Veröffentlicht: 21.03.11
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Terror kann jedes Land treffen

Bei der Tagung des Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich standen zwei Fragen im Mittelpunkt: Wie kann die Schweiz ihre Interessen auf europäischer und globaler Ebene wahren? Und: Wie bedroht der internationale Terrorismus Europa?

Alice Werner
Jürg S. Bühler, Eric Gujer, Gerhard Schwarz (o., v.l.n.r.) sowie Guido Steinberg, Peter Maurer und Daniel Vischer (u., v.l.n.r.) engagierten sich in Diskussionen über die weltpolitische Lage (alle Bilder: P. Rüegg / ETH Zürich)
Jürg S. Bühler, Eric Gujer, Gerhard Schwarz (o., v.l.n.r.) sowie Guido Steinberg, Peter Maurer und Daniel Vischer (u., v.l.n.r.) engagierten sich in Diskussionen über die weltpolitische Lage (alle Bilder: P. Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Rund achtzig Teilnehmer, darunter prominente Vertreter aus Politik, Verwaltung, Verbänden, Wissenschaft und Medien, waren der Einladung des Center for Security Studies (CSS) gefolgt, um über zentrale Fragen der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik zu diskutieren. Zur Einstimmung ins Thema präsentierte der ETH-Sicherheitsexperte Daniel Möckli vom CSS die aktuellen Ergebnisse aus «Strategic Trends», in der wesentliche Entwicklungslinien des Weltgeschehens von Experten analysiert und bewertet werden.

Europa in der Krise

«Ein Trend, der sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird, ist die globale Machtverschiebung von West nach Ost», eröffnete Möckli seinen Vortrag. Aufstrebende Schwellenländer hätten sich von der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise wesentlich rascher erholt als Europa und die USA. «Die neuen Märkte sind nicht länger vom Westen anhängig, China ist nun Dreh- und Angelpunkt der globalen Wirtschaft.» Der chinesische Handelsverkehr zu nicht-OECD-Staaten habe geoökonomische, aber auch politische Bedeutung. Gerade angesichts der Tatsache, dass Europa in den nächsten Jahren noch stark im Bann der Schuldenkrise stehen wird. «Es müssen gemeinsame Lösungen aller EU-Länder zu Themen wie Umschuldung, Finanzunion oder Eurozone gefunden werden. Diese zentrale Sorge wird Europa daran hindern, in der Weltpolitik eine Führungsrolle einzunehmen.»

Der Nahe und Mittlere Osten im Wandel

Auch die USA verlieren zusehends an weltpolitischem Einfluss, vor allem als Hegemon im arabischen Raum. Daniel Möckli betonte: «Es bleibt zwar abzuwarten, ob die aktuellen Revolten in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel tatsächlich zu tiefgreifenden Revolutionen führen. Aber die Umsturzwellen spiegeln schon jetzt eine deutliche Verschiebung der Kräfte wider.» Die USA blieben wohl – allein um ihre Öl-Interessen zu wahren – im Mittleren Osten weiterhin präsent, doch werde Washington seine Strategiepläne in Zukunft womöglich auf den Fernen Osten lenken.

«Ein chinesisch-amerikanischer Wettbewerb um neue Märkte in dieser Region ist seit längerem zu beobachten.» Im Mittleren Osten selbst, fährt Möckli fort, wird ein geopolitisches Auseinanderdriften der Golfstaaten und Nordafrikas immer wahrscheinlicher: Während sich die reichen Ölmonarchien in den nächsten Jahren verstärkt den energiehungrigen Ländern in Asien zuwenden, intensivieren Staaten wie Libanon, Israel und Ägypten ihre Beziehungen zu Europa.

Globale Welt versus «Euroskeptizismus»

Was die vorgetragenen Einschätzungen nun für die Schweizer Aussenpolitik bedeuten, diskutierten im anschliessenden Podiumsgespräch Peter Maurer, Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, und Gerhard Schwarz, Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse, mit Daniel Möckli. Nach Ansicht von Peter Maurer könne die Schweiz den aufstrebenden neuen Mächten im Osten gelassen entgegen blicken. «Als Vielvölkerstaat begrüssen wir den globalen Trend hin zu einer multipluralen Welt – und das nicht erst seit Kurzem. Die Schweiz ist ein Land, das aus Tradition universelle Netzwerke zu nicht-europäischen Staaten unterhält.» Unbegreiflich sei ihm daher der grosse Euroskeptizismus vieler seiner Landsleute: Obwohl die Schweiz zu den Globalisierungsgewinnern gehört, stehen weite Teile der Bevölkerung der europäischen Union ablehnend gegenüber. Eine Priorität der Schweizer Aussenpolitik muss für den Staatssekretär daher die stärkere Vernetzung mit der EU über bilaterale Abkommen sein.

Dem widersprach Gerhard Schwarz entschieden: «Aussenpolitik ist für mich Interessenspolitik.» Für ihn bedeute dies: Sicherung von Freiheit, Eigenständigkeit und Wohlstand. «Ich erwarte von der EU, dass sie uns nationale Interessen, etwa in Bezug auf die Währungspolitik, zugesteht.» Gleichzeitig solle sich die Schweiz wieder mehr in Bescheidenheit üben: «Wir haben als kleines Land bei weltpolitischen Fragen nur einen kleinen Beitrag zu leisten.» Die Gefahr einer Überdehnung der schweizerischen Aussenpolitik konnte Daniel Möckli nachvollziehen. Er zweifle daran, dass langfristig genügend Mittel für eine 'Politik der universellen Präsenz' vorhanden seien. Zudem kritisierte er den Anpassungs- und Reformdruck der Europäischen Union. Sein Rat: «Wir müssen die eigenen aussenpolitischen Prioritäten stärker kommunizieren.»

Terrorgefahr durch radikale Einzeltäter

Unterschiedliche Standpunkte prägten auch die zweite Podiumsdiskussion zum Thema «Terrorismus: Bedrohung und Abwehrmassnahmen». Als erster Referent beleuchtete Guido Steinberg, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die aktuelle Sicherheitslage in Europa: «Galten bislang vor allem Staaten, die in Kriegsgebieten im arabischen Raum prominent vertreten sind, als mögliche Angriffsziele dschihadistischer Terrororganisationen, ist heute kein Land mehr immun gegen Terrorismus – auch kein Kleinstaat wie die Schweiz.»

Denn die Szene, ergänzte NZZ-Auslandsredaktor Eric Gujer, habe sich in den letzten Jahren stark verändert, sei unübersichtlich und damit unberechenbar geworden. Während radikale Organisationen wie al-Qaida unter Muslimen an Einfluss verloren haben und vom Westen weitgehend unter Kontrolle gehalten werden, geht die eigentliche Bedrohung von Einzeltätern und autonomen Gruppierungen aus, die vor Ort durch Selbstradikalisierung entstehen. «Bei diesen Tätern können auch lokale Motive wie etwa die Minarett-Initiative Auslöser sein», sagte Gujer. «Es ist jetzt Sache der Politik, angemessen auf diese neue Bedrohungslage zu reagieren.

Ausbau des Staatsschutzes

Jürg Bühler, Vizedirektor beim Nachrichtendienst des Bundes, wies eine aktuelle Gefahr für die Schweiz zurück: «Die gesellschaftliche Stabilität in unserem Land wirkt auf potentielle Terroristen abschreckend. Uns sind nur wenige islamische Dschihadisten bekannt.» Bühler räumte aber ein, dass dem Nachrichtendienst des Bundes im europäischen Vergleich nur beschränkte präventive Mittel zur erfolgreichen Terrorabwehr zur Verfügung stünden. 2009 hatte das Parlament einen Gesetzesentwurf über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit zurückgewiesen. «Ich hoffe, dass der auf 2012 in Aussicht gestellte Entwurf für ein neues Nachrichtendienstgesetz der zentralen Bedeutung früher Antizipation relevanter Bedrohungen gerecht wird.»

Das Parlament, widersprach der Grüne Nationalrat Daniel Vischer engagiert, tue gut daran, am alten Gesetz festzuhalten. Für ihn kommen Frühwarnmechanismen wie die Möglichkeit zur verdachtsunabhängigen Recherche in privaten Räumen einer Verletzung des Datenschutzes sowie der freiheitlichen Grundrechte gleich. «Damit würde die Schweiz zum Überwachungsstaat und jeder ihrer Bürger zum möglichen Terroristen.»

Center for Security Studies

Das Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich wurde 1986 gegründet und befasst sich in Lehre, Forschung und Dienstleistung mit Fragen der schweizerischen und internationalen Sicherheitspolitik. Die Forschungsschwerpunkte liegen auf Neuen Risiken, Europäischer und Transatlantischer Sicherheitspolitik, Strategie und Doktrin, Staatenzerfall und Staatenaufbau und Schweizerischer Aussen- und Sicherheitspolitik. Das CSS leitet das International Relations and Security Network (ISN). Es verfügt über ein breites Netzwerk aus nationalen und internationalen Partnerorganisationen und ist Mitglied des Center for Comparative and International Studies (CIS) der ETH und der Universität Zürich.

 
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