Veröffentlicht: 10.10.12
Science

Sensoren in der Zellmembran

Der diesjährige Nobelpreis in Chemie ist für die Entdeckung von Rezeptoren an der Oberfläche von Zellen vergeben worden. Preisträger sind die beiden Amerikaner Brian Kobilka und Robert Lefkowitz. Einschätzungen von Experten der ETH Zürich.

Fabio Bergamin und Peter Rüegg
Darstellung eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors (blau), an den sich ein Hormon (gelb) angelagert hat. Auf der Innenseite der Membran (graue Doppelkopfreihe) dockt das G-Protein, bestehend aus drei verschiedenen Untereinheiten, an. (Illustration: www.nobelprize.org)
Darstellung eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors (blau), an den sich ein Hormon (gelb) angelagert hat. Auf der Innenseite der Membran (graue Doppelkopfreihe) dockt das G-Protein, bestehend aus drei verschiedenen Untereinheiten, an. (Illustration: www.nobelprize.org) (Grossbild)

Wie nehmen wir Gerüche und Aromen wahr? Worauf beruht unsere Sehfähigkeit? Wie kommunizieren die Milliarden von Zellen unseres Körpers? Und wie kommt es, dass wir auf Hormone reagieren, dass beispielsweise unser Herz zu rasen beginnt, wenn wir Angst haben und als Folge davon das Hormon Adrenalin ausgeschüttet wird? Dies alles hat mit Zelloberflächenrezeptoren zu tun. Zwei amerikanische Wissenschaftler, die massgeblich zur Entdeckung und Beschreibung dieser biologischen Sensoren beigetragen haben, werden dieses Jahr mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet: Brian Kobilka von der Stanford University und Robert Lefkowitz von der Duke University.

Robert Lefkowitz hat Ende der 1960er-Jahre den ersten solchen Rezeptor entdeckt: einer, mit der Körperzellen das Hormon Adrenalin «wahrnehmen» können. Dieser Rezeptor ist ein Protein, das die Zellmembran durchspannt. Lagert sich ausserhalb der Zelle ein Adrenalin-Molekül an den Rezeptor an, ändert sich seine Gestalt, was sich letztlich auf die Anordnung und den Zusammenhalt mehrerer weiterer Proteine im Zellinnern auswirkt. Es sind solche Änderungen, die einer Körperzelle signalisieren, dass in ihrer Umgebung Adrenalin vorhanden ist.

Ausgesprochen grosse Rezeptorfamilie

Wie sich in den darauffolgenden Jahrzehnten gezeigt hat, ist der Rezeptor für Adrenalin nicht der einzige, der nach diesem Prinzip funktioniert. Vielmehr ist eine grosse Zahl von Zellrezeptoren in unserem Körper gleich aufgebaut – rund 800 an der Zahl. Wissenschaftler nennen sie G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR). Auch die Rezeptoren für Gerüche und Aromen in der Nase und im Gaumen sowie für wichtige Botenstoffe im Gehirn sind solche GPCR. So wird auch unser Gemüt und unsere Wahrnehmung der Welt von solchen Rezeptoren beeinflusst. Zudem funktionieren die Sehrezeptoren in der Netzhaut unserer Augen auf diese Weise.

«GPCR sind sowohl für die Lebensvorgänge in unserem Organismus als auch für die Medizin absolut zentral», sagt Hanns Ulrich Zeilhofer, Professor für Pharmakologie und Toxikologie an der ETH und Universität Zürich. So wirken je nach Schätzung ein Drittel bis die Hälfte der heute verwendeten Medikamente auf diese Rezeptoren. Morphin bespielsweise regt hemmende Rezeptoren an, Betablocker hingegen blockieren Rezeptoren und unterdrücken damit die Aktivierung von Zellen.

In Fachkreisen erwartet

Zeilhofer untersucht die Übertragung von Nervensignalen an den Synapsen, den Verbindungsstellen von Nervenzellen. «Auch diese Vorgänge werden durch solche Rezeptoren reguliert», sagt er. Überrascht hat ihn der Nobelpreis an die beiden Amerikaner nicht. «Dass für die Entdeckung der GCPR ein Nobelpreis vergeben wird, ist in Fachkreisen längst erwartet worden. Überrascht hat mich eher, dass er in Chemie vergeben wurde und nicht in Medizin oder Physiologie.»

Nicht nur Zeilhofer, auch Ursula Quitterer, Professorin für Molekulare Pharmakologie an der ETH und Universität Zürich freut sich, dass Lefkowitz und Kobilka mit einem Nobelpreis gewürdigt werden. «Die Arbeit der beiden Wissenschaftler ist auch für unsere Arbeitsgruppe eine essenzielle Grundlage», sagt sie. Die Arbeit sei wichtig, um die Mechanismen von Herzkreislauferkrankungen zu entschlüsseln und um neue Medikamente dagegen zu entwickeln.

ETH-Professor an Strukturaufklärung beteiligt

Robert Lefkowitz‘ Labor sei seit der Entdeckung des ersten Adrenalin-Rezeptors weltweit führend auf dem Gebiet, sagt Quitterer. Lefkowitz habe fast 40 Jahre lang zentrale Entwicklungen initiiert und stimuliert. Er habe das Gebiet der GPCR zu einem der erfolgreichsten Themengebiete der Pharmakologie gemacht. «Wenn man sich heute dieses Forschungsgebiet anschaut, sieht man viele Professoren, die irgendwann einmal in Lefkowitz‘ Labor waren», sagt auch Gebhard Schertler, Professor für Strukturbiologie an der ETH Zürich und am Paul-Scherrer-Institut (PSI). Viele der Wissenschaftler, die er ausgebildet habe, hätten später eigene Arbeitsgruppen gegründet.

Brian Kobilka, der zweite der beiden diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger, ist einer von ihnen. Er stiess in den Achzigerjahren zu Lefkowitz‘ Gruppe. Die beiden Forscher haben als erste die Gensequenz eines Adrenalin-Rezeptors entschlüsselt. Und gemeinsam mit Gebhard Schertler – der damals noch nicht an der ETH und am PSI war – ist es Kobilka 2007 gelungen, erstmals die Struktur eines pharmakologisch bedeutenden GPCR aufzuklären. «Kobilka ist ein fantastischer Wissenschaftler mit Ausdauer und klarer Strategie. Er ist auch ein guter Mentor und Motivator für seine Mitarbeiter,» sagt Schertler, der mit Kobilka befreundet ist. «Ich freue mich sehr über seine wohlverdiente Ehrung.»

Durch den Nobelpreis dürfte das Forschungsfeld weiter Auftrieb erhalten, schätzt Schertler. Das Potenzial für weitere, auf GPCR wirkende Medikamente sei riesig. Der Strukturbiologe arbeitet auf diesem Gebiet mit mehreren Schweizer Pharmafirmen zusammen. Psychische Erkrankungen, Parkinson, Altersdiabetes oder Fettleibigkeit seien nur einige Beispiele für mögliche zukünftige Anwendungsgebiete von GPCR-basierten Medikamenten.

 
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