Veröffentlicht: 10.12.10
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Märchen statt Steine

Dass Geologie mehr als Steine ist, zeigt das Museum focusTerra demnächst mit seinen Märchen-Nachmittagen. An vier Sonntagen werden den Besuchern sagenumwobene geologische Phänomene wie Kristallkugeln mit Zauberkräften durch alte Geschichten näher gebracht. Was die Kinder und Erwachsenen erwartet, erzählt Museumsleiterin Ulrike Kastrup im Interview.

Rebecca Wyss
Ulrike Kastrup, Leiterin des erdwissenschaftlichen Museums focusTerra. (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich)
Ulrike Kastrup, Leiterin des erdwissenschaftlichen Museums focusTerra. (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

ETH Life: FocusTerra zeigt normalerweise Ausstellungen über Gesteine oder die Entstehung der Erde. Nun findet demnächst der erste von vier Märchennachmittagen statt. Weshalb dieser Wandel?
Ulrike Kastrup: Als ich die Stelle vor rund zwei Jahren antrat, wollte ich die Geologie einer breiteren Öffentlichkeit näher bringen. Einem Publikum, das nicht unbedingt Stammgast an der ETH Zürich ist, das grossen Respekt vor ihr hat und sie vielleicht als Elfenbeinturm betrachtet. Diese Vorstellung will ich aufweichen. Gerade die Geologie ist im wahrsten Sinne des Wortes etwas zum Anfassen. Ich habe mir überlegt, welche Veranstaltung für ein breiteres, vielleicht auch jüngeres Publikum interessant wäre. Da ich die Vorsitzende der Schweizerischen Märchengesellschaft persönlich kenne, fragte ich diese an, ob sie nicht Lust habe, mit focusTerra zusammen zu arbeiten. Daraus entstand dann die Zusammenarbeit.

Wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Die Gesellschaft hat vier Erzählerinnen und Erzähler ausgesucht. Sie stammen aus verschiedenen Gegenden der Schweiz. Das passt sehr gut, weil es Dialekt-Erzählnachmittage sind: Die Geschichten werden in Mundart, zum Beispiel in Bern-, Basel- oder Zürich-Deutsch vorgetragen. An jedem Nachmittag spielt ein anderer Musiker mit einem anderen Instrument. Dafür suchte ich an der ETH nach Studierenden. Gefunden habe ich einen Akkordeonspieler. Die anderen Musiker und Musikerinnen stammen von ausserhalb. Alle Märchen und Sagen die vorgetragen werden, haben alle einen Bezug zur Geologie.

Welche Art von Sagen und Märchen warten auf die Besucher?
Es können Märchen sein, die wir alle kennen, wie Frau Holle mit den Schwestern Goldmarie und Pechmarie. Beim ersten Betrachten nehmen diese eine bestimmte Rolle ein: Goldmarie ist die Liebe und Pechmarie die Böse. Dabei sind noch andere Begriffe als gut und böse, nämlich geologische, in der Geschichte enthalten. Zum Beispiel Gold und Pech, die aber meistens nicht wahrgenommen werden. Wir möchten daher auf geologische Begriffe wie Höhle, Kristalle, Edelsteine, Berg, Erdbeben aufmerksam machen. Darüber hinaus werden auch Geschichten von der Bildung eines Berges erzählt oder ein Bergsturz erklärt. Unser Ziel ist es, dass das Publikum einen anderen Blickwinkel einnimmt.

Weshalb kommen Naturphänomene in vielen alten Geschichten vor?
Früher konnte man sich viele Naturphänomene nicht erklären: Wieso speit ein Berg plötzlich Feuer? Weshalb bebt die Erde und lässt ganze Dörfer zusammenstürzen? Zur Erklärung wurden oft Götter und Fabelwesen, wie Drachen herangezogen. So versuchten die Menschen, das Unverständliche mit etwas Gegenständlichem zu erklären, von dem sie eine Vorstellung hatten.

Spielte die Disziplinierung der damaligen Gesellschaft auch eine Rolle?
Ja, zerstörerische Kräfte wie Bergstürze und Erdbeben wurden als verdiente Strafe für unsoziales Verhalten dargestellt. Zum Beispiel bei Frau Holle: Dort wird das unerwünschte Verhalten des Mädchens gemassregelt: Weil die faule Stiefschwester die Kissen nicht richtig ausschüttelt, wird sie mit Pech übergossen. Die Moral: Wer nicht gut arbeitet, wird bestraft.

Tim Krohn hat 2007 das Buch «Vrenelis Gärtli» publiziert. Der Erfolg des Buches zeigt, dass die alten Sagen und Mythen nichts von ihrer Faszination eingebüsst haben. Denken Sie, dass diese Sagen immer noch eine wichtige Funktion haben?
Vielleicht. Sie geben Halt und zeigen die Verwurzelung und Verbundenheit mit der Natur. Es ist wohl auch das Fantastische und Romantische an den Geschichten, das bewegt. Das sieht man auch am Erfolg von Filmen wie «Herr der Ringe» und «Harry Potter». Als ich die Veranstaltung geplant habe, dachte ich aber nicht in diese Richtung. Mein Gedanke war einfach: Märchen finde ich schön und Geologie auch – weshalb nicht beide Themen miteinander verbinden?

Erzählnachmittage

Der erste Erzählsonntag findet am 12. Dezember zum Thema «Die Kristallhöhle im Hinterbirg und andere kristalline Geschichten» statt. Am 16. Januar wird das zweite Thema «Vrenelis Gärtli oder wie Berge entstehen: Steinalte Erzählungen aus Nah und Fern» behandelt. Am 6. Februar werden Märchen und Sagen zum Thema «Prinzessin Bernstein und andere verborgene Schätze» vorgetragen. Zuletzt wird das Naturphänomen Erdbeben unter dem Thema «Wenn die Erde speit und wackelt: Märchen von Bergriesen und ihren inneren Kräften» am 13. März ergründet. Die Erzählsonntage beginnen jeweils um 14 Uhr. Zwischen 15 Uhr und 17 Uhr wird mit den Kindern das Thema des Nachmittags durch malen, hören, anfassen von Kristallen, Bernsteinen und anderen Steinen bearbeitet. Das Highlight dabei: Am 13. März dürfen sie in den Erdbebensimulator der ETH, um die Kräfte dieses Phänomens hautnah mitzuerleben.
focusTerra
, Sonneggstrasse 5, 8006 Zürich, Gebäude NO der ETH Zürich.
Freier Eintritt. Für Kinder ab 5 Jahren.

Aussstellung Kristallhöhlen

Passend zum ersten Erzählnachmittag beherbergt das FocusTerra bis 31. Januar die Sonderausstellung «Kristallhöhlen – Faszinierende Einblicke in die Schatzkammer der Erde». Zu sehen sind Bilder und Beschreibungen von Höhlen mit Kristallkreationen, gefrorenen Wasserfällen und eisblauen Seen. Ein Highlight dabei sind die 3-D-Bilder der Sammlung «Earth’s open heart» von La Salle, einem internationalen Fototeam. Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag, 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr, Sonntag, 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr.