Veröffentlicht: 03.02.11
Science

Die Zukunftsmusik der Quantenforschung

33 Schweizer Forschungsgruppen haben sich zum Nationalen Forschungsschwerpunkt «Quantum Science and Technology» (QSIT) zusammengeschlossen. Ziel ist, die Grenzen zwischen klassischer Mechanik und Quantenmechanik auszuloten und verschiedene Forschungsansätze zu kombinieren. Erfolg erhoffen sich die Forscher dabei nicht nur im Hinblick auf einen Quantencomputer. Leading House ist die ETH Zürich, mit Direktor Klaus Ensslin, Professor für Experimentalphysik.

Simone Ulmer
Der Experimentalphysiker Klaus Ensslin in seinem Forschungslabor. (Bild: Heidi Hostettler / ETH Zürich)
Der Experimentalphysiker Klaus Ensslin in seinem Forschungslabor. (Bild: Heidi Hostettler / ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Ensslin, das Projekt QSIT gibt es seit 2004. Jetzt wurde es zum Nationalen Forschungsschwerpunkt ernannt. Was wird sich dadurch ändern?
Klaus Ensslin: Zu Beginn waren wir lediglich eine Gruppe von Professoren der ETH Zürich, die den wissenschaftlichen Austausch und die Koordination im Gebiet der Quantenwissenschaften angepackt hat. Jetzt wurde der Forschungsverbund auf die ganze Schweiz ausgeweitet und wir sind froh, vom Schweizerischen Nationalfonds sowie von den Heiminstitutionen substantielle Mittel zu erhalten. Damit können wir die Forschung auf diesem Gebiet vorantreiben. Wir sind stolz darauf, dass zu den 33 Gruppen die sehr starken Forschungsgruppen aus Basel, Genf, Lausanne und das IBM Labor in Rüschlikon gehören – dadurch können wir mit unserer Forschung in die Breite gehen.

Wo sehen Sie Vorteile in der Zusammenarbeit?
Die Quanten-Informationsverarbeitung ist ein neuer Forschungszweig, der in der Theorie weit entwickelt ist. Für den Bau eines möglichen Quantencomputers gibt es eine sonst nur bei industriellen Entwicklungen übliche Roadmap. Wir wissen, was wir brauchen, es gibt aber unterschiedliche Wege dorthin: mit Licht, mit Elektronen auf einen Chip, mit Atomen oder Ionen. Die Roadmap zeigt auf, was mit welcher Methode bisher erreicht wurde. Jede Methode hat ihre Vorteile. In der Halbleitertechnologie wissen wir, wie man Halbleiter baut und können dies im grossen Stil. Ein heutiger Halbleiterchip enthält bis zu einer Milliarde Transistoren, die nach den Gesetzen der klassischen Physik funktionieren. Gut kontrollierte Quantensysteme basierend auf Ionen oder Atomen können wir derzeit nur in geringer Anzahl erzeugen. Für die Zukunft gilt es, diese Quantensysteme in grosser Zahl und so ähnlich wie möglich herzustellen. Die Kombination der optimalen Eigenschaften aus den verschiedenen Systemen könnte zum Erfolg führen.

Wie könnte das aussehen?
Indem wir beispielsweise ein auf Atomen basierendes System zum Prozessieren der Quanten-Information benutzen, während das Ergebnis in einem Festkörper, auf einem Chip, gespeichert wird. Die Kommunikation zwischen den Systemen könnte mit kohärenten Photonen erfolgen.

Wird daran bereits gearbeitet?
Das alles ist Zukunftsmusik, denn wir wissen bisher nicht, wie man kohärente Quanten-Information zwischen komplett verschiedenen Systemen austauschen kann. Noch aufregender als diese Zukunftsperspektive ist deshalb der Weg dorthin. Mit dem NFS QSIT können wir derartig verrückte Dinge angehen. Bereits gibt es erste Doktorarbeiten, die in diesem «Verbindungsbereich» arbeiten. Dass in der Schweiz in all diesen Bereichen geforscht wird, ist die Stärke des Projekts und der Schweiz: Wir haben Spezialisten in allen Sparten und damit eine enorme Breite.

Mit QSIT soll dieses Potential also voll ausgenutzt werden.
Genau. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Stockwerk unter mir arbeitet Tilman Esslinger mit kalten Atomen, die mit Hilfe von Spiegeln und Lasern hin und her manipuliert werden. Wir arbeiten mit Halbleiterstrukturen im Nanometer-Massstab, eine ganz andere Methode. Erstaunlich ist aber, dass wir mathematisch gesprochen bereits zum zweiten Mal dieselbe Gleichung untersuchen, die unser physikalisches Experiment beschreibt. Obwohl wir völlig verschiedene Dinge machen. Das heisst, es gibt einen intellektuellen Überbau, in dem sich Physiker, Ingenieure und vor allem Wissenschaftler aus den Computerwissenschaften mit einem gemeinsamen wissenschaftlichen Ziel wiederfinden.

Heisst das, Sie benutzen unterschiedliche Ansätze und verfolgen das gleiche Ziel?
Nehmen wir den Strom. Strom ist Ladung pro Zeit, und wenn wir ihn uns genauer ansehen, besteht er aus einzelnen Elektronen. Wenn ich diese mit einem Detektor messe, macht das tack, tack, tack, jedoch so schnell, dass ich das nicht zählen kann. In einem Schaltkreis, den wir in meiner Gruppe gebaut haben, haben wir nun eine Methode entwickelt, mit der wir die Elektronen zählen können. Tilman Esslinger hat einen Detektor für Atome entwickelt und zählt, im Gegensatz zu uns, Atome. Bei quantenmechanischen Systemen ist die Statistik extrem wichtig. Die Statistiken der gezählten Elektronen oder Atome haben sehr viel miteinander zu tun: Wir zählen Quantensysteme, die völlig verschieden sind, und finden zum Schluss die gleiche Formel dahinter.

Wie unterscheidet sich ein Quantensystem von einem klassischen mechanischen System?
Das physikalische Verhalten von Quantensystemen wird durch die Schrödinger-Gleichung beschrieben. Um einen Fussball zu beschreiben, braucht es diese nicht. Hier «reden» viele kleine Systeme miteinander und das Gesamtsystem ist nicht kohärent. Wir wissen bis heute nicht genau, bei welcher Systemgrösse der Übergang zwischen klassischer Mechanik und Quantenmechanik passiert: Kann ein Virus auch quantenmechanisch sein? Könnte ich etwas machen, das ich mit Händen anfassen kann, das aber trotzdem quantenmechanisch funktioniert? Diese Fragen können wir noch nicht beantworten.

Was für Vorteile bieten Quantensysteme?
Quantensysteme sind im Gegensatz zur makroskopischen Welt hochsensibel. Wir können auf dieser Grundlage dereinst vielleicht quantenmechanische Sensoren bauen, die um Grössenordnungen empfindlicher sind als Sensoren, die wir heute kennen. Als Beispiel der klassische Kreisel: Er behält immer seine Drehachse bei, auch wenn er kippt. Ein quantenmechanischer Kreisel behielte diese noch viel besser. Würde man diese Eigenschaft etwa für U-Boote nutzen, die unter der Antarktis durchfahren, oder allgemein dann, wenn kein GPS mehr funktioniert, könnte ein U-Boot aufgrund der Navigation anhand des Quantenkreisels seinen Aufenthaltsort bestimmen. Wenn ich weiter spekuliere, könnten in ferner Zukunft quantenmechanisch hochsensible Sensoren – vielleicht bei Raumtemperatur – magnetische Signale des Körpers messen. Aus der QSIT-Forschung könnten hochempfindliche Sensoren hervorgehen, deren Anwendungen wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Können Sie ein Beispiel geben?
Ein Beispiel ist die sogenannte Verschränkung. Hierfür werden zwei Teilchen quantenmechanisch korreliert. Wir schaffen das heute für zwei, drei und mehr Teilchen, aber der Schritt zur Verschränkung von 1000 oder gar einer Milliarde von Teilchen ist riesig. Wie wir den schaffen können, ist noch ungewiss. Wenn wir das Ziel erreichen, könnten wir damit möglicherweise komplexe Quanten-Information verarbeiten. Aber viele andere Ziele sind denkbar.

Was noch, ausser dem Quantencomputer?
Wir leben in einer Informationsgesellschaft und deshalb ist der Quantencomputer in aller Munde, obwohl wir selbst hier die Anwendungen im Detail noch nicht kennen. Alle Ziele, die ich ihnen sonst nennen könnte, sind deshalb vermutlich falsch. Würden wir sie kennen, hätte das die Industrie längst in die Hand genommen. Ich denke da an die Aussage des Physik-Nobelpreisträgers Herbert Kroemer: «Jede Entdeckung kreiert ihre eigene Anwendung.» Die Quantenmechanik ist eine äusserst erfolgreiche Theorie und wird vermutlich durch unsere Forschungsarbeiten nicht grundsätzlich verändert – aber wer weiss. Neu ist, dass wir die Gesetze der Quantenmechanik benutzen können, um damit einen bestimmten Zweck zu erreichen. Daraus werden sich mit Sicherheit Anwendungen ergeben. Als der Transistor erfunden wurde, hat auch keiner an das Internet gedacht.

Wie funktioniert QSIT?
Wir hatten Mitte Januar ein Startmeeting in Arosa, bei dem sich alle 170 beteiligten Wissenschaftler trafen. Alle Professoren berichteten über ihre Pläne im Projekt und wo sie mögliche Verbindungen zu anderen Gruppen sehen. Dabei war es uns wichtig, dass auch die Doktoranden ihre Ideen und Projekte untereinander diskutieren und sich beim Skinachmittag kennenlernen konnten. So sind schon viele interessante Projekte entstanden. Wir wollen in Zukunft allen Doktorierenden, die durch QSIT finanziert werden, Mini-Sabbaticals ermöglichen, in denen alle einmal pro Jahr für eine Woche Einblick in ein völlig fremdes Forschungsgebiet erhalten.

Was sind Ihre persönlichen Erwartungen an das Projekt?
Ich wünsche mir einen bunten Blumenstrauss an herausragenden wissenschaftlichen Ergebnissen. Mit QSIT wollen wir die Schweiz weltweit als führende Forschungsstätte auf diesem Bereich positionieren. Persönlich ist mir wichtig, für die jungen Leute durch QSIT eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie exzellente Rahmenbedingung und ein wissenschaftliches Umfeld vorfinden, so dass sie sich für ihr Fach begeistern können, Spass an ihrer Arbeit haben und sehen, dass das ein Job für die Zukunft ist. Schwierig ist nicht, die guten Leute zu gewinnen, sondern diese in der Forschung zu halten.

Nationaler Forschungsschwerpunkt QSIT

Im Mai 2010 Jahres erhielt die ETH Zürich den Zuschlag für zwei neue Nationale Forschungsschwerpunkte (NFS) des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Das Projekt «Quantum Science and Technology», geleitet von den Professoren Klaus Ensslin, Tilman Esslinger (ETH Zürich) und Richard Warburton (Uni Basel), startete nun im Januar, wenige Monate nach dem Projekt MUST, das von den Professoren Ursula Keller (ETH) und Thomas Feurer (Uni Bern) geleitet wird. Insgesamt fliessen in den ersten vier Jahren 34 Millionen Franken in beide Schwerpunktprogramme. Die Projekte sind auf drei Vierjahresperioden angelegt.

QSIT-Forscher konnten im vergangenen Jahr bereits grosse Erfolge verzeichnen: Das Wissenschaftsmagazin «Science» wertete mehrere im Jahr 2010 publizierte Studien aus dem Bereich der Quantenmechanik als Forschungsdurchbruch des Jahres. An zwei dieser Publikationen waren die ETH-Professoren Tilman Esslinger und Matthias Troyer beteiligt. Den beteiligten Forschungsgruppen gelang es erstmals, Quantensimulatoren erfolgreich zu bauen und zu testen. Dabei hat etwa Esslingers Gruppe ein neues sogenanntes Vielteilchensystem aus Licht und Atomen kreiert, mit dem es erstmals einen in den siebziger Jahren von Klaus Hepp (ETH Zürich) und Eliot Lieb (Princeton University) theoretisch vorhergesagten fundamentalen Phasenübergang beobachten und quantitativ messen konnte.
Der Gruppe von Matthias Troyer gelang es anhand numerischer Simulationen mit einem Supercomputer, die Ergebnisse der Quantensimulationen zu verifizieren, die durch einen ähnlichen Quantensimulator durchgeführt werden konnten. Dieser Simulator basierte auf einem durch Laserstrahlen erzeugten dreidimensionalen optischen Gitter, in dem bestimmte Atome gefangen waren. Alle Komponenten des Quantensimulators mussten dabei präzise regulierbar sein, damit nachgebildet werden konnte, wie sich das zu simulierende System verhält.
Die Idee des Baus eines Quantensimulators ist auf den Nobelpreisträger Richard Feynman zurückzuführen. Der Physiker postulierte in den 1980er Jahren, dass komplexe Quantensysteme nur mit einem Quantensimulator berechenbar sein werden.