Veröffentlicht: 14.02.11
Science

Flattertier mit hoher sozialer Intelligenz

Social Network auf Fledermausart: Eine neue Studie zeigt, dass Fledermäuse komplexe Beziehungen pflegen, und zwar über Jahre. Das hätte ihnen bis anhin fast niemand zugetraut.

Peter Rüegg
Bechsteinfledermäuse pflegen innerhalb einer bestimmten Gruppe enge langjährige Beziehungen. (Bild: zVg)
Bechsteinfledermäuse pflegen innerhalb einer bestimmten Gruppe enge langjährige Beziehungen. (Bild: zVg) (Grossbild)

Ohne ein hohes Mass an sozial-kognitiven Fähigkeiten funktioniert
es nicht, das Leben in komplexen Sozialsystemen mit individualisierten
Beziehungen. Darüber sind sich Wissenschaftler einig. Elefanten, Delfine oder Primaten leben in komplexen Sozialsystemen, und diese Tiere haben auch recht grosse, weit entwickelte Gehirne. Fledermäusen hingegen sprach die Forschung keine solchen Eigenschaften zu, obwohl sie teils in riesigen Kolonien leben.

Eine Langzeitstudie an einer Kolonie von Bechsteinfledermäusen stellt diese Annahme in Frage. Denn die Fledermäuse führen über Jahre hinweg stabile persönliche Beziehungen zu anderen Individuen. Sie können Freundes- und Verwandten-Netzwerke bilden.» Dies zeigen Wissenschaftler der Universität Greifswald und der ETH Zürich in einer Publikation, die soeben in «Proceedings of the Royal Society B» erschienen ist.

Enge Freundschaften in kleinem Netzwerk

Für diese Studie hat der deutsche Evolutionsbiologe Gerald Kerth von der Universität Greifswald über 20 Jahre lang in zwei Kolonien mit insgesamt 60 Bechsteinfledermäusen unzählige Daten über deren Sozialleben gesammelt. Die Daten der letzten fünf Jahre gewann er dadurch, dass er jede einzelne Fledermaus mit einem RFID-Chip versah und so vollautomatisch überwachen konnte, wo in seinem Sommerquartier sich welches Tier aufgehalten hat. Autonome Kameras lieferten teilweise Aufnahmen aus den Ruheplätzen. Anhand dieser Daten wollten die Forscher herausfinden, mit welchen Individuen eine Fledermaus Beziehungen pflegt.

Bei der Analyse der Daten – insgesamt 20‘500 Beziehungs-Daten – entdeckten die ETH-Forscher Nicolas Perony und Professor Frank Schweitzer vom Chair of Systems Design, dass sich die beiden Kolonien nicht austauschten. Die grössere Kolonie, die 40 Tiere umfasste, bildete zwei Untergruppen von etwa 20 Tieren, die einen engeren Kontakt zueinander hatten. Innerhalb dieser Gruppen konnten Perony und Schweitzer ein enges, deutlich ausgeprägtes Freundes-Netzwerk ausfindig machen. Zu einem solchen Netzwerk gehören nur Weibchen, die in der Regel in einer Linie miteinander verwandt sind, also Grossmutter, Mutter und Tochter. Dazu gesellen sich «Freundinnen der Familie».

Tagesgeschäft verdeckt Beziehungsmuster

Erstaunt waren die Forscher darüber, dass die Beziehungen hielten, obschon sie die Tiere nicht täglich erneuerten. Die Fledermäuse-Gruppen formierten sich in ihren Ruheplätzen täglich neu, so dass der Wissenschaftler die Beziehungsmuster erst bei Analysen von Kontaktdaten über längere Zeiträume erkennen konnte. «Die Beziehungsmuster sind verdeckt», sagt Perony, «betrachtet man die Gruppenstruktur einzelner Tage, kann man nicht erkennen, wer mit wem in Kontakt steht.»

Eine besondere Rolle für den Zusammenhalt der jeweiligen Gruppe und der grossen Kolonie spielten alte Weibchen mit einem Alter von bis zu 20 Jahren. Einerseits sorgen sie für den Austausch zwischen den Gruppen, andererseits zogen sie stets ihre Töchter und Enkelinnen mit, wenn sie sich einer anderen Formation anschlossen.

Die Untersuchungen in der Fledermaus-Kolonie erfolgten jeweils von April bis September, weil sich die Weibchen in der Zeit zur Jungenaufzucht zusammenfinden. Wo die Bechsteinfledermäuse überwintern, ist nicht bekannt. Im Frühjahr kommen aber dieselben Individuen wieder am gleichen Ort zusammen. Wie der Mechanismus des Wiedererkennens funktioniert, wissen die Forscher nicht. Sie haben beobachtet, dass Fledermäuse die Nasen aneinander reiben. Möglicherweise erkennen sich die Tiere am Geruch. Möglich ist laut Gerald Kerth von der Universität Greifswald auch eine Kommunikation über die Stimme.

Hirngrösse und Sozialsystem nicht gekoppelt

Was die Forscher erstaunt hat: Die komplexe Sozialstruktur innerhalb der Fledermaus-Kolonie im Verhältnis zu den vermuteten kognitiven Fähigkeiten der Tiere gehen nicht Hand in Hand. «Diese Studie wirft ein anderes Licht auf den Zusammenhang zwischen komplexen Sozialsystemen und Hirnentwicklung», sagt Frank Schweitzer, Professor für System Design der ETH Zürich. Dass sich Fledermäuse trotz ihres kleinen Gehirns derart sozial verhalten, deute darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Komplexität und Kognition bei Säugetieren schwächer sein könnte als angenommen. «Das Wort Intelligenz hat in dem Fall mehrere Bedeutungen, die Fledermäuse verfügen offenbar über eine hohe soziale Intelligenz.»

Weder Nicolas Perony noch Frank Schweitzer sind Zoologen. Die Bechsteinfledermaus diente ihnen aber als hervorragendes Studienobjekt, um grundlegende Strukturen und die Dynamik von sozialen Interaktionen zu erforschen. «Wir möchten wissen, wie sich soziale Netzwerke etablieren, funktionieren und zum Erfolg einer Gemeinschaft beitragen», erklärt Schweitzer.

Für solche Analysen benötigen die ETH-Forscher Langzeit-Daten, die ihnen Gerald Kerth überlassen konnte. Seine Daten decken eine Zeitspanne von 20 Jahren ab, davon 5 Jahre mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung. Das macht die Daten für die ETH-Forscher sehr wertvoll. «Die Fledermaus-Daten der letzten fünf Jahre entsprechen in etwa 25 Jahre Daten über Menschen», sagt Nicolas Perony.

Literaturhinweis

Kerth G, Perony N, Schweitzer F. Bats are able to maintain long-term social relationships despite the high fission-fusion dynamics of their groups, Proc. R. Soc. B 2011, doi:10.1098/rpsb.2010.2718

 
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