Veröffentlicht: 15.09.10
Science

Aktivieren statt stilllegen

Pharmazeuten der ETH haben einen überraschenden Mechanismus entdeckt, der helfen könnte, das Leiden von Patienten mit chronischen Hauterkrankungen zu mildern: die Lymphgefässe zum Wachstum anzuregen.

Peter Rüegg
Das Immunofluoreszenz-Bild zeigt Lymphgefässe (gelb), Blutgefässe (rot) und Zellkerne (blau) in der Haut einer transgenen Maus, 28 Tage nach Induktion der chronischen Entzündung. (Bild: R. Huggenberger, Institut f. Pharmaz. Wissenschaften).
Das Immunofluoreszenz-Bild zeigt Lymphgefässe (gelb), Blutgefässe (rot) und Zellkerne (blau) in der Haut einer transgenen Maus, 28 Tage nach Induktion der chronischen Entzündung. (Bild: R. Huggenberger, Institut f. Pharmaz. Wissenschaften).

Manchmal haben Forscher Glück im Unglück. Eine Arbeitshypothese oder Idee erweist sich als falsch, das pure Gegenteil davon aber bringt das richtige Resultat. So geschehen bei der Forschungsarbeit von Reto Huggenberger, Doktorand bei Professor Michael Detmar am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften.

Die Forscher wollten wissen, welche Rolle die Lymphgefässe bei chronischen Entzündungen, insbesondere Hautentzündungen wie Schuppenflechte, spielen. Alle chronisch entzündlichen Erkrankungen gehen sowohl mit Wachstum der Blut- als auch der Lymphgefässe einher. Letztere sind an Immunreaktionen beteiligt, denn sie vermitteln die Wanderung von Abwehrzellen vom Entzündungsareal, beispielsweise der Haut, zu den lokalen Lymphknoten und können direkt Stoffe produzieren, die eine Entzündungsreaktion des Körpers einleiten oder aufrecht erhalten.

Signale wie Schloss und Schlüssel

Damit Blut- und Lymphgefässe wachsen können, braucht es ein Signal. Dieses funktioniert über ein Schlüssel-Schloss-Prinzip. Die Schlüssel sind so genannte Wachstumsfaktoren, die genau in das entsprechende Schloss, den Rezeptor, passen. Diese Rezeptoren sitzen auf den Oberflächen der beiden Gefässtypen. So stimuliert der Wachstumsfaktor VEGF-A die Blutgefässe, indem er an die Rezeptoren VEGFR-1 und VEGFR-2 andockt, die hauptsächlich auf Blutgefässen vorkommen. Lymphgefässe reagieren jedoch vor allem auf die Aktivierung «ihres» Schlosses, dem Rezeptor VEGFR-3, dessen Schlüssel die Faktoren VEGF-C und VEGF-D sind.

Wachstum ausgesetzt, Entzündung verstärkt

Die Forscher verfolgten nun die Idee, Lymphgefässe zu hemmen, so dass weniger Abwehrzellen zum lokalen Lymphknoten gelangen können und weniger derartige enzündungsfördernde Stoffe produziert werden. Dadurch, so hofften sie, würde die Entzündung abklingen.

In einem Mausmodell, das für chronische Hauterkrankungen geschaffen wurde, setzten die Forscher die Lymphgefäss-Aktivierung ausser Kraft. Dieser Weg läuft über den Wachstumsfaktor VEGF-C und dessen Rezeptor VEGFR-3 auf der Oberfläche der Lymphgefässe. Indem sie VEGFR-3 mit einem Antikörper blockierten, inhibierten sie spezifisch das Wachstum von Lymphgefässen. Was die Forscher danach beobachten konnten, erstaunte sie: Statt abzuklingen verstärkte sich die Entzündung.

Heilende Erfahrung

Dies brachte die ETH-Pharmazeuten auf die Idee, den gegenteiligen Effekt zu testen. Sie erarbeiteten sich ein Mausmodell. In diesem produzierten die Tiere in ihrer Haut übermässig viel des Wachstumsfaktors VEGF-A, der die chronische Entzündung verursacht, und von VEGF-C, das VEGFR-3 anregt. Damit wurde ganz spezifisch das Lymphgefässwachstum ausgelöst, also genau das Gegenteil von dem, was mit der Blockade von VEGFR-3 ursprünglich angedacht war.

«Der Unterschied war dramatisch», sagt Huggenberger. Die Entzündung war nicht nur geringer, sondern bildete sich innerhalb von vier Wochen ganz zurück. Die Hautschäden der Mäuse heilten. «Das haben wir nicht erwartet», betont er.

Naturstoff als Lymphaktivator?

Das Prinzip, das die ETH-Forscher damit aufzeigen konnten, ist nicht auf chronische Hautentzündungen beschränkt. Bei der rheumatoiden Arthritis, einer chronischen Gelenksentzündung, oder bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen laufen ähnliche Prozesse ab.

Die im Modell eingesetzten Wachstumsfaktoren indes sind nicht geeignet für den Einsatz im Menschen. Dazu sind diese Proteine zu gross. «Wir haben nur das Prinzip bewiesen», sagt Detmar. Er und seine Gruppe haben aber bereits rund 600 Naturstoffextrakte untersucht, um Wirkstoffe zu finden, die die Lymphgefässe aktivieren. Einen potenziellen Kandidaten haben sie gefunden. Mit etwas Glück, so der ETH-Professor, sei dieser therapeutisch nutzbar. In ersten Versuchen konnten die Forscher sogar beobachten, dass der Pflanzenextrakt stärker wirkt als der Wachstumsfaktor VEGF-C.

Hemmen und fördern

Eine optimale Behandlung von entzündlichen Reaktionen verspricht sich Detmar jedoch davon, wenn Blutgefässe gehemmt und Lymphgefässe aktiviert werden. Werden nämlich die Blutgefässe daran gehindert, in den Entzündungsherden zu wachsen, dann klingt die Entzündung merkbar ab.

Bis anhin setzt die Medizin gegen Entzündungen oft Cortison ein. Insbesondere in den USA wird die Schuppenflechte trotz manchmal unerwünschten Nebenwirkungen oft mit Cortison behandelt. Langfristig könnte der neue Ansatz seiner Forschungsgruppe diese Therapie ersetzen, hofft Detmar.

Literaturhinweis

Huggenberger R, Ullmann S, Proulx ST, Pytowski B, Alitalo K, Detmar M: Stimulation of lymphangiogenesis via VEGFR-3 inhibits chronic skin inflammation. J. Exp. Med. www.jem.org/cgi/doi/10.1084/jem.20100559.

 
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