Veröffentlicht: 22.06.10
Science

Aus Zelle wird Virusfabrik

Bunyaviren sind trotz ihrer Vielgestaltigkeit und Bedeutung für Krankheiten bei Tier und Mensch nur schlecht erforscht. ETH-Forscher um den Virologen Ari Helenius haben nun herausgefunden, mit welchen Tricks sich das Uukuniemi-Virus, ein Vertreter dieser ehrenwerten Gesellschaft, in Zellen einschleicht.

Peter Rüegg
Das Uukuniemi-Virus (rot leuchtend) bewegt sich an einer antennenartigen Ausstülpung der Zelle hin zu ihrer Oberfläche. (Bild: P.-Y. Lozach / ETH Zürich)
Das Uukuniemi-Virus (rot leuchtend) bewegt sich an einer antennenartigen Ausstülpung der Zelle hin zu ihrer Oberfläche. (Bild: P.-Y. Lozach / ETH Zürich) (Grossbild)

Bunyaviren sind vielen wahrscheinlich kein Begriff, wohl aber die dazu gehörenden Krankheiten, die sie auslösen: Hanta oder Rift Valley-Fieber sorgen gelegentlich für Schlagzeilen. So gehörten zum Beispiel in Deutschland Hantavirus-Infektionen im Jahr 2007 mit knapp 1700 Fällen zu den fünf häufigsten meldepflichtigen Viruserkrankungen.

Die Wissenschaft kennt gar mehrere Hundert Arten von Bunyaviren, aber trotz oder gerade wegen ihrer Gefährlichkeit sind sie schlecht erforscht. Die meisten dieser Viren werden von Insekten übertragen, mit Ausnahme der Hanta-Viren, die sich über Ausscheidungen von Mäusen und Ratten verbreiten. Nicht bekannt war bislang, wie sich diese Viren Zugang zu Zellen verschaffen, um sich deren Vervielfältigungsmaschinerie zu Nutze zu machen.

Forscher der Gruppe von Ari Helenius, ETH-Professor für Biochemie, haben nun anhand eines für Menschen harmlosen Bunyavirus‘, dem Uukuniemi-Virus, untersucht, wie sie sich in die Zellen einschleusen. Das Modell, das sie erhalten haben, ist für eine Vielzahl der Bunyaviren gültig.

Dendritische Zellen als Boten

Das Uukuniemi-Virus gelangt ebenfalls über einen Insektenstich in sein Opfer. Unter der Haut suchen diese Viren gezielt so genannte Dendritische Zellen auf. Diese haben auf ihrer Oberfläche lange Antennen, die Philopodien, die wie Sensoren nach Fremdkörpern «suchen». Haben sie diese aufgespürt – in diesem Fall die Viren - , transportieren sie diese zu den Lymphknoten, wo sie ihre «Beute» präsentieren und damit die Immunantwort auslösen. Diesen Umstand nutzen die Bunyaviren aus. Gerade dank der unfreiwilligen Hilfe der Dendritischen Zellen gelangen sie über die Lymphgefässe in alle Organe.

Um in die Dendritischen Zellen eindringen zu können, binden die Viren an deren Philopodien und lassen sich zu der Zelloberfläche transportieren. Dort sorgt das Virus dafür, dass sich die Zellmembran einstülpt und ein kleines Bläschen ins Zellinnere abschnürt – das Trojanische Pferd, dessen Inhalt das für die Zelle tödliche Virus ist.

Saures Milieu passt dem Virus

Die Zelle transportiert dieses Bläschen hin zu einem Lysosom, das quasi ihr Verdauungstrakt mit zahlreichen Enzymen ist. Auf dem Weg dorthin reift das mit dem Virus beladene Bläschen, indem es Protonen aufnimmt. Dadurch sinkt im Bläschen der Säurewert. Sobald das Milieu sauer genug ist – pH-Wert von 5.5 -, passiert das Entscheidende: Die Virenhülle verschmilzt mit der Hüllmembran des Bläschens und die RNA-Stränge, welche den Bauplan für den Virus enthalten, gelangen in die Zelle. Und zwar bevor das Bläschen vom Lysozym «geschluckt» und sein Inhalt verdaut wird. Das Virus hat sein Ziel erreicht: Die Zelle wird fortan nur noch Viren herstellen.

Für Ari Helenius ist insbesondere bemerkenswert, dass das Uukuniemi-Virus und damit auch andere Bunyaviren erst zu einem ziemlich späten Zeitpunkt ihre Fracht entladen. Rund 20 Minuten dauert es von der Abschnürung des Bläschen von der Zellmembran bis dieses seinen Inhalt in die Zelle entlässt. Andere Viren entleert das Vesikel bereits nach 5 Minuten. Auch sind Bunyaviren auf den ersten Blick wenig erfolgreich, weil nur ein kleiner Bruchteil der Partikel an die Zelloberfläche andocken. Einmal in die Zelle eingeschleust, sind sie jedoch unerbittlich: Pro Zelle entstehen bis zu Tausende Virenpartikel, die neue Zellen infizieren. «Die Zelle wird zur Virusfabrik», sagt Helenius.

Kommunikation analysieren

Er und seine Gruppen haben mittlerweile acht verschiedene Virengruppen auf ihre Eindringe-Mechanismen untersucht. Die Arbeit über das Uukuniemi-Virus ist jedoch die erste gründliche Studie darüber, wie Bunyaviren in Zellen eindringen. Und die Resultate sind auch nicht auf diesen Virus beschränkt. «Der Rift-Valley-Fieber-Virus zum Beispiel verhält sich sehr ähnlich», sagt Pierre-Yves Lozach, der Erstautor der Studie, die vor kurzem in «Cell Host & Microbe» veröffentlicht wurde. Die Resultate lassen sich deshalb gut auf weitere Vertreter dieser Virenfamilie übertragen.

Damit das Virus in seinem Vorhaben erfolgreich ist, muss es mit der Zelle kommunizieren, meist über Proteine. Diese wiederum sind das Produkt von Genen. Eine Analyse zeigte den ETH-Biologen, dass rund 1000 menschliche Gene erforderlich sind, wenn das Uukuniemi-Virus in die Zelle eindringt. Die Forscher suchen nun nach einer Stecknadel im Genhaufen, nämlich nach den Proteinen, die das Virus dringend braucht, um erfolgreich zu sein, die jedoch für die Zelle kaum Nutzen haben. Kennt man erst diese Proteine, kann man Wirkstoffe suchen, die diese blockieren können und damit die fatale Infektionskette unterbrechen.

Literaturhinweis:

Lozach P-Y, Mancini R, Bitto D, Meier R, Oestereich L, Överby AK, Pettersson RF, Helenius A. Entry of Bunyaviruses into Mammalian Cells. Cell Host & Microbe, Volume 7, Issue 6, 488-499, 17 June 2010. DOI: 10.1016/j.chom.2010.05.007

 
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