Veröffentlicht: 16.02.11
Science

Wenn der Bauer mit den Doktoranden

Den Dialog zwischen Forschung und Praxis intensivieren: Das war das Ziel der ersten CCES Winter School. Wie man Praktiker in eigene Forschungsfragen einbezieht, zeigten die Doktoranden vor Ort. ETH Life hat sie während einem «Exploration Parcours» mit Bauern in Männedorf besucht.

Samuel Schläfli
Die Doktorandin Gisela Lüscher füllt mit dem Bauern Andres Kunz die Fragebogen zu vier landwirtschaftlichen Zukunftszenarien aus. (Bild: Samuel Schlaefli/ETH Life)
Die Doktorandin Gisela Lüscher füllt mit dem Bauern Andres Kunz die Fragebogen zu vier landwirtschaftlichen Zukunftszenarien aus. (Bild: Samuel Schlaefli/ETH Life) (Grossbild)

Es ist eine Begegnung der eher seltenen Art: 16 junge Umweltwissenschaftler aus ganz Europa stehen acht Bauern aus der Umgebung Zürich gegenüber. Der Grund für das Zusammentreffen: Die Doktoranden und Postdocs wollen von den Bauern lernen und dadurch die eigene Forschung praxisnäher gestalten. Die Wissenschaftler nennen das «transdisziplinäre Forschung», wie der Postdoc Robert Huber vor versammelter Bauernrunde erläutert. Steht bei der «interdisziplinären» Forschung vor allem der Austausch zwischen Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachgebiete ­im Zentrum – sprich: der Biologe mit dem Quantenmechaniker –, so zielt die transdisziplinäre Forschung auf den Austausch mit Praktikern. Wie das konkret vor sich geht, zeigen die jungen Umweltwissenschaftler an jenem Mittwoch; dem zweitletzten Tag der ersten CCES Winter School (siehe Kasten) im Tagungszentrum Boldern in Männedorf.

Vier Szenarien, viele Meinungen

Robert Huber führt die acht Bauern in vier verschiedene landwirtschaftliche Zukunftsszenarien ein. Szenarien, die er während seiner Doktorarbeit ausgearbeitet hat und welche er hier nun nochmals auf die Probe stellen kann. Die Bauern sollen davon ausgehen, dass die Schweizer Landwirtschaft im Jahr 2040 weitgehend liberalisiert ist und sie für den Verkauf ihrer Produkte europäische Produzentenpreise erhalten. In allen vier Szenarien verdienen die Bauern gleich viel, die Quellen der Verdienste unterscheiden sich hingegen: Soll das Einkommen vor allem auf Viehzucht basieren, so wie dies heute der Fall ist, oder stärker auf der Bereitstellung von ökologischen Ausgleichsflächen? Oder könnte in Zukunft auch die Produktion von Bioenergie, zum Beispiel durch Kompostieren von Gras und Mais, ein wichtiges Standbein der Landwirtschaft werden? Nachdem alles erklärt ist, nehmen sich die Studenten den Bauern an und helfen diesen, mehrere Fragekataloge zu den vier Szenarien durchzuackern. Die Bauern müssen beurteilen, inwiefern sie sich mit einem Szenario identifizieren können, was ihnen dabei wichtig ist und was nicht.

Berührungsängste gibt es keine; die Doktoranden sind bald im Alltag der Bauern angelangt: «Ich bin Bauer und kein Landschaftsgärtner», äussert sich zum Beispiel der Bauer Andres Kunz skeptisch gegenüber zu vielen ökologischen Anforderungen an seinen Berufsstand. Und auch Bauer Ruedi Frei erklärt seinem Gegenüber, dass die Erhaltung der Biodiversität zwar eine noble Idee sei, dabei aber der bürokratische Aufwand nicht grösser sein dürfe als der Nutzen. Er hätte schon einen absurden Aufwand erlebt, «nur um ein paar <Heugümper> zu retten.» Und wenn er den Weizen nicht mehr mit der grossen Maschine mähen könne, nur um die Biodiversität zu erhalten, so lohne sich der Verkauf am Ende nicht mehr.

Bei der Diskussion der ausgewerteten Bögen zeigte sich schliesslich, dass die meisten Bauern ihr Geld auch zukünftig in erster Linie mit Milch und Fleisch verdienen möchten. Im Vergleich mit der Beurteilung der Szenarien durch die Umweltwissenschaftler sind den Praktikern zudem wirtschaftliche Aspekte wichtiger als ökologische. Genau solche Erkenntnisse könnten für die Formulierung von Forschungsprojekten mit starkem Praxisbezug entscheidend sein, glaubt Robert Huber. Und er fügt an: «Im Idealfall könnten bereits die Szenarien in Zusammenarbeit mit den Bauern ausgearbeitet werden.» So würde mit grosser Sicherheit ausgeschlossen, dass Forschungsfragen nachgegangen wird, die für die Praxis nicht relevant sind. Damit das funktioniert, bedarf es jedoch erst einer gemeinsamen Sprache. Und obwohl sich Huber bei der Wortwahl viel Mühe gibt; beim «Ranking» verlangen die Bauern nach einer Erklärung. Und mit «Bias» und «Bottleneck» können sie genauso wenig anfangen, wie die meisten sonstigen Nicht-Akademiker.

Gewinn für Forscher und Bauern

Für die meisten der Winter School-Teilnehmer war dies der erste «Exploration Parcours», wie die Befragung von Anspruchsgruppen mittels vorgegebener Szenarien im Fachjargon genannt wird. Katja Bedenik von der Universität Graz zum Beispiel kam im Studium nie in Kontakt mit dieser Methode. Schon alleine deswegen habe sich der Besuch der ersten CCES Winterschool für sie gelohnt. Sie ist überzeugt, dass sie den «Exploration Parcours» auch während ihrer Doktorarbeit einsetzen wird. Während ihrer Dissertation wird sie die Förderung von erneuerbaren Energien auf regionaler Ebene erforschen. Die Anspruchsgruppe wird in diesem Fall nicht die Bauern, sondern die politischen Verantwortlichen in den einzelnen Regionen sein.

Doch nicht nur die Doktoranden profitierten, auch die Bauern zeigten sich interessiert am Austausch mit der Forschung. Niemand tat den Parcours als praxisferne akademische Spielerei ab. Im Gegenteil: Keiner der Bauern leugnete, dass die Landwirtschaft heute und in naher Zukunft starken Veränderungen unterworfen ist und deshalb die Diskussion über mögliche Zukunftsszenarien wichtig sei. Bauer Hans Reichlin zum Beispiel fand die unkonventionellste Option, nämlich die Landwirtschaft stärker auf Energieproduktion zu trimmen, durchaus interessant. Spannend sei dabei vor allem, dass der Steuerzahler bei steigender Energienachfrage einen handfesten, in Geld ausweisbaren Nutzen hätten. Nicht so wie heute bei der Landschaftspflege. Andere beschäftigte eher die Frage, wieviel Futter für die Tierhaltung bei einem nachhaltigen Szenario auf dem eigenen Hof angebaut werden muss und wieviel Import noch zulässig wäre.

Der «Exploration Parcours» bot insofern eine ideale Diskussionsgrundlage für sämtliche bedeutenden Fragen zur Zukunft unserer Landwirtschaft. Nur schade, dass die Diskussion gleich wieder abgewürgt werden musste. Denn das transdisziplinäre Mittagessen rief, zu dem die Doktoranden die Bauern geladen hatten. Zudem wartete am frühen Nachmittag bereits eine weitere Gruppe von Anspruchsgruppen auf die Doktoranden. In einem Spaziergang mit Landschaftsplanern und Umweltexperten durch Männedorf sollten dann gemeinsam Lösungsansätze zu Konflikten zwischen Urbanisierung und Biodiversität erarbeitet werden.

CCES Winter School

Im Fokus der ersten Winter School des «Competence Center Environment and Sustainability» (CCES) stand der Dialog zwischen Umweltwissenschaften und Öffentlichkeit. Die Teilnehmer lernten während zwei Wochen Methoden und Techniken kennen, wie Ansprüche aus der Praxis in die Forschung integriert werden können. Die Doktorierenden übten sich unter anderem darin, ihre Forschung den Medien attraktiv zu präsentieren und Stakeholder in die eigenen Arbeiten zu involvieren. Die CCES Winter School richtet sich an Doktorierende aus Natur-, Umwelt- und Sozialwissenschaften.

 
Leserkommentare: