Veröffentlicht: 22.09.11
Science

Genial in Computergrafik

Olga Sorkine, Assistenzprofessorin für Informatik, hat den bedeutendsten Nachwuchsforscherpreis im Fachbereich Computergrafik gewonnen. Ihre Arbeit beeinflusst die Macher von Computeranimationsfilmen.

Peter Rüegg
Olga Sorkine, Assistenzprofessorin für Informatik, entwickelt neue Verfahren zur Bearbeitung von dreidimensionalen Grafiken. (Bild: zVg O. Sorkine / ETH Zürich)
Olga Sorkine, Assistenzprofessorin für Informatik, entwickelt neue Verfahren zur Bearbeitung von dreidimensionalen Grafiken. (Bild: zVg O. Sorkine / ETH Zürich) (Grossbild)

«I was a nerdy kid – als Kind war ich ein Nerd», sagt die 30-jährige Olga Sorkine, die in einem hellen Büro im CAB-Gebäude der ETH Zürich vor dem Bildschirm sitzt. Sie tippt auf ihrer Tastatur. Sie ruft ein selbst geschriebenes Programm auf. Rasch zeichnet sie eine Freihandform, blitzschnell füllt der Computer danach das Innere mit der passenden dreidimensionalen Struktur auf. So entwirft sie den Umriss eines Vogels, zieht an dessen Flügeln, am Schnabel, die Figur passt sich sofort an, sie schneidet Teile der Figur ab und erzeugt gerade Flächen. Für Sorkine war diese Anwendung eine Fingerübung während ihrer Postdoc-Zeit. Denn die 30-jährige ist eine Spezialistin für Computergrafik, und dass die Forscherin in ihrem Fachgebiet eine Kapazität ist, beweist der «Significant New Researcher Award 2011» der ACM SIGGRAPH, den sie eben erhalten hat. Dies ist der wichtigste Preis im Bereich Computergrafik, und er ging nun zum ersten Mal an eine Frau. Erhalten hat ihn Olga Sorkine unter anderem für ihre aussergewöhnlichen Beiträge im Bereich der Geometrie-Verarbeitung. «Der Preis ist in dem Bereich ein ‚Big Deal‘», sagt sie, «für mich bedeutet er in erster Linie eine grosse Motivation und ermutigt mich, auf diesem Weg weiter zu gehen.»

Studium mit 15 begonnen

Olga Sorkine forscht erst seit Februar 2011 an der ETH Zürich als Assistenzprofessorin mit Tenure. Sie kam in Russland zur Welt, ihre Eltern emigrierten nach Israel, als sie 12 war. Mit 13 hatte sie zum ersten Mal einen Computer vor sich, einen Laptop, den ihr Vater nach Hause gebracht hatte. Er zeigte ihr, wie man darauf Bilder macht. Sorkine war fasziniert und vertiefte sich in die Arbeit an der Maschine, lernte die Programmiersprache «QBasic». Sie machte damit Zeichnungen, Kreise, geometrische Objekte. «Ich fand es sehr faszinierend, durch den Gebrauch von Mathematik Bilder zu machen.» Mit 14 Jahren schrieb sie sich für ein Spezialprogramm am Gymnasium ein, um sich in Mathematik weiterzubringen. Mit Erfolg: Bereits als 15-jährige begann sie ihr Studium an der Universität von Tel Aviv, zusammen mit Studenten, die um acht und mehr Jahre älter waren als sie. «Die wussten nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollten», schmunzelt sie.

Ihr Studium unterbrach sie wegen der Wehrpflicht, die in Israel auch für Frauen obligatorisch ist und zwei Jahre dauert. Noch während des Militärdienstes begann sie ihr Masterstudium. «Ich musste mich davonstehlen, um die Vorlesungen zu besuchen» sagt sie.

Mit dem Master begann Sorkine auch ihre Forschung im Bereich Computergrafik. Ihr damaliger Betreuer überzeugte sie davon, ein Doktorat zu machen. «Ich habe mir nie vorstellen können, eine akademische Karriere zu verfolgen», sagt sie. Sie habe immer gedacht, sie mache ihren Bachelor, den Master, dann suche sie sich einen Job in der Wirtschaft. «Wenn man aber mit Forschung beginnt, dann zieht es einen komplett in die akademische Welt hinein», erklärt Sorkine. Sobald sich die ersten Erfolge einstellten, werde man euphorisch und wolle mehr wissen und lernen. Irgendwann habe sie verstanden, dass der «normale» Job in der Wirtschaft nicht mehr in Frage kommt. «Ich liebe diese Welt und entschied zu bleiben.»

Ihren Bachelor in Mathematik und Computerwissenschaft erhielt sie im Jahr 2000, 2006 schloss sie ihre Doktorarbeit ab. Danach verbrachte Sorkine während zwei Jahren als Humboldt-Stipendiatin ihren Postdoc an der TU Berlin. Während dieser Zeit erhielt sie auch den «Eurographics Young Researcher Award» der Europäischen Vereinigung für Computergrafik. Im gleichen Jahr begann sie eine Assistenzprofessur an der New York University, wo sie zweieinhalb Jahre blieb, ehe sie von der Stelle an der ETH Zürich erfuhr, sich bewarb – und prompt angenommen wurde.

Michelangelos David beliebig verändern

Um zu illustrieren, was sie erforscht, holt sie den 3-D-Scan von Michelangelos David-Statue auf den Bildschirm. Die Oberfläche der Statue ist überzogen mit unzähligen Dreiecken unterschiedlicher Grösse. Ihre Forschung besteht darin, solche 3-D-Grafiken zu modellieren und zu bearbeiten. Eine ihrer Ideen ist, dass Anwender einen Knotenpunkt zwischen den Dreiecken mit dem Mauszeiger greifen und beliebig verschieben können. Der Computer berechnet darauf sofort, wie die neue Form aussieht. Damit lassen sich 3-D-Objekte beliebig und frei von Verzögerungen verändern.

Heute sind Oberflächen solcher Objekte mathematische Oberflächen, so genannte NURBS. Diese sind recht starr und lassen dem Anwender nicht die volle Freiheit, Veränderungen vorzunehmen und die Oberfläche des Objekts so zu gestalten, wie er möchte. Dadurch wird aber auch die Animation der Objekte, wie sie etwa in den Animationsfilmen von «Pixar» vorkommen, extrem arbeitsintensiv. Dasselbe gelte auch für CAD-Anwendungen beispielsweise für das Produktdesign. Sorkine entwickelt deshalb mathematische und algorithmische Werkzeuge, die es erlauben, solche Grafiken nach Belieben zu verändern und unter Umständen komplett anders zu gestalten.

Ihre Forschung erstreckt sich auch auf Animationen, die ebenfalls zurzeit noch sehr arbeitsintensiv sind. Nimmt man beispielsweise eine Figur, die mit einem T-Shirt bekleidet ist, so gibt es bei einer animierten 3-D-Ansicht eine schier unendliche Anzahl Posen, die es abzubilden gilt, wie etwa die Falten des Gewebes. Dies so zu animieren, dass es natürlich aussieht, ist schwierig. «Die meisten Modelle können nur wenige beispielhafte Posen in Echtzeit berechnen, da die zugrundeliegenden physikalischen Simulationen sehr komplex sind», betont Sorkine. Sie hat jedoch ein Modell geschaffen, das dieses T-Shirt dreidimensional sehr lebensnah abbilden kann. «Dazu muss man dem Computer beibringen, dass das Shirt wie echt aussehen soll. Das ist eine grosse Herausforderung», so die ETH-Professorin.

Forschung an erster Stelle

Ein weiteres Beispiel für ihre Vielseitigkeit ist das so genannte Video-Retargeting, an dem sie arbeitet. Hierbei geht es darum, einen Film, der im Kinoformat 16:9 erschienen ist, für andere Seitenverhältnisse, wie sie in Flugzeug-Fernsehkonsolen oder bei Smart Phones vorkommen, anzupassen, ohne dass der Betrachter die Hauptgegenstände des Films verzerrt wahrnimmt, etwa weil Personen, Autos oder Brücken unnatürliche Proportionen erhalten. «Das ist ein Problem der Geometrie-Optimierung», sagt Sorkine. Scheint beinahe, als wäre auch dieses Problem ein Kinderspiel für die talentierte Grafikspezialistin. An der Video-Retargeting-Technik sind auch Firmen interessiert. Die Technik ist denn auch in den USA bereits patentiert. Für Sorkine kommt die Forschung jedoch klar an erster Stelle. «Ich liebe die Forschung», sagt die ETH-Forscherin. Sie bevorzuge sowieso Open Source, um die Programme der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Letztlich habe sie auch einige Opfer bringen müssen, um in der Wissenschaft zu bleiben. Stellenwechsel bedeuten stets Ortswechsel, sich in einer neuen Kultur wieder zurechtzufinden. «Dadurch bin ich auch ein wenig heimatlos geworden.» Dafür biete die Wissenschaft auch grossartige Möglichkeiten, und wenn sie sich böten, müsse man sie ergreifen. «Ich hoffe aber dennoch, dass ich hier in Zürich länger bleiben kann», fügt sie mit einem Lächeln an.

Referenzen + Links

Youtube Channel von Olga Sorkine

 
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