Märchen statt Steine
Dass Geologie mehr als Steine ist, zeigt das Museum focusTerra demnächst mit seinen Märchen-Nachmittagen. An vier Sonntagen werden den Besuchern sagenumwobene geologische Phänomene wie Kristallkugeln mit Zauberkräften durch alte Geschichten näher gebracht. Was die Kinder und Erwachsenen erwartet, erzählt Museumsleiterin Ulrike Kastrup im Interview.
ETH Life: FocusTerra zeigt normalerweise Ausstellungen über Gesteine oder die
Entstehung der Erde. Nun findet demnächst der erste von vier Märchennachmittagen
statt. Weshalb dieser Wandel?
Ulrike Kastrup:
Als ich die Stelle vor rund zwei Jahren antrat, wollte ich die Geologie
einer breiteren Öffentlichkeit näher bringen. Einem Publikum, das nicht unbedingt
Stammgast an der ETH Zürich ist, das grossen Respekt vor ihr hat und sie vielleicht
als Elfenbeinturm betrachtet. Diese Vorstellung will ich aufweichen. Gerade die
Geologie ist im wahrsten Sinne des Wortes etwas zum Anfassen. Ich habe mir überlegt, welche Veranstaltung für ein breiteres, vielleicht auch jüngeres
Publikum interessant wäre. Da ich die Vorsitzende der
Schweizerischen Märchengesellschaft persönlich kenne, fragte ich diese an, ob sie nicht Lust habe, mit focusTerra zusammen zu arbeiten. Daraus entstand
dann die Zusammenarbeit.
Wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Die Gesellschaft hat vier Erzählerinnen und Erzähler ausgesucht. Sie stammen aus verschiedenen Gegenden der Schweiz. Das passt sehr gut, weil es Dialekt-Erzählnachmittage
sind: Die Geschichten werden in Mundart, zum Beispiel in Bern-, Basel- oder Zürich-Deutsch
vorgetragen. An jedem Nachmittag spielt ein anderer Musiker mit einem anderen
Instrument. Dafür suchte ich an der ETH nach Studierenden. Gefunden habe
ich einen Akkordeonspieler. Die anderen Musiker und Musikerinnen stammen von
ausserhalb. Alle Märchen und Sagen die vorgetragen werden, haben alle einen Bezug zur Geologie.
Welche Art von Sagen
und Märchen warten auf die Besucher?
Es können Märchen sein, die wir alle kennen, wie Frau Holle
mit den Schwestern Goldmarie und Pechmarie. Beim ersten Betrachten nehmen diese eine bestimmte Rolle ein: Goldmarie ist die Liebe und Pechmarie die Böse. Dabei
sind noch andere Begriffe als gut und böse, nämlich geologische, in der
Geschichte enthalten. Zum Beispiel Gold und Pech, die aber meistens nicht wahrgenommen werden. Wir
möchten daher auf geologische Begriffe wie Höhle, Kristalle, Edelsteine, Berg,
Erdbeben aufmerksam machen. Darüber hinaus werden auch Geschichten von
der Bildung eines Berges erzählt oder ein Bergsturz erklärt. Unser Ziel ist es, dass das
Publikum einen anderen Blickwinkel einnimmt.
Weshalb kommen Naturphänomene in vielen alten Geschichten vor?
Früher konnte man sich viele Naturphänomene nicht erklären: Wieso speit
ein Berg plötzlich Feuer? Weshalb bebt die Erde und lässt ganze Dörfer zusammenstürzen? Zur Erklärung wurden oft Götter und Fabelwesen, wie
Drachen herangezogen. So versuchten die Menschen, das Unverständliche mit etwas
Gegenständlichem zu erklären, von dem sie eine Vorstellung hatten.
Spielte die
Disziplinierung der damaligen Gesellschaft auch eine Rolle?
Ja, zerstörerische Kräfte wie Bergstürze und Erdbeben wurden
als verdiente Strafe für unsoziales Verhalten dargestellt. Zum Beispiel bei Frau Holle:
Dort wird das unerwünschte Verhalten des Mädchens gemassregelt: Weil die faule
Stiefschwester die Kissen nicht richtig ausschüttelt, wird sie mit Pech
übergossen. Die Moral: Wer nicht gut arbeitet, wird bestraft.
Tim Krohn hat 2007
das Buch «Vrenelis Gärtli» publiziert. Der Erfolg des Buches zeigt, dass die
alten Sagen und Mythen nichts von ihrer Faszination eingebüsst haben. Denken
Sie, dass diese Sagen immer noch eine wichtige Funktion haben?
Vielleicht. Sie geben Halt und zeigen die Verwurzelung und
Verbundenheit mit der Natur. Es ist wohl auch das Fantastische und Romantische
an den Geschichten, das bewegt. Das sieht man auch am Erfolg von Filmen wie
«Herr der Ringe» und «Harry Potter». Als ich die Veranstaltung geplant habe,
dachte ich aber nicht in diese Richtung. Mein Gedanke war einfach: Märchen
finde ich schön und Geologie auch – weshalb nicht beide Themen miteinander
verbinden?
Erzählnachmittage
Der erste Erzählsonntag
findet am 12. Dezember zum Thema «Die Kristallhöhle im Hinterbirg und andere
kristalline Geschichten» statt. Am 16. Januar wird das zweite Thema «Vrenelis
Gärtli oder wie Berge entstehen: Steinalte Erzählungen aus Nah und Fern»
behandelt. Am 6. Februar werden Märchen und Sagen zum Thema «Prinzessin
Bernstein und andere verborgene Schätze» vorgetragen. Zuletzt wird das Naturphänomen
Erdbeben unter dem Thema «Wenn die Erde speit und wackelt: Märchen von
Bergriesen und ihren inneren Kräften» am 13. März ergründet. Die Erzählsonntage
beginnen jeweils um 14 Uhr. Zwischen 15 Uhr und 17 Uhr wird mit den Kindern das
Thema des Nachmittags durch malen, hören, anfassen von Kristallen, Bernsteinen
und anderen Steinen bearbeitet. Das Highlight dabei: Am 13. März dürfen sie in
den Erdbebensimulator der ETH, um die Kräfte dieses Phänomens hautnah
mitzuerleben.
focusTerra,
Sonneggstrasse 5, 8006 Zürich, Gebäude NO der ETH Zürich.
Freier Eintritt. Für
Kinder ab 5 Jahren.
Aussstellung Kristallhöhlen
Passend zum ersten
Erzählnachmittag beherbergt das FocusTerra bis 31. Januar die Sonderausstellung
«Kristallhöhlen – Faszinierende Einblicke in die Schatzkammer der Erde». Zu
sehen sind Bilder und Beschreibungen von Höhlen mit Kristallkreationen,
gefrorenen Wasserfällen und eisblauen Seen. Ein Highlight dabei sind die
3-D-Bilder der Sammlung «Earth’s open heart» von La Salle, einem
internationalen Fototeam. Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag, 9.00 Uhr bis
17.00 Uhr, Sonntag, 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr.
LESERKOMMENTARE