Veröffentlicht: 11.09.12
Science

Eisige Heiligenscheine

ETH-Forscher entdeckten bei gefrierenden Wassertropfen ein bisher unbekanntes Phänomen: Beim Vereisen bilden sich rund um die Tropfen geheimnisvolle Ringe. Diese können andere Tropfen nach dem Dominoprinzip zum Gefrieren bringen.

Maja Schaffner
Ein «Halo» bildet sich um einen gefrierenden Wassertropfen (mikroskopische Aufnahme). (Bild: Stefan Jung / ETH Zürich)
Ein «Halo» bildet sich um einen gefrierenden Wassertropfen (mikroskopische Aufnahme). (Bild: Stefan Jung / ETH Zürich) (Grossbild)

Stefan Jung, Forscher am Labor für Thermodynamik in neuen Technologien, schaute während seiner Doktorarbeit unzähligen Wassertropfen beim Gefrieren auf kalten Oberflächen zu. Er beobachtete und filmte mithilfe eines Mikroskops und einer Hochgeschwindigkeitskamera, wie die Tropfen zu Eis erstarrten. Dass sie dabei zwei Phasen durchlaufen, wusste er bereits: In einer ersten, explosionsartig schnellen Phase bildet sich im Innern des Tropfens innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde eine Art Eisgerüst. Darauf folgt eine rund 1000-mal langsamere zweite Phase, in der der Tropfen von der Oberfläche her, auf der er sitzt, durchfriert. Eines Tages fiel Jung etwas Neues auf: Die Kamera hatte eingefangen, wie sich auf der Unterlage rund um den gefrierenden Wassertropfen ein heller Ring bildete. Das faszinierende Phänomen nannten die Forscher aus der Gruppe von Dimos Poulikakos, Professor für Thermodynamik und Leiter des Forschungsprojektes, «Halo», was auf Deutsch auch mit «Heiligenschein» übersetzt werden kann.

Auf das Material kommt es an

Jung und sein Kollege Manish Tiwari untersuchten die Ringe in der Folge sehr genau. Dazu beobachteten sie weitere Wassertropfen, die am Anfang der Experimente minus 14 Grad Celsius kalt, aber noch flüssig waren. Diesen Zustand bezeichnen die Forscher als «unterkühlt». Sie wiesen nach, dass die Temperatur der Wassertropfen in der ersten, schnellen Phase des Gefrierens rasant auf null Grad Celsius ansteigt. «Bei diesem Vorgang gibt der Tropfen einerseits Wärme und andererseits eine geringe Menge Wasserdampf an die Umgebung ab», erläutert Dimos Poulikakos. Kondensiert der Dampf auf der kalten Oberfläche rund um den Tropfen, bildet sich der runde Teppich aus Mikrotröpfchen.

Entweder verdunstet dieser Halo danach rasch wieder, oder er gefriert vom Ursprungstropfen her zu einer Art ringförmiger Eisblume. Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, hängt das Schicksal des Halos neben verschiedenen Umweltfaktoren wie der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit auch vom Material der Oberfläche ab, auf der der Tropfen sitzt: Ist die Oberfläche gut wärmeleitend, wie zum Beispiel Kupfer, verdunstet der Ring aus Mikrotröpfchen. Hat die Oberfläche eine geringe Wärmeleitfähigkeit, wie beispielsweise Plexiglas, vereist der Halo.

Gefrieren ist ansteckend

Die dekorativen Ringlein könnte man nach dem Motto «hübsch aber harmlos» als vernachlässigbar abtun. Doch damit würde man ihrer Bedeutung nicht gerecht. Die Forscher beobachteten nämlich, wie sich nebeneinanderliegende Tropfen via Halos beim Vereisen gegenseitig ansteckten. Auf Filmaufnahmen der Forscher ist zu sehen, wie ein erster Tropfen nach der Berührung mit einem Eiskristall sofort zu gefrieren beginnt und sich ein Halo bildet, der von innen her vereist. Berührt dieser Eisring einen Nachbartropfen, gefriert auch dieser und bildet seinerseits einen Halo.

Durch diesen Dominoeffekt können ganze Flächen rasch vereisen. Bei der Bildung von glitzerndem Reif auf Herbstblättern ist der Vorgang harmlos, nicht aber beim Vereisen von Flugzeugtragflächen. Setzt sich auf Letzteren beim Durchqueren von Wolken ein Heer von unterkühlten Flüssigkeitströpfchen fest, kann dies zu grossflächigen Vereisungen führen, die die Flugfähigkeit des Flugzeugs beeinträchtigen können.

Spezielle Oberflächen gegen Eisbildung

Nichts liegt näher, als die neu gewonnenen Erkenntnisse praktisch einzusetzen, beispielsweise bei der Entwicklung von neuen Oberflächen, die der Eisbildung entgegenwirken. Speziell wasserabstossende Oberflächen gibt es bereits. Solche, die der Eisbildung bei tiefen Temperaturen entgegenwirken, jedoch noch nicht. Genau so wenig solche, die beide Eigenschaften in sich vereinen.

Mit der Entwicklung solcher Oberflächen wird sich das Forscherteam in Zukunft beschäftigen, erklären die Wissenschaftler. «Momentan ist es noch ein Traum», sagt Manish Tiwari, «ein Traum von einer multifunktionalen Oberfläche, die auf Feuchtigkeit, Eis und Schmutzpartikel gleichermassen abweisend wirkt». Die Forscher arbeiten an der Realisierung dieses Traums.

Literaturhinweis

Jung S, Tiwari MK, Poulikakos D: Frost halos from supercooled water droplets. Proceedings of the National Academy of Sciences, 2012, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1073/pnas.1206121109