Veröffentlicht: 01.06.12
Science

Mein Smartphone, mein Schutzengel

Um die Rettung von Wanderern und Tourenfahrern zu beschleunigen entwickelt der ETH-Spin-off «Uepaa Swiss Alpine Technology» eine intelligente App. Sie ermöglicht Notrufe innerhalb einer digitalen «Wolke», ohne dass dafür eine Netzverbindung nötig wäre.

Samuel Schläfli
Mathias Haussmann (l.) und Franck Legendre wollen mit ihrer Smartphone-App die Bergrettung revolutionieren. (Bild: Alessandro Della Bella)
Mathias Haussmann (l.) und Franck Legendre wollen mit ihrer Smartphone-App die Bergrettung revolutionieren. (Bild: Alessandro Della Bella) (Grossbild)

Die besten Ideen entstehen nicht am Schreibtisch oder im Labor, sondern draussen in der Natur. Das wusste schon Adolf Ogi, der seine Bundesratskollegen regelmässig zum Wanderausflug antrieb. Und das weiss auch Mathias Haussmann, CEO des ETH-Spin-offs «Uepaa Swiss Alpine Technology».

Der leidenschaftliche Skifahrer ging im November 2010 auf die Suche nach einem unbefahrenen Pulverschnee-Hang, wie er das im Winter oft tut. Doch etwas hatte sich verändert: Aus der Geburt seines ersten Sohns war in Haussmann das Bedürfnis nach mehr Sicherheit gewachsen. Er tat sich also in der Gondel mit anderen, ihm noch unbekannten Freeridern zusammen, weil die Chance einer erfolgreichen Rettung in der Gruppe wesentlich höher ist als alleine. Und er hatte einen Geistesblitz: Wäre ein ähnlicher Ad-hoc-Zusammenschluss nicht auch über Smartphones möglich, die heute viele Ski- und Snowboardfahrer bei sich haben? Und könnte man die Smartphones nicht auch gleich als Lawinensuchgerät einsetzen?

Heute weiss Haussmann: Beides ist möglich. Der Idee entschlüpfte der Spin-off «Uepaa Swiss Alpine Technology», der mittlerweile sechs Mitarbeiter beschäftigt, als Aktiengesellschaft soeben mit 1,5 Millionen Schweizerfranken kapitalisiert wurde und mehrere Start-up-Preise gewonnen hat.

Rettung dank epidemischer Informationsverbreitung

Eine gute Idee macht noch kein Unternehmen. Nach seinem ideenreichen Skiausflug begann Haussmann deshalb abzuklären, ob es für das System, das ihm vorschwebte, überhaupt einen Markt gibt. Er kontaktierte Experten der Rega, der Alpinen Rettung Schweiz, des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos und vertiefte sich in Marktuntersuchungen. Dabei erfuhr er, dass nicht nur Freerider im Winter, sondern auch Schneeschuhläufer und Wanderer im Sommer sich nach mehr Sicherheit und verlässlicherer Rettung sehnten.

9000 Bergunfälle ereigneten sich alleine im Jahr 2009 in der Schweiz. Die Bergretter beklagten sich dabei oft über die späte Benachrichtigung von Vermissten und die schwierige Lokalisierung von Verunfallten. Haussmann machte sich daraufhin auf die Suche nach der nötigen Technologie, respektive Experten im Bereich der Informationsverbreitung zwischen Smartphones. Sie führte ihn am Ende zur Communication Systems Group an der ETH Zürich, die ihm in der Entwicklung solcher Systeme am weitesten fortgeschritten schien.

Er kontaktierte dort Professor Bernhard Plattner und Franck Legendre, der seit 2006 an epidemischen Verbreitungssystemen arbeitet (siehe ETH Life vom 19.06.08). Letzterer hatte «Podnet» mitentwickelt, ein Peer-to-peer-System, über das Podcasts, Youtube-Videos oder andere digitale Inhalte zwischen Smartphones ausgetauscht werden können. Sobald sich zwei Podnet-Nutzer nahe genug sind, beginnt der Austausch der gewünschten Inhalte über ein eigens dafür geschriebenes Protokoll. Eine Art intelligenter, automatisierter Tauschmarkt in der vielbeschworenen digitalen «Cloud».

Die beiden reichten im Sommer 2011 ein KTI-Projekt ein, um Podnet für die praktische Anwendung bei Uepaa zu adaptieren und zu skalieren und gründeten einen Start-up. Im Frühjahr 2012 begannen sie mit dem KTI-Projekt, in dessen Rahmen auch Semester- und Masterarbeiten an der ETH Zürich ausgeschrieben werden.

Notruf auch ohne Netzverbindung

2013 soll die erste Uepaa-App für iPhone- und Android-Smartphones lanciert werden. Wer die App auf sein Smartphone heruntergeladen hat, wird automatisch Teil eines Systems sein, indem Daten direkt zwischen den App-Nutzern ausgetauscht werden. Dies sobald sich diese auf 300 Meter annähern – ähnlich dem Podcast-Austausch bei Podnet.

Diese Übertragung hat den grossen Vorteil, dass verunglückte Wanderer oder Skifahrer auch ohne Netzanbindung einen Notruf auslösen können. Das Signal wird nämlich zwischen Uepaa-Nutzern soweit übertragen, bis wieder ein Netz verfügbar ist, über welches der Notruf an Uepaa gesendet werden kann. Natürlich funktioniert dies besser, je mehr Alpinisten die App auf ihr Smartphone installiert haben und sich diese zugleich im selben Gebiet befinden.

Haussmann relativiert jedoch, dass mit Verzögerung alle Informationen in der Zentrale ankommen, selbst wenn temporär kein Nutzer in Reichweite ist. Das System wartet einfach, bis das Absetzen der Daten gelingt. Ist dies nicht der Fall, so profitiert der Verunfallte noch immer davon, dass er für Helikopter über ein WLAN-Signal bis zu einem Kilometer Flughöhe registrierbar ist.

Selbstauslöser für Notrufsignal

Doch was nützt mir die epidemische Verbreitung eines Notrufs, könnte man sich fragen, wenn ich diesen nicht mehr auslösen kann? Zum Beispiel, weil ich einen Hang hinuntergerutscht und bewusstlos bin. In dem Fall soll das Smartphone den Alarm gleich selbst auslösen. Dafür wollen Haussmann und Legendre die eingebauten Bewegungs- und Rotationssensoren nutzen. Sobald das Gerät atypische Bewegungen registriert, fragt es den Träger nach seinem Befinden. Antwortet dieser nicht, so wird die elektronische Kameradenhilfe ausgelöst.

«Oft werden vermisste in den Bergen erst am Abend von Freunden oder der Familie gemeldet, obschon sich der Unfall bereits frühmorgens ereignet hatte», erklärt Haussmann. «Mit unserer App wird die Alarmierung vom Opfer aus direkt und unmittelbar nach einem Unfall in Gang gesetzt.»

Da jedoch Biker, Wanderer und Schneesportler unterschiedliche Bewegungsmuster aufweisen und anderen Risiken ausgesetzt sind, muss der Entscheid für einen Notruf anhand von unterschiedlichen Parametern festgemacht werden. Was beim einen ein verhängnisvoller Sturz ist, kann beim anderen ein gewollter Sprung sein. Unterschiedliche Algorithmen helfen, dies zu trennen. Und durch die Involvierung von Uepaa-Nutzern in der Nähe können unbemerkte Unfälle schnell erkannt, beurteilt und Fehlalarme vermieden werden.

25 Millionen potentielle Kunden

Geld verdienen will das Unternehmen am Ende über den sogenannten «In App – Purchase». Darüber lässt sich zum Beispiel die Lawinensuche oder die Überwachung durch Uepaa für eine bestimmte Dauer selektiv aktivieren. Eine Gratisversion mit eingeschränkten Funktionen soll zudem für jedermann kostenlos zur Verfügung stehen, so dass sich die App so rasch wie möglich verbreitet. Helfen dürfte dabei auch die Zusammenarbeit mit der Rega, die 2,5 Millionen Gönner zählt.

Der Rettungsdienst gewährte dem Start-up bereits eine Anschubfinanzierung. Sobald eine Beta-Version verfügbar ist, will Haussmann zudem weitere mögliche Rettungspartner in ganz Europa kontaktieren, um die App schnellstmöglich auch über die Grenzen hinaus zu vertreiben. Schliesslich tummeln sich alleine in den zentraleuropäischen Alpen über 25 Millionen Menschen pro Jahr.

Und was den leicht ungewöhnlichen Firmennamen angeht, so hat sich der begeisterte Freerider vom Geburtsmoment seiner Idee leiten lassen: Was schreit ein Freerider ins Tal, ehe er in einen frisch verschneiten Hang einsteigt? Natürlich «Uepaa!!»

 
Leserkommentare: