am Institut für Biochemie ziemlich aufgeregt. In Zusammenarbeit mit Berend Snijder und Kollegen von der Universität Zürich hat Mercer ein Paper veröffentlicht, das mit unerwarteten und komplett neuen Erkenntnissen über das Eindringen von Viren in menschliche Zellen aufwartet.

«Wir haben zum ersten Mal einen Mechanismus aufzeigen können, mit dem ein Virus das Abfallsystem der Zelle ausnützt, um die Freisetzung viraler DNS zu erleichtern, sodass die Zelle diese vervielfältigt und dazu verwendet, neue Virenpartikel zu bilden», sagt er. Dazu haben es die Forscher geschafft, die Freisetzung der Viren-DNS in der Zelle zu blockieren – mit einem Medikament, das auf dem Markt zugelassen ist. Als Modellsystem haben die Forscher das Vaccinia-Virus verwendet, das einst als Impfstoff gegen Pocken eingesetzt wurde

Vollständiges Protein-Inventar

Bei einer Infektion kommunizieren Viren mit ihrer Wirtszelle. Dabei «missbrauchen» sie einen bestimmten Satz zelleigener Proteine welche dem Virus beim Durchlaufen seines Lebenszyklus helfen.

Bei diesen Proteinen haben die Forscher um Jason Mercer angesetzt. In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Universitätsprofessor Lucas Pelkmans haben sie diejenigen Proteine bestimmt, die das Vaccinia-Virus für eine erfolgreiche Infektion braucht. Die Idee: Kennt man die «Helfer», kann man gezielt neue Strategien entwickeln, um die Infektion zu stoppen.

Um diese Proteine zu bestimmen, haben die Forscher ein RNS-Interferenz-Screening an 7000 menschlichen Genen, die in die Infektion involviert sein könnten, durchgeführt. Mit dieser Technologie wird jedes Einzelne der getesteten Gene mittels einer passenden RNS-Sequenz «stillgelegt», um zu erkennen, ob und in welchem Stadium dieses in die Infektion eingebunden ist. Aus den 7000 Kandidaten filterten die Forscher letztlich 188 Gene beziehungsweise deren dazugehörige Proteine heraus, die bei der Infektion mit dem Vaccinia-Virus eine Rolle spielen.

Ausgetrickstes Abfallsystem

Basierend auf den Wechselwirkungen mit anderen Proteinen und ihren Funktionen, fassten die Forscher die gefundenen Moleküle in Gruppen zusammen. Dabei stach eine besonders hervor: das Müllentsorgungssystem der Zelle. Dazu gehören das kleine Molekül Ubiquitin, eine molekulare Abfallmarke, und das so genannte Proteasom, ein Shredder, der den mit Ubiquitin markierten Molekülmüll in der Zelle beseitigt.

Zu ihrer Überraschung haben die ETH-Forscher entdeckt, dass das Virus die zelluläre Müllabfuhr für seine Zwecke ausnutzt, indem es seine Proteinhülle während der Virenherstellung reichlich mit Ubiquitin markieren lässt. Beim Eindringen in die Zelle wird dadurch das Proteasom auf den Plan gerufen, welches die Hülle aus über 40 verschiedenen Proteinen abbaut – und damit die genetische Information des Virus‘ freisetzt. Die Viren-DNS wird schliesslich in der Zelle vervielfältigt, neue Virenpartikel zusammengesetzt.

Die Erkenntnis, dass Viren das Abfallsystem der Zelle auf diese Weise ausnützt, ist neu. «Im Prinzip stiehlt das Virus der Zelle ihre eigenen Abfallmarken», erklärt Mercer. Die Zelle könne aber ihr Proteasom nicht einfach loswerden oder abschalten, da sonst die Abfallentsorgung, ein essenzieller Vorgang für die Zelle, nicht mehr funktioniere und sie von Abfall überflutet werde.

Protein-Shredder hemmen

Der amerikanische Forscher und Erstautor einer «Cell»-Publikation, die soeben erschienen ist, sagt, dass es nur dank der neuen Technologie möglich geworden sei, eine derart grosse Zahl von möglichen Genen gleichzeitig zu testen. «Das Screening mit hohem Durchsatz hat zu detaillierten neuen Erkenntnissen in der Zellbiologie von Virusinfektionen geführt», betont er.

Dieses Screening kann auch helfen, Wirkstoffe zu finden, die diejenigen zelleigenen Proteine hemmen, welche der Virus für die Infektion braucht. Legten die Forscher das Proteasom mit einem Hemmstoff still, konnte es die Virenhülle nicht mehr knacken. «Der Hemmstoff für das Proteasom ist äusserst wirksam. Blockiert man es damit, kommt die DNS nie aus dem Virus heraus», macht Mercer klar. Andere Forscher haben überdies gezeigt, dass die Proteasomen auch für die Virus-Vervielfältigung zwingend nötig sind. Mit der Proteasom-Blockade stellt man das Virus vor eine Reihe unlösbarer Probleme. So kann es weder seine DNS befreien noch deren Vervielfältigung starten. Dem Vaccinia-Virus wird es schliesslich unmöglich, Nachkommen zu generieren.

Krebsmedikament könnte Virentherapie werden

Die Proteasom-Blockade ist nicht unbekannt: Bei einem bösartigen Knochenkrebs, dem Multiplen Myelom, wird das Medikament Velcade, auch Bortezomib genannt, verwendet. Bortezomib besetzt die aktive Stelle des Proteasoms und schaltet es damit aus. Die Krebszellen sterben daraufhin ab. Mercer kann sich deshalb vorstellen, Velcade auch gegen Viren einzusetzen, die auf das Proteasom angewiesen sind. Das Medikament hat allerdings starke Nebenwirkungen, gerade weil es die zelleigene Abfallentsorgung ausser Betrieb setzt.

«Das Proteasom aus dem Verkehr zu ziehen, könnte eine generelle Strategie sein, um neben Pockenviren auch andere DNS-Viren, die auf das zelluläre Abfallwesen angewiesen sind, etwa Herpes, zu bekämpfen», sagt der Oberassistent. Da die Proteasom-Blockade auf eine zentrale Zellfunktion und nicht auf das Virus direkt abzielt, dürfte es dem Virus schwerfallen, sich daran anzupassen. Mercer hält es deshalb für unwahrscheinlich, dass das Virus Resistenzen gegen einen möglichen Proteosom-Inhibitoren entwickelt.

Literaturhinweis

Mercer J, Snijder B, Sacher R, Burkard C, Bleck CKE, Stahlberg H, Pelkmans L & Helenius A. RNAi screening reveals proteasome- and Cullin3-dependent stages in vaccinia virus infection. Cell Report, published online 18th October 2012. DOI:10.1016/j.celrep.2012.09.003

 
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