Die Zukunftsmusik der Quantenforschung
33 Schweizer Forschungsgruppen haben sich zum Nationalen Forschungsschwerpunkt «Quantum Science and Technology» (QSIT) zusammengeschlossen. Ziel ist, die Grenzen zwischen klassischer Mechanik und Quantenmechanik auszuloten und verschiedene Forschungsansätze zu kombinieren. Erfolg erhoffen sich die Forscher dabei nicht nur im Hinblick auf einen Quantencomputer. Leading House ist die ETH Zürich, mit Direktor Klaus Ensslin, Professor für Experimentalphysik.
Herr Ensslin, das
Projekt QSIT gibt es seit 2004. Jetzt wurde es zum Nationalen
Forschungsschwerpunkt ernannt. Was wird sich dadurch ändern?
Klaus Ensslin: Zu Beginn waren wir lediglich eine Gruppe von Professoren der ETH
Zürich, die den wissenschaftlichen Austausch und die Koordination im Gebiet der
Quantenwissenschaften angepackt hat. Jetzt wurde der Forschungsverbund auf die
ganze Schweiz ausgeweitet und wir sind froh, vom Schweizerischen Nationalfonds
sowie von den Heiminstitutionen substantielle Mittel zu erhalten. Damit können
wir die Forschung auf diesem Gebiet vorantreiben. Wir sind stolz darauf, dass zu
den 33 Gruppen die sehr starken Forschungsgruppen aus Basel, Genf, Lausanne und
das IBM Labor in Rüschlikon gehören – dadurch können wir mit unserer Forschung
in die Breite gehen.
Wo sehen Sie Vorteile
in der Zusammenarbeit?
Die Quanten-Informationsverarbeitung ist ein neuer Forschungszweig, der in
der Theorie weit entwickelt ist. Für den Bau eines möglichen Quantencomputers
gibt es eine sonst nur bei industriellen Entwicklungen übliche Roadmap. Wir
wissen, was wir brauchen, es gibt aber unterschiedliche Wege dorthin: mit
Licht, mit Elektronen auf einen Chip, mit Atomen oder Ionen. Die Roadmap zeigt auf,
was mit welcher Methode bisher erreicht wurde. Jede Methode hat ihre Vorteile. In
der Halbleitertechnologie wissen wir, wie man Halbleiter baut und können dies
im grossen Stil. Ein heutiger Halbleiterchip enthält bis zu einer Milliarde
Transistoren, die nach den Gesetzen der klassischen Physik funktionieren. Gut
kontrollierte Quantensysteme basierend auf Ionen oder Atomen können wir derzeit
nur in geringer Anzahl erzeugen. Für die Zukunft gilt es, diese Quantensysteme
in grosser Zahl und so ähnlich wie möglich herzustellen. Die Kombination der
optimalen Eigenschaften aus den verschiedenen Systemen könnte zum Erfolg
führen.
Wie könnte das
aussehen?
Indem wir beispielsweise ein auf Atomen basierendes System zum
Prozessieren der Quanten-Information benutzen, während das Ergebnis in einem
Festkörper, auf einem Chip, gespeichert wird. Die Kommunikation zwischen den
Systemen könnte mit kohärenten Photonen erfolgen.
Wird daran bereits
gearbeitet?
Das alles ist Zukunftsmusik, denn wir wissen bisher nicht, wie man
kohärente Quanten-Information zwischen komplett verschiedenen Systemen
austauschen kann. Noch aufregender als diese Zukunftsperspektive ist deshalb der
Weg dorthin. Mit dem NFS QSIT können wir derartig verrückte Dinge angehen.
Bereits gibt es erste Doktorarbeiten, die in diesem «Verbindungsbereich»
arbeiten. Dass in der Schweiz in all diesen Bereichen geforscht wird, ist die
Stärke des Projekts und der Schweiz: Wir haben Spezialisten in allen Sparten
und damit eine enorme Breite.
Mit QSIT soll dieses Potential
also voll ausgenutzt werden.
Genau. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Stockwerk unter mir arbeitet
Tilman Esslinger mit kalten Atomen, die mit Hilfe von Spiegeln und Lasern hin
und her manipuliert werden. Wir arbeiten mit Halbleiterstrukturen im Nanometer-Massstab,
eine ganz andere Methode. Erstaunlich ist aber, dass wir mathematisch
gesprochen bereits zum zweiten Mal dieselbe Gleichung untersuchen, die unser
physikalisches Experiment beschreibt. Obwohl wir völlig verschiedene Dinge
machen. Das heisst, es gibt einen intellektuellen Überbau, in dem sich
Physiker, Ingenieure und vor allem Wissenschaftler aus den
Computerwissenschaften mit einem gemeinsamen wissenschaftlichen Ziel wiederfinden.
Heisst das, Sie
benutzen unterschiedliche Ansätze und verfolgen das gleiche Ziel?
Nehmen wir den Strom. Strom ist Ladung pro Zeit, und wenn wir ihn uns
genauer ansehen, besteht er aus einzelnen Elektronen. Wenn ich diese mit einem
Detektor messe, macht das tack, tack, tack, jedoch so schnell, dass ich das
nicht zählen kann. In einem Schaltkreis, den wir in meiner Gruppe gebaut haben,
haben wir nun eine Methode entwickelt, mit der wir die Elektronen zählen
können. Tilman Esslinger hat einen Detektor für Atome entwickelt und zählt, im
Gegensatz zu uns, Atome. Bei quantenmechanischen Systemen ist die Statistik
extrem wichtig. Die Statistiken der gezählten Elektronen oder Atome haben sehr
viel miteinander zu tun: Wir zählen Quantensysteme, die völlig verschieden sind,
und finden zum Schluss die gleiche Formel dahinter.
Wie unterscheidet sich
ein Quantensystem von einem klassischen mechanischen System?
Das physikalische Verhalten von Quantensystemen wird durch die
Schrödinger-Gleichung beschrieben. Um einen Fussball zu beschreiben, braucht es
diese nicht. Hier «reden» viele kleine Systeme miteinander und das Gesamtsystem
ist nicht kohärent. Wir wissen bis heute nicht genau, bei welcher Systemgrösse
der Übergang zwischen klassischer Mechanik und Quantenmechanik passiert: Kann
ein Virus auch quantenmechanisch sein? Könnte ich etwas machen, das ich mit
Händen anfassen kann, das aber trotzdem quantenmechanisch funktioniert? Diese
Fragen können wir noch nicht beantworten.
Was für Vorteile
bieten Quantensysteme?
Quantensysteme sind im Gegensatz zur makroskopischen Welt hochsensibel.
Wir können auf dieser Grundlage dereinst vielleicht quantenmechanische Sensoren
bauen, die um Grössenordnungen empfindlicher sind als Sensoren, die wir heute
kennen. Als Beispiel der klassische Kreisel: Er behält immer seine Drehachse
bei, auch wenn er kippt. Ein quantenmechanischer Kreisel behielte diese noch
viel besser. Würde man diese Eigenschaft etwa für U-Boote nutzen, die unter der
Antarktis durchfahren, oder allgemein dann, wenn kein GPS mehr funktioniert,
könnte ein U-Boot aufgrund der Navigation anhand des Quantenkreisels seinen
Aufenthaltsort bestimmen. Wenn ich weiter spekuliere, könnten in ferner Zukunft
quantenmechanisch hochsensible Sensoren – vielleicht bei Raumtemperatur – magnetische
Signale des Körpers messen. Aus der QSIT-Forschung könnten hochempfindliche
Sensoren hervorgehen, deren Anwendungen wir uns heute noch gar nicht vorstellen
können.
Können Sie ein
Beispiel geben?
Ein Beispiel ist die sogenannte Verschränkung. Hierfür werden zwei
Teilchen quantenmechanisch korreliert. Wir schaffen das heute für zwei, drei
und mehr Teilchen, aber der Schritt zur Verschränkung von 1000 oder gar einer
Milliarde von Teilchen ist riesig. Wie wir den schaffen können, ist noch
ungewiss. Wenn wir das Ziel erreichen, könnten wir damit möglicherweise
komplexe Quanten-Information verarbeiten. Aber viele andere Ziele sind denkbar.
Was noch, ausser dem
Quantencomputer?
Wir leben in einer Informationsgesellschaft und deshalb ist der
Quantencomputer in aller Munde, obwohl wir selbst hier die Anwendungen im
Detail noch nicht kennen. Alle Ziele, die ich ihnen sonst nennen könnte, sind
deshalb vermutlich falsch. Würden wir sie kennen, hätte das die Industrie
längst in die Hand genommen. Ich denke da an die Aussage des
Physik-Nobelpreisträgers Herbert Kroemer: «Jede Entdeckung kreiert ihre eigene
Anwendung.» Die Quantenmechanik ist eine äusserst erfolgreiche Theorie und wird
vermutlich durch unsere Forschungsarbeiten nicht grundsätzlich verändert – aber
wer weiss. Neu ist, dass wir die Gesetze der Quantenmechanik benutzen können,
um damit einen bestimmten Zweck zu erreichen. Daraus werden sich mit Sicherheit
Anwendungen ergeben. Als der Transistor erfunden wurde, hat auch keiner an das
Internet gedacht.
Wie funktioniert QSIT?
Wir hatten Mitte Januar ein Startmeeting in Arosa, bei dem sich alle 170
beteiligten Wissenschaftler trafen. Alle Professoren berichteten über ihre
Pläne im Projekt und wo sie mögliche Verbindungen zu anderen Gruppen sehen. Dabei
war es uns wichtig, dass auch die Doktoranden ihre Ideen und Projekte
untereinander diskutieren und sich beim Skinachmittag kennenlernen konnten. So
sind schon viele interessante Projekte entstanden. Wir wollen in Zukunft allen Doktorierenden,
die durch QSIT finanziert werden, Mini-Sabbaticals ermöglichen, in denen alle
einmal pro Jahr für eine Woche Einblick in ein völlig fremdes Forschungsgebiet
erhalten.
Was sind Ihre
persönlichen Erwartungen an das Projekt?
Ich wünsche mir einen bunten Blumenstrauss an herausragenden wissenschaftlichen
Ergebnissen. Mit QSIT wollen wir die Schweiz weltweit als führende
Forschungsstätte auf diesem Bereich positionieren. Persönlich ist mir wichtig, für
die jungen Leute durch QSIT eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie exzellente
Rahmenbedingung und ein wissenschaftliches Umfeld vorfinden, so dass sie sich
für ihr Fach begeistern können, Spass an ihrer Arbeit haben und sehen, dass das
ein Job für die Zukunft ist. Schwierig ist nicht, die guten Leute zu gewinnen,
sondern diese in der Forschung zu halten.
Nationaler Forschungsschwerpunkt QSIT
Im Mai 2010 Jahres erhielt die ETH Zürich den
Zuschlag für zwei neue Nationale Forschungsschwerpunkte (NFS) des Schweizerischen Nationalfonds (SNF).
Das Projekt «Quantum Science and Technology», geleitet von den Professoren
Klaus Ensslin, Tilman Esslinger (ETH Zürich) und Richard Warburton (Uni Basel),
startete nun im Januar, wenige Monate nach dem Projekt MUST, das von den
Professoren Ursula Keller (ETH) und Thomas Feurer (Uni Bern) geleitet wird.
Insgesamt fliessen in den ersten vier Jahren 34 Millionen Franken in beide
Schwerpunktprogramme. Die Projekte sind auf drei Vierjahresperioden angelegt.
QSIT-Forscher konnten im vergangenen Jahr bereits
grosse Erfolge verzeichnen: Das Wissenschaftsmagazin «Science» wertete mehrere
im Jahr 2010 publizierte Studien aus dem Bereich der Quantenmechanik als
Forschungsdurchbruch des Jahres. An zwei dieser Publikationen waren die ETH-Professoren
Tilman Esslinger und Matthias Troyer beteiligt. Den beteiligten
Forschungsgruppen gelang es erstmals, Quantensimulatoren erfolgreich zu bauen
und zu testen. Dabei hat etwa Esslingers Gruppe ein
neues sogenanntes Vielteilchensystem aus Licht und Atomen kreiert, mit dem es
erstmals einen in den siebziger Jahren von Klaus Hepp (ETH Zürich) und Eliot Lieb
(Princeton University) theoretisch vorhergesagten fundamentalen Phasenübergang
beobachten und quantitativ messen konnte.
Der Gruppe von Matthias Troyer
gelang es anhand numerischer Simulationen mit einem Supercomputer,
die Ergebnisse der Quantensimulationen zu verifizieren,
die durch einen ähnlichen Quantensimulator durchgeführt werden konnten.
Dieser Simulator basierte auf einem durch Laserstrahlen erzeugten
dreidimensionalen optischen Gitter, in dem bestimmte Atome gefangen waren. Alle
Komponenten des Quantensimulators mussten dabei präzise regulierbar sein, damit
nachgebildet werden konnte, wie sich das zu simulierende System verhält.
Die Idee des Baus
eines Quantensimulators ist auf den Nobelpreisträger Richard Feynman
zurückzuführen. Der Physiker postulierte in den 1980er Jahren, dass komplexe Quantensysteme
nur mit einem Quantensimulator berechenbar sein werden.
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